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Grenzkontrollen in Calais
Großbritannien unter Druck

Der Vertrag von Touquet regelt die Grenzkontrollen zwischen Frankreich und Großbritannien. In Calais sorgen französische Beamte dafür, dass keine ungebetenen Gäste die Grenze überschreiten. Doch wie lange machen die Franzosen dieses Zugeständnis an die Briten noch mit?

Von Sandra Pfister |
    Ein Flüchtling klettert auf das Gelände des Eurotunnels in Calais.
    Ein Flüchtling klettert auf das Gelände des Eurotunnels in Calais. (dpa / picture-alliance / Zoltan Balogh)
    Rhys Williams ist LKW-Fahrer aus Bicester in der Nähe von Oxford. Die Route über Calais zurück nach Großbritannien ist er schon unzählige Male gefahren. Was LKW-Fahrer dort erwarte, sei inzwischen unerträglich geworden.
    Es war wie im Kriegsgebiet. Zwei Polizisten, die versucht haben, Massen von Migranten zurückzudrängen, die mit Kettensägen und Molotowcocktails in Richtung Fahrbahn drängten. Sie warfen Molotowcocktails auf LKW, sie warfen sie auf die Polizisten, und mittendrin war so eine Familie in einem Familienauto, ich konnte sie nicht genau sehen, aber die waren ganz klar verzweifelt."
    Migranten wollen unbedingt nach Großbritannien
    Die Migranten haben nur ein Ziel: Großbritannien. Doch die britische Regierung will auf keinen Fall Einwanderer auf die Insel lassen und sie erst dort kontrollieren. Für sie hat sich der Vertrag von Le Touquet bewährt. Tony Smith, bis vor drei Jahren Generaldirektor der UK Border Control:
    "Das ist ein Arrangement, das sich seit vielen Jahren bewährt hat. Deshalb ist es unglücklich, dass einige Politiker jetzt suggerieren, wir könnten das auf andere Weise regeln."
    David Cameron schüre nur Ängste, alles bleibe beim Alten, hatten die Brexiteers immer entgegnet, als der Premierminister monatelang während der Referendums-Kampagne gewarnt hatte: Dieses Zugeständnis der Franzosen werde den Brexit vermutlich nicht überleben.
    "Unsere Grenze verläuft technisch in Calais, nicht in Dover. Das ist gut für Großbritannien, ich will, dass das so bleibt. Deshalb haben wir Frankreich mit Zäunen geholfen, mit Grenzschützern, usw. Es gibt eine Menge Leute in Frankreich, die gegen diesen Vertrag sind und nur darauf warten, ihn zu zerreißen."
    Jetzt könnte Cameron Recht bekommen. Der Präsident der nördlichen Region Hauts-de-France, in der auch Calais liegt, Xavier Bertrand, hat kürzlich einen vermeintlich moderateren Vorschlag unterbreitet: Die britische Grenze könnte weiter de facto in Frankreich verlaufen, aber dafür sollten in Frankreich mehrere "hotspots" entstehen, in denen Flüchtlinge schon auf französischem Boden Asyl im Vereinigten Königreich beantragen könnten. Das aber wollen die Briten um jeden Preis verhindern.
    Briten wollen Frankreich mit Geld bei Laune halten
    Der ehemalige Botschafter in Frankreich, Sir Peter Ricketts, wiegelt ab:
    "Die Logik ist für mich ganz klar: Wenn wir den Leuten in Calais helfen wollen, tun wir das am besten, wenn wir sagen: Durch Calais hindurch führt kein Weg ins Vereinigte Königreich. Wir haben nicht doppelt oder dreimal oder viermal so viele Flüchtlinge dort wie im vergangenen Sommer, also scheint diese Abschreckungspolitik doch irgendwie zu funktionieren."
    Nicht nur mit diesem Argument, auch mit Geld wollen die Briten die Franzosen bei Laune halten. Noch David Cameron hatte im März zugesagt, umgerechnet 20 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen: für andere Flüchtlingsunterkünfte, v.a. aber für Sicherheitsmaßnahmen, z.B. jetzt eine einen Kilometer lange und vier Meter hohe Mauer.
    Sie soll LKW-Fahrer auf dem Weg zum Hafen von Calais vor zu aggressiven "Dschungel-Bewohnern" schützen. Richard Burnett, Chef des britischen Verbandes der Spediteure, fasst sich an den Kopf.
    "Das ist Geldverschwendung. Der Ärger verlagert sich einfach weiter die Straße runter. Das sind hochorganisierte Migrantenbanden, die blockieren die Straßen und der Verkehr staut sich, und dadurch können einige von hinten auf die Lastwagen draufspringen und dann werden sie ins Vereinigte Königreich hereingeschmuggelt."
    Der Druck in Frankreich wächst
    Der Vertrag von Le Touquet kann von den Franzosen jederzeit mit zwei Jahren Vorlaufzeit gekündigt werden. Der Druck wächst: Die Anwohner von Calais und Umgebung haben gerade erst aus Protest die Straße blockiert und den Druck auf die Regierung in Paris erhöht. Beobachter halten es deshalb für möglich, dass die britische Regierung, um die Grenzkontrollen auf französischem Boden zu retten, sich in Zukunft Frankreich gegenüber doch ein wenig geschmeidiger zeigt: Zum Beispiel, indem sie doch einige Flüchtlinge aus dem Dschungel von Calais aufnimmt.