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Grenzpolitik Griechenlands in der Kritik

Bürgerinitiativen auf der Insel Lesvos haben gegen die griechische Abschiebepraxis protestiert. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen spricht mit Blick auf die Flüchtlingspolitik Griechenlands von Menschenrechtsverletzungen.

Von Miltiadis Oulios | 11.09.2009
    "Ich habe es viermal versucht. Das erste Mal haben sie mich auf dem Meer geschnappt. Einmal habe ich es nach Griechenland geschafft, und sie haben mich wieder in die Türkei abgeschoben. Wir waren 30 Leute in dem Boot. Vorher haben wir ein, zwei Nächte im Wald geschlafen. Dann sind wir nach Mitternacht losgefahren. Das war wirklich unglaublich hart."

    Der junge Mann aus Somalia trägt ein Basketballhemd und lächelt. Er hat es geschafft, auf die griechische Insel Lesvos zu kommen - direkt gegenüber der türkischen Küste. In der Ägäis versuchen Boote der griechischen Hafenpolizei und der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex, Migranten abzufangen. Dabei würden sie sogar deren Tod in Kauf nehmen, werfen ihnen Menschenrechtsgruppen vor. Oftmals nimmt die griechische Polizei die illegalen Einwanderer sofort fest, sobald sie auf Lesvos gestrandet sind, und steckt sie in das Gefängnis Pagani - eine ehemalige Lagerhalle. Dort war auch der 17-jährige Abdelmalik einen Monat lang.

    "Wir haben da kaum Luft bekommen. Einige haben direkt neben der Toilette geschlafen. Du kannst dir vorstellen, wie die Situation ist, mit 150 Leuten in einem kleinen Raum. Viele sind geschwächt. Mein Freund wurde krank und er hat nach einem Arzt gefragt. Der Polizist hat ihm nur eine Kopfschmerztablette gegeben."

    100 Frauen und Kinder teilen sich in Pagani eine Toilette. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen spricht mit Blick auf die griechische Flüchtlingspolitik von Menschenrechtsverletzungen. Lokale Bürgerinitiativen in Mytilini haben als Erste die Zustände kritisiert. So wie Efi Latzoudi von der Gruppe "Prosfygi" - "Zuflucht". Sie hat schon oft Schuhe, Kleider und Medikamente für die Boatpeople gesammelt. Das müsste aber eigentlich der griechische Staat tun, schimpft sie. Der setze jedoch auf Abschreckung - auch im Auftrag der anderen EU-Länder, meint Efi Latzoudi.

    "Oft setzen sie illegale Einwanderer wieder auf die Straße. Wenn wir dort geholfen haben, ist das ein Problem, denn die Polizei kann einen anzeigen, wenn man diese Menschen bei der Einreise unterstützt. Wir haben ihnen trotzdem zu Essen gegeben. Und vor allem haben wir ihnen erklärt, welche Rechte sie haben."

    Auf Lesvos sind im vergangenen Jahr 13.000 Einwanderer angekommen, berichtet der Präfekt der Insel, Pavlos Vojatzis. Die meisten kommen aus Krisengebieten: Afghanistan, Irak, Somalia. Der griechische Innenminister hat nun das Asylrecht verschärft, sodass illegal Eingereiste bis zu sechs Monate festgehalten werden können. Und Asylanträge sollen nun von örtlichen Polizeidirektionen bearbeitet werden. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, lehnt es ab, an diesem Asylverfahren mitzuwirken. Insel-Präfekt Pavlos Vojatzis fühlt sich alleingelassen.

    "Auf Lesvos haben wir im Auffangzentrum Platz für 200 Personen - heute sitzen dort 1000. Auch die anderen Inseln haben keine größeren Kapazitäten. Wenn wir tatsächlich die Leute sechs Monate lang inhaftieren sollen, dann müssen wir in einem Gebäude, das für 200 Menschen Platz hat, 2000 Migranten festhalten. Das ist unvorstellbar."

    Auf den Friedhöfen der Insel werden immer wieder ertrunkene Boatpeople begraben. Gegen die Grenzpolitik protestierten Ende August Hunderte Antriassismusaktivisten aus ganz Europa und Griechenland. Das No-Border-Camp in Lesvos beherbergte angekommene Migranten. An der Hafenpromenade forderten die meist jungen Europäer "Bewegungsfreiheit für alle". Vor dem Gefängnis Pagani rüttelten sie am Zaun. Hinter den Gitterfenstern riefen die Insassen "Asadi, Freedom, Freiheit".

    Die Behörden haben daraufhin fast 500 inhaftierte Migranten freigelassen; vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche. Die Freigelassenen bekommen eine Aufforderung in die Hand gedrückt, Griechenland innerhalb 30 Tagen zu verlassen. Damit können sie legal die Fähre nach Athen nehmen. Die meisten wollen gar nicht bleiben, sondern in andere europäische Länder ziehen. Wenn sie in Griechenland registriert wurden, dürfen sie das aber nicht. Die Bevölkerung auf Lesvos ist gespalten.

    Mann: "Ich habe nichts gegen Einwanderer. Aber ich bin gegen illegale Einwanderer. In Griechenland haben wir schließlich Gesetze. Sie sollen ihnen sagen, wo willst du hin? Nach Europa. Bitte schön - geh nach Europa. Griechenland ist ein kleines Land, und wir können so eine große Last nicht tragen."

    Frau: "Es sollte mehr solcher Kundgebungen geben. Denn zuerst müssen wir uns erinnern, dass wir Menschen sind. Und Menschlichkeit kennt keine Grenzen."