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Grenzstadt Blagoweschtschensk
Russlands Wende in Richtung China

Russlands Verhältnis zum Westen verschlechtert sich, die Nähe zu China wächst. Im Tourismus macht sich dieser Wandel bereits bemerkbar: Lange führten die Deutschen die Statistik an, seit 2014 sind es die Chinesen. Ein Blick nach Blagoweschtschensk, der Grenzstadt zu China.

Von Gesine Dornblüth | 28.07.2016
    Blick von der russischen Grenzstadt Blagoweschtschensk auf das gegenüberliegende Heihe in China.
    Blick von der russischen Grenzstadt Blagoweschtschensk auf das gegenüberliegende Heihe in China. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    An der Promenade von Blagoweschtschensk hängt ein Schild: "Baden verboten". Der Amur fließt schnell. Ein Mann in Badehose setzt zu einem Salto rückwärts an. In der Flussmitte rauscht ein Ausflugsdampfer stromabwärts. Die Rettungswesten der Passagiere leuchten orange.
    Das Boot kommt aus Heihe. Die Stadt liegt direkt gegenüber am anderen Flussufer. Ein Riesenrad ist dort zu sehen, moderne Hochhaussiedlungen. Der Amur markiert die Grenze zwischen Russland und China. Seit den 90er-Jahren ist sie geöffnet. Mehrmals täglich verkehrt eine Fähre, Russen und Chinesen können ohne Visa auf die jeweils andere Seite fahren. Die Rentnerin Olga schaut über den Fluss.
    "Ich war drei Mal dort. Es ist nicht schlecht. Heihe ist eine saubere Stadt, asphaltiert, überall beleuchtet. Wir sind aber seit drei Jahren nicht mehr gefahren. Es ist teuer geworden, wegen des Rubelverfalls. Jetzt kommen die Chinesen eher zu uns und kaufen hier billig ein."
    Viele chinesische Touristen
    Die Zahl chinesischer Touristen, die Russland besuchen, hat sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Chinesen arbeiten auf Baustellen in Russlands fernem Osten. Und sie handeln auf den Märkten, verkaufen Waren aus China. Die russische Boulevardpresse warnt deshalb immer mal wieder vor einer "gelben Gefahr". Die Rentnerin Olga gibt nicht viel darauf.
    "Die Chinesen sind überall. Im ganzen fernen Osten. In Wladiwostok, in Chabarowsk, in Ussurijsk. Aber wenn du sie in Ruhe lässt, lassen sie dich auch in Ruhe. Ich denke, unser Staat wird nicht zulassen, dass China den fernen Osten vollständig besetzt. Oder vielleicht doch?"
    Etwas weiter packt ein Angler seine Sachen. Alexander ist Gelegenheitsarbeiter. Er war noch nie auf der anderen Seite.
    "Mir geht es auch hier gut. Und ich kenne dort doch keinen. Gerade war eine Gruppe Chinesen hier. Die kommen jeden Abend und machen Fotos. Mir ist egal, woher einer kommt, ob er Chinese, Japaner oder Amerikaner ist. Hauptsache, er ist ein Mensch."
    Blagoweschtschensk war, aufgrund der Grenznähe, zu Sowjetzeiten für Ausländer geschlossen. Die russische Regierung hat die Region lange vernachlässigt. Der Lebensstandard ist niedrig, Wohnraum teuer. Jeder Dritte möchte weg. Alexander sagt, die Neubauten in Heihe seien in wenigen Jahren förmlich aus dem Boden geschossen.
    "Wir haben angefangen, unser Ufer zu bebauen. Dann haben sie nachgezogen. Wir sind immer noch dabei, aber die – Sie sehen ja selbst, was dort alles steht. Die sind viele. Und die arbeiten wie die Ameisen, Tag und Nacht."
    Chinesen investieren in Russland
    Einige Chinesen investieren auch auf der russischen Seite. Das Hotel Azija gehört einem Chinesen. Es ist das höchste Gebäude im Zentrum von Blagoweschtschensk. Im obersten Stock dreht sich ein Restaurant. Drei Geburtstagsgesellschaften feiern an diesem Abend bei chinesischem Buffet. Während draußen die beleuchteten Viertel von Heihe und die dunklen Dächer von Blagoweschtschensk vorbeiziehen, wagen sich russische Frauen auf hohen Absätzen auf die Tanzfläche. Auch zwei junge Chinesinnen kommen dazu. Nach einer Weile fassen sich alle an den Händen.
    Der Besitzer des Hotels heißt He Wenan. Er kam vor 27 Jahren nach Russland, zunächst für ein chinesisches Unternehmen, dann machte er sich selbstständig. Er baut bereits das nächste Projekt: Klein-Venedig, einen Freizeitpark am Rand von Blagoweschtschensk mit originalgetreuen Nachbauten der italienischen Stadt. Im Hotel steht ein Modell: Der Markusturm von innen beleuchtet, die Barockkirche Santa Maria della Salute, ein Stück des Canal grande.
    "Diese Gebäude werden Hotels, insgesamt drei. Und hier bauen wir eine Fußgängerzone. Dort wird dann allerlei Kunst verkauft."
    In fünf Jahren soll Klein-Venedig eröffnet werden. He Wenan setzt auf Touristen aus China und aus Russland.
    "Aus Moskau, aus Novosibirsk. Das ist für einfache Leute, die nicht nach Europa reisen. Die sollen Venedig auch sehen können."
    Auch sprachliche Annäherungen
    Viele Chinesen in Blagoweschtschensk sprechen nur wenig Russisch. Und wenige Russen können die Sprache der Nachbarn. Das kann sich ändern. An der Pädagogischen Universität sitzen Chinesen in einem Seminarraum, lernen Russisch mit der Musik von Wladimir Wysozkij. Und immer mehr Russen studieren Sinologie, erzählt die Dekanin Olga Zalesskaja.
    "Die Russen, die hier leben, verstehen sehr gut, dass sie es ohne die Chinesen viel schwerer hätten. In den 90er-Jahren, als überall Mangel herrschte, haben wir praktisch dank der Chinesen und ihrer billigen Waren überlebt."
    Zalesskaja berichtet aber auch von Schwierigkeiten, chinesische und russische Studierende miteinander ins Gespräch zu bringen.
    "Wenn ein russischer Student einen chinesischen Freund finden will, der ihm beim Lernen der Sprache hilft, dann findet er einen. Diejenigen, die so ein Ziel nicht haben, bemühen sich auch nicht besonders, Chinesen kennenzulernen. Da macht sich der Kulturunterschied bemerkbar. Wir sind eben doch näher an Europa. Wenn Kommilitonen aus Europa hier sind, kommen unsere Studenten viel schneller in Kontakt. Die slawische Zivilisation und die konfuzianische unterscheiden sich einfach sehr."