Archiv


Grenzstadt der Vetriebenen

Die polnische Stadt Zgorgelec liegt an der Neisse, gleich gegenüber dem sächsischen Görlitz. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war hier Niederschlesien und beide Stadthälften gehörten zusammen.: In Görlitz und Zgorgelec leben noch viele Vertriebene. Die einen mussten ihre Heimat in Niederschlesien verlassen, die anderen kamen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten an die Neisse. Gemeinsam und offen über die Vergangenheit zu reden, fällt Polen und Deutschen noch immer schwer: Nach dem zweiten Weltkrieg bestand weder in Polen noch in der DDR die Chance öffentlich über die Vertreibung und das damit verbundene Elend zu reden. In Westdeutschland entstanden dagegen die offiziell geförderten Vertriebenverbände.

Von Jan-Uwe Stahr und Wojtek Mroz |
    Doch egal wie unterschiedlich der Umgang mit der Vergangenheit in der Vergangenheit auch war, für die Zukunft ist die offene Bewältigung notwendig. Daran glauben auch Hartmut Heinze aus Görlitz und Josef Grochala aus Zgorcelez. Zwei pensionierte Lehrer, die einen grenzübergreifenden Dialog führen:

    Wir gehen jetzt rüber auf die andere Seite nach Zgorcelec. Etwa 100 Meter von hier liegt das Jakob-Böhme-Haus.

    Hartmut Heinze nimmt den Weg über die neue Fußgängerbrücke. 4-5 mal pro Woche geht der 64jährige Görlitzer Geografielehrer über die Neisse nach Polen. "Ich bin ein Niederschlesier" sagt der Sachse und lächelt

    Ich bin geboren 1940 in Schlesiersee, polnisch Swarwa, das liegt etwa 130 Kilometer von Görlitz entfernt.

    Schon 1965 ist Hartmut Heinze das erste mal rüber gefahren zu seinem Geburtshaus. Pflegt seitdem den Kontakt mit den polnischen Bewohnern. Heute spricht er selber fließend polnisch. Als einer von wenigen Görlitzern.


    Das Ziel ist erreicht. Das Jakob-Böhme-Haus in Zgorgelec. Ein kleines Geschichts-Museum, benannt noch einem Görlitzer Schuster und Philosophen aus dem 17. Jahrhundert. Geleitet wird das Jakob-Böhme-Haus von Josef Grochala, einem pensionierten Geschichtslehrer aus Zgorcelec.

    Der graubärtige Pole schüttelt dem Deutsch die Hand und lächelt verschmitzt, die braunen Augen funkeln hinter der Brille. "Zgorgelec/Görlitz Kulturhauptstadt 2010" steht auf seiner blauen Schirmmütze.Grochala ist gut einen guten Kopf kleiner als Heinze. Er kommt aus dem ehemaligen Ostpolen, der jetzigen Ukraine. 1943 evakuierte die deutsche Wehrmacht sein Heimatdorf. Nach dem Krieg kam er zurück. Wurde dann, 1951, aus der Ukraine zwangsausgesiedelt. Und kam nach Zgorgelec:

    Ich hab schon Hartmut erzählt, ich war zweimal Vertriebener. Aber die Polen benutzen diesen Begriff "Vertriebene" nicht. Das hat ziemlich aggressive Bedeutung.

    Ausgesiedelt sei ein besseres Wort, sagt der Geschichtslehrer. Und zwar auch für die Deutschen, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen mussten. So wie Hartmut Heinze. Aber der mag diese Bezeichnung nicht.

    Ich bin ein Vertriebener. Wir haben mit Josef - wir sind ja Freunde und feiern in Görlitz die Brücke - aber es gibt jetzt ein Thema, wo dann doch die Meinungen, dann doch etwas auseinandergehen...

    Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem deutschen Geografielehrer und dem polnischen Geschichtslehrer kreisen immer wieder um den verschiedenen Blick auf die Heimat.

    Er hat mir zum Beispiel vorgeworfen - ich war inzwischen 10-12 mal an meinem Geburtsort in Schlesiersee in (polnischer Name) - die Deutschen würden allgemein nur hinfahren, weil sie was haben wollen. Das habe ich zurückgewiesen, ich will überhaupt nichts haben. Mich zieht es einfach in meinen Geburtsort.

    Tatsächlich hat der Pole ein ganz anderes Verhältnis zu seiner alten Heimat., als sein deutscher Freund.

    Hartmut hat mich gefragt, warum fahre ich nicht nach Osten, wo ist meine Heimat? Ich habe schlechte Erinnerungen von da. Meine Familie sind bestialisch ermordet. Dort fahre ich nicht hin, gern. Ich habe nur schlechte Erlebnisse. Und manche Deutsche sagen: Hey, Du bist schlechte Patriot, weil ich möchte meine alte Gelände nicht sehen. Nee, ich bin nicht, ich habe schlechte Erfahrungen, deshalb fahre ich nicht hin.

    Meinungsverschiedenheiten gibt viele zwischen Görlitzern und Zgorcelecern, sagt Hartmut Heinze. Während Josef Grocala ihm einen Kaffe einschenkt. Auch über die Bezeichnung "wiedergewonnene Gebiete", die in Polen jetzt häufiger verwendet wird. Zum Beispiel neulich bei einer Ausstellungseröffnung im Dom Kultury, dem Zgorceler Kultur-Haus.

    Josef) das war ein guter Begriff, ich bin dafür, für den Begriff, ja. .... (Heinze)
    Und jetzt hatten wir, auch im Dom Kultury in Zgorzelec - dort ist auch von dem Priester .... von wiedergewonnenen Gebieten gesprochen worden. Und uns stört das eigentlich sehr, dass es jetzt offensichtlich zunimmt.


    Der Geschichtslehrer Grocala verschränkt die Arme über der Brust. Lehnt sich auf seinem Stuhl etwas weiter zurück. Für ihn sind die Gebiete östlich der Neisse historisch gesehen genauso polnisch, wie sie für die Vertriebenen Schlesier deutsch sind. Zumindest wenn man weit genug in die Vergangenheit zurückblickt. Aber der Pole aus der Ukraine kennt die Empfindlichkeiten der ehemaligen Niederschlesier. Aus seinem deutsch-polnischen Diskussionskreis, den er seit 14 im Jakob-Böhme-Haus leitet. Ebenso wie die Sprachkurse für deutsch und polnisch

    Wir diskutieren und streiten ziemlich. Aber schauen mehr in die Zukunft und dieser kleine Streit schadet uns nicht im Zusammenleben. Wir können nicht unter dem Teppich verstecken, diese verschiedenen Probleme, welche gibt es.

    Der Diskussionsstoff wird in der Verriebenen- und Ausgesiedelten-Stadt Görlitz/Zgorgelc vorerst nicht auszugehen. Da sind sich Grochala und Heinze einig. Schon wegen des umstrittenen Informationszentrum, dass die deutschen Vetriebenen-Verbände gerne bauen möchten. Ihre Präsidentin, Erika Steinbach, ist ein rotes Tuch für Josef Grocala. Aber über den Vorschlag der Görlitzer, dieses Zentrum hier an der Neisse anzusiedeln, könne man reden, findet er.

    55.44. ich habe gesagt, in Görlitz/Zgorgelec, das kann ich ziemlich verstehen. Aber das müssen wir genau wissen: Wer organisiert das, welche Schriften, welche geschichtlichen Quellen werden dort aufbereitet. Wenn die Deutsche wie Erika Steinbach vorbereitet, dieseses Mauso..., dieses Zentrum, ja, ich bin dagegen. Das müssen sehr kluge, echte Historiker machen, nicht Fanatiker.


    Und das waren die Gesichter Europas: Die verschwiegene Vergangenheit - die Vertreibung von Polen und Ukrainern. Eine Sendung von Jan-Uwe Stahr und Wojtek Mroz . Die Musikauswahl traf Erhard Gehl. Durch die Sendung begleitete Sie Britta Fecke.