Donnerstag, 28. März 2024

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Griechenland
Chatzimarkakis: "Die Troika gilt als verhasst"

Der Kampf gegen Steuerflucht und Korruption sei eine Chance für EU und Griechenland, miteinander zu arbeiten: Hier seien Erfolge auch Erfolge für beide Seiten, sagte Jorgo Chatzimarkakis, Sonderbotschafter der griechischen Regierung bei der EU, im Deutschlandfunk. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sei gefangen in seiner eigenen Wahlkampfstrategie - eine Zusammenarbeit mit der Troika könne es etwa nicht mehr geben.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.02.2015
    Jorgo Chatzimarkakis, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments (FDP).
    Jorgo Chatzimarkakis, Sonderbotschafter der griechischen Regierung bei der EU, fordert Unterstützung bei der Bekämpfung von Steuerflucht ein. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Jasper Barenberg: Zugegeben, für Alexis Tsipras ist es ein schwieriger, ein delikater Spagat: Zu Hause wird der neue Ministerpräsident gefeiert, weil er das Ende der Einschnitte und der Opfer verspricht, bei den Partnern in der EU dagegen bläst ihm der Wind ins Gesicht. Konsterniert waren sie zuletzt gestern, als Finanzminister Varoufakis viel sagte, aber nichts unterschreiben wollte, heute wird Tsipras nun in Brüssel zum ersten Mal auf die Staats- und Regierungschefs treffen.
    Und am Telefon ist Jorgo Chatzimarkakis, viele Jahre Europaparlamentarier der Liberalen und heute Sonderbotschafter der griechischen Regierung bei der EU. Schönen guten Tag!
    Jorgo Chatzimarkakis: Guten Tag, Herr Barenberg!
    Barenberg: Vorher hatte ich erwähnt, wie sehr der Finanzminister Varoufakis gestern die anderen Kollegen, die anderen Ressortkollegen vor den Kopf gestoßen hat. Hat er die Finanzminister der EU düpiert gestern?
    Chatzimarkakis: Er hat zumindest einen düpiert, und das ist vielleicht auch Teil der Strategie, den Herrn Dijsselbloem, den Chef der Euro-Gruppe. Das war nicht das erste Mal, das erste Zusammentreffen der beiden in Athen war sehr peinlich, zumindest aus griechischer Sicht, aber auch aus europäischer Sicht für Herrn Dijsselbloem, und gestern sah es nicht besser aus. Wenn Herr Schäuble sich in den Flieger setzt, wohl meinend, dass es eine Vereinbarung gibt, und, als er in Berlin ankommt, feststellt, das ist nicht der Fall, dann geht das auf die Kappe auch von Herrn Dijsselbloem, der das offenbar nicht verhindern konnte. Der Herr Varoufakis ist ein interessanter Finanzminister, ich glaube, selten hat es einen Finanzminister eines so kleinen Landes geschafft, die Weltmedien so zu beherrschen, und er beherrscht eben auch die Spieltheorie. Und in der Spieltheorie ist eine Strategie zu schauen, wie ändert sich eigentlich das rationale Entscheidungsverhalten eines Menschen oder einer Gruppe in sozialen Konfliktsituationen; das testet er gerade aus.
    "Troika ist ein Tabuwort"
    Barenberg: Wann hat denn die EU Anspruch, wann haben die Partner Anspruch zu erfahren, was genau Griechenland will, um diesen Streit aus der Welt zu schaffen?
    Chatzimarkakis: In der Tat war es wohl das erste Mal, dass ein Finanzminister nur mündlich in einer solchen Situation vortrug und die Vorschläge nicht schriftlich gemacht hat. Aber jetzt wird es natürlich eng. Das Rückzahlungssystem, Griechenland muss seine Schulden dieses Jahr bedienen, da werden Anleihen fällig, das beginnt in dieser Woche und das ist sehr straff und da bleibt nicht viel Zeit. Gleichwohl gibt es ja Kompromisslinien, die auf dem Tisch liegen, die sich aus dem, was Herr Varoufakis mündlich vorgetragen hat, auch durchaus ableiten lassen. Vielleicht fangen wir mal mit dem Wichtigsten an, das ist der Begriff der Troika. Das ist ein Tabuwort in Griechenland, zumindest für die neue griechische Regierung, und ich glaube, da sind wir schon auf einer Linie, auch Herr Schäuble hat gesagt, ihm ist egal, wie das heißt. Und Griechenland wird ja mit den einzelnen Teilen der Troika verhandeln, aber eben nicht mit der Troika an sich. Sie gilt als verhasst, sie hat im Kommandoton theoretische Ideen versucht durchzudrücken, mit dem Ergebnis, dass die Wirtschaftskraft des Landes um 25 Prozent gesunken ist, die Jugendarbeitslosigkeit weit über 55 Prozent liegt, und das sind Dinge, die wollen die Griechen nun mal nicht mehr weiter haben. Der Europäische Gerichtshof hat der Europäischen Zentralbank die Teilnahme an der Troika nicht untersagt, aber hat sie infrage gestellt. Also, ich glaube, da lässt sich einfach eine Kompromisslinie finden. Schwieriger...
    Barenberg: Herr Chatzimarkakis, Zwischenfrage: Glauben Sie, dass die Kuh vom Eis ist, wenn die Troika nicht mehr Troika heißt?
    Chatzimarkakis: Zumindest ist dann ein Teilerfolg für Herrn Tsipras schon mal gegeben und ich glaube, der ist leicht einzufahren. Schwieriger wird es bei dem Begriff "Verlängerung des Programms". Ich meine, allen Beteiligten ist klar, dass die Frist, die wir uns gesetzt haben, Ende Februar, viel zu knapp gesetzt ist. Sie war gesetzt von der alten Regierung, das war ein Wunsch von Herrn Samaras und Herrn Venizelos, dass die Frist kurz ist, damit auch der Druck auf den griechischen Wähler so groß wird, dass er vielleicht Angst hat, Syriza zu wählen. Er hat trotzdem Syriza gewählt und jetzt bleibt uns nicht viel anderes übrig, als eventuell die am Anfang von der Bundesregierung bereits angebotene Frist bis Juni, nämlich dass man ein Übergangsprogramm hat, zu nutzen. Auch hier haben wir wieder ein Wortspiel: Herr Tsipras hat gestern darauf bestanden, dass das Wort Übergangsprogramm oder Programm an sich, Verlängerung des Programms nicht stattfindet. Deswegen hat Herr Varoufakis für eine Brücke gekämpft. Brücke, das mag jetzt Wortklauberei sein, aber hier hat sich Herr Tsipras zum Gefangenen seiner eigenen Wahlkampfstrategie gemacht. Will er glaubwürdig bleiben, muss er bei diesen Worten aufpassen.
    Steuerflucht und die Korruptionsbekämpfung unterschätzt
    Barenberg: Das klingt in der Tat nach viel Kosmetik und wenig Veränderung in der Sache. Denn wo hat die griechische Regierung denn eigentlich Spielraum nach all den Versprechungen, die sie den Menschen gemacht hat und damit die Wahl gewonnen hat?
    Chatzimarkakis: Es gibt ein Thema, was meines Erachtens von den Europäern massiv unterschätzt wird, das ist die Steuerflucht und die Korruptionsbekämpfung. Hier ergibt sich ein großer Spielraum, die griechische Regierung hat zum ersten Mal in ihrer Geschichte keine sozusagen Oligarchen geerbt, sondern ist oligarchie-frei, das ist neu. Sie hat einen Minister eingesetzt zur Korruptionsbekämpfung, einen Antikorruptionsminister, ein früherer Staatsanwalt am Obersten Gerichtshof, der bereits bisher Leiter der Behörde zur Bekämpfung von Schwarzgeld war, der sich auskennt. Der hat in einem AFP-Interview, das auch in Deutschland verbreitet wurde, gesagt, dass in kürzester Zeit 2,5 Milliarden Euro sehr rasch zu holen seien von Griechen, von griechischen Steuerflüchtlingen. Und da gilt es doch, mehr zusammenzuarbeiten. Das bietet die griechische Regierung an. Wer die griechischen Zusammenhänge kennt, weiß, dass wir in vielen Bereichen des Rechtsstaates sehr nah an der Oligarchie sind. Wir sind in einer Oligarchie, das ist vergleichbar mit anderen Ländern außerhalb der EU. Und wenn da eine Regierung kommt und ein Angebot macht, hier wirklich mit den Europäern gemeinsam Steuerflucht zu bekämpfen, das ist neu, das ist gut, und da ist schnell Geld zu holen und da sollte man die griechische Regierung massiv unterstützen. Das ist mutig. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Oligarchen das unbeantwortet lassen. Und hier ergibt sich ein Riesenspielraum für beide Seiten und auch ein Erfolg für beide Seiten, denn das hat Ansteckungsgefahr auch für andere Länder, im positiven Sinne, auch in Italien, auch in Spanien gibt es Steuerflucht, in Deutschland kennen wir sie auch, sie ist aber dann meistens ziemlich schnell eindämmbar.
    Barenberg: Und das könnte eine Brücke, zumindest ein paar Steine für eine Brücke, für eine Einigung sein. Vielen Dank für das Gespräch, Jorgo Chatzimarkakis!
    Chatzimarkakis: Danke, Herr Barenberg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.