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Griechenland
Schwierige Umsetzung des Flüchtlingsdeals

Seit dem 20. März werden Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln ankommen, in Hotspots gebracht und dort festgehalten. Ab Montag sollen die Menschen, die keinen Asylgrund haben, zurück in die Türkei gebracht werden. Der Politologe Thanos Dokos befürchtet, dass dramatische Szenen auf den Inseln entstehen könnten.

Von Wolfgang Landmesser | 02.04.2016
    Flüchtlinge, zumeist Familien mit Kindern, laufen durch die Straßen auf der griechischen Insel Chios.
    Der Politologe Thanos Dokos erwartet chaotische Zustände auf der griechischen Insel Chios. (picture-alliance/ dpa / EPA/Orestis Panagiotou)
    Was in den letzten Tagen auf Chios los war, lässt die Szenen vorausahnen, die sich ab Montag abspielen könnten. Im sogenannten Hotspot auf der Insel hatte es in der Nacht zum Freitag Krawalle gegeben. Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan waren aufeinander losgegangen. Es gab einen massiven Polizeieinsatz – und Flüchtlinge mussten mit Messerverletzungen ins Krankenhaus. Gestern brachen dann Hunderte Menschen aus dem Lager aus.
    Seit dem 20. März werden Flüchtlinge, die neu auf den Inseln ankommen, in die Hotspots gebracht und dort festgehalten. Übermorgen ist der Stichtag, ab dem Menschen, die keinen Asylgrund haben, zurück in die Türkei gebracht werden sollen. Thanos Dokos, Direktor des Athener Forschungsinsituts Eliamep rechnet mit dramatischen Szenen.
    "Wenn die Flüchtlinge und Migranten realisieren, dass ihre Hoffnungen endgültig zerstört sind, in ihre Zielländer im Norden zu gelangen, wird es Probleme geben. Ich erwarte, dass die ersten Tage sehr schwierig für alle Beteiligten werden."
    Die rechtlichen Voraussetzungen hatte am Freitagabend das griechische Parlament geschaffen – und ein Gesetz verabschiedet, das die Asylverfahren deutlich beschleunigen soll. Es löse das Flüchtlingsproblem nicht, sagte der Minister für Migration Ioannis Mouzalas.
    "Aber das Gesetz ist ein Instrument, das eine Lösung unterstützen kann. Die Nutzung dieses Instruments wird zeigen, ob es hilfreich ist. Wir glauben, es ist ein richtiges und gut gemachtes Instrument, das die Sache ehrlich beim Namen nennt."
    Politikwissenschaftler sieht Chance in dem Abkommen mit der Türkei
    Die perfekte Lösung für das Problem gibt es nicht, findet auch Politikwissenschaftler Thanos Dokos. Aber das Abkommen mit der Türkei biete wenigstens die Chance, die Zahl der Flüchtlinge, die auf die griechischen Inseln kommen, deutlich zu reduzieren.
    "Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera, es gibt hier keinen einfachen Weg. Ich denke, die rechtlichen Probleme sind in den Griff zu bekommen. Aber wie immer haben wir in Griechenland kein Problem mit der Gesetzgebung. Mit der Umsetzung beginnt die problematische Phase."
    Vor allem die griechische Asylbehörde steht vor einer riesigen Herausforderung. Bisher ist sie täglich mit 80 bis 100 Asylanträgen beschäftigt, rechnet Angelos Syrigos vor. Bald könnten es fast zehnmal so viele Fälle sein, so der Professor für internationales Recht an der Athener Panteion-Universität. Und das brauche Zeit – auch wenn die EU die Hilfe von Experten versprochen hat.
    "Rund 1.200 Fachleute sollen kommen, jeder von ihnen braucht ein Büro. Im Moment haben wir auf den Inseln keine Büros für 1.200 Leute. Jeder braucht einen Computer, eine gute Internetverbindung. Auf Lesbos ist einiges an Infrastruktur vorhanden, weil es eine große Insel ist. Aber ganz bestimmt nicht auf den anderen Inseln."
    "Sie hätten schon Ende Oktober handeln müssen"
    Also auf Chios, Samos oder Kos. Eine bessere Lösung wäre es gewesen, Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen an der türkischen Küste aufzubauen, findet der Politikprofessor, der in der Vorgängerregierung für Flüchtlingspolitik zuständig war. Seinen Nachfolgern von der linken Syriza bescheinigt er ein schlechtes Krisenmanagement. Dass zehntausende Flüchtlinge in Griechenland stranden würden, war abzusehen, meint er.
    "Sie hätten schon Ende Oktober handeln müssen, sie hätten Hotspots und Camps für die Leute schaffen müssen, die kommen. Wir haben darauf in der griechischen Presse hingewiesen, wir haben der Regierung Fragen gestellt, aber es hat wenig genutzt."
    Jetzt ist die griechische Regierung dabei, im Eiltempo Plätze für die Flüchtlinge zu schaffen, die sich zu Tausenden in wilden Camps aufhalten – im Hafen von Piräus oder in Idomeni an der mazedonischen Grenze. Und wenn die griechische Polizei mit den Abschiebungen in die Türkei beginnt, wird sie hart durchgreifen müssen. In den Hotspots auf den Inseln ist mit Aufständen zu rechnen. Die Zwischenfälle auf Chios könnten dagegen eine Kleinigkeit sein.