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Grigory Pasko (Rußland)

Der Föderale Sicherheitsdienst Rußlands - abgekürzt: FSB - ist der Inlandsgeheimdienst und viele seiner Mitarbeiter standen schon auf der Gehaltsliste des berüchtigten KGB zu Zeiten der Sowjetunion. Und an dessen Methoden fühlen sich jetzt so manche im Fall des Marine-Kapitäns Grigorij Pas'ko erinnert, gegen den in der Stadt Vladivostok im Fernen Osten Sibiriens in diesen Tagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor einem Militärtribunal verhandelt wird.

Robert Baag | 01.03.1999
    Der Föderale Sicherheitsdienst Rußlands - abgekürzt: FSB - ist der Inlandsgeheimdienst und viele seiner Mitarbeiter standen schon auf der Gehaltsliste des berüchtigten KGB zu Zeiten der Sowjetunion. Und an dessen Methoden fühlen sich jetzt so manche im Fall des Marine-Kapitäns Grigorij Pas'ko erinnert, gegen den in der Stadt Vladivostok im Fernen Osten Sibiriens in diesen Tagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor einem Militärtribunal verhandelt wird.

    Vladivostok, unweit der chinesischen und nordkoreanischen Grenze, ist zugleich Heimathafen der Russischen Pazifik-Flotte. Und dort diente der 34-jährige Offizier der Kriegsmarine als Militärkorrespondent der Flottenzeitung "Bojewaja Wachta" - zu deutsch in etwa: "Die Kampfwache" - bis zu jenem verhängnisvollen 20. November 1997. An diesem Tag kehrte er von einer Dienstreise nach Japan zurück und wurde - noch auf dem Flughafen von Vladivostok - festgenommen. Geheime Unterlagen über die Kampfbereitschaft der Pazifikflotte soll er gesammelt und an einen ausländischen Staat - gemeint ist Japan - weitergegeben haben. Ein Vorwurf, den Pas'ko, seine Angehörigen und Verteidiger sowie jene Menschenrechtsorganisationen, die sich seiher um diesen Fall kümmern, entschieden bestreiten.

    Pas'ko, so wird die Verteidigung zu beweisen versuchen, habe als offizieller Mitarbeiter japanischer Massenmedien an Tageszeitung "Asahi Shimbun" und an den japanischen Fernsehkanal "NHK" lediglich als "offen" bewertetes Material weitergegeben, in dem er über Umweltgefährdungen berichtete, die von der Pazifikflotte ausgehen - konkret: Über das Verklappen flüssiger Nuklearabfälle sowie das Versenken von Kampfmitteln und Munition im Meer durch die Marine.

    Aleksej Simonov, Präsident des Moskauer "Fonds zum Schutz der Glasnost'" vermutet daher ganz andere Motive der Geheimdienstler vom FSB:

    O-Ton Aleksej Simonov darüber: Sämtliche Rechtsschutz-Organe haben die Umweltgefahren bei Wladiwostok verbummelt, sagt Simonow. Das Verschleudern von Krediten für Umweltmaßnahmen sei von ihnen weder überwacht noch unterbunden worden. Pas'ko aber habe diese Geschwüre geöffnet und die Verantwortlichen der Geheimdienste bloßgestellt. Und dies sei der Grund für die Wut auf Pas'ko. Denn er habe den Nuklear-Streit "aus der Hütte getragen" - wie man in Rußland zu sagen pflege. Vor allem habe er begonnen, sich an die Namen jener heranzuarbeiten, die sich selbst großzügig aus den Finanztöpfen bedient hätten, aus Mitteln, die Japan für Spezialanlagen zur Verfügung gestellt habe, um den radioaktiven Abfall zu beseitigen.

    Auch Russell Working, Vladivostok-Korrespondent für das amerikanische Blatt "The Boston Globe" sieht Ungereimtheiten in der Festnahme Pas'kos:

    O-Ton Russell Working darüber: Diejenigen japanischen Reporter, mit denen Pas'ko zusammengearbeitet habe, habe man bislang nicht aufgefordert, das Land zu verlassen. Sie seien auch nie als potentielle Spione behandelt worden.- Pas'kos Anwälte hätten daraufhin auch schon öffentlich gefragt, weshalb die Japaner nie Schwierigkeiten bekommen hätten. Denn das wäre doch sicher passiert, wenn sie von Pas'ko sensibles Material bekommen hätten.

    Doch nicht nur die merkwürdigen Begleitumstände, die vor anderthalb Jahren zur Festnahme Pas'kos führten, auch der Prozeßverlauf selbst gibt Anlaß zur Sorge:

    Einer der Anwälte wurde inzwischen aus dem Prozeß ausgeschlossen, berichtet Working. Der Richter habe dessen Fragen nicht gemocht. Die Folge: Er durfte Pas'ko schließlich nicht mehr weiter verteidigen.

    In einem Brief schildert Pas'kos Ehefrau Galina, daß ihr Mann seitens der Untersuchungsbehörde beständig psychologischem Druck unterzogen werde. Er solle zum Beispiel seinen Agenten nennen, dann wolle man sich für ein niedrigeres Strafmaß einsetzen. Immerhin: Sollte Pas'ko vom Gericht für schuldig befunden werden, muß er nach russischem Gesetz mit einem Strafmaß zwischen 12 und 20 Jahren Haft rechnen.

    Galina Pas'kos Eintreten für ihren Mann, der schon jetzt - wie sie schreibt - nach monatelanger U-Haft in einer dunklen, fensterlosen, mit 32 Insassen völlig überbelegten Gefängniszelle an Tuberkulose erkrankt ist, blieb auch für sie nicht folgenlos, wie Working erfahren hat:

    O-Ton Russell Working darüber: An Pas'kos Familie werde offenbar ebenfalls Rache genommen. Als man ihn ver-haftete, seien ihm und seiner Frau das Auto konfisziert worden. Was - so die Frage - habe sein Auto mit dem Tatvorwurf zu tun??! Monatelang habe man dann seiner Frau auch einen Gefängnisbesuch verweigert - offenbar bloß deshalb, weil sie vor Journalisten gesagt habe, daß Pas'kos Informationsmaterial "offenes Material" gewesen sei. Dieses Statement aber sei wiederum als "gefährlich" eingestuft worden - prompt erging die Besuchsverweigerung.

    Für den Journalisten und Menschenrechtler Alexej Simonov deutet der bisherige Prozeßverlauf schon heute auf ein vorhersehbares Ende hin:

    O-Ton Aleksej Simonov darüber: Grigorij Pas'ko habe als Soldat nach Auffassung der Anklage eine Militärstraftat begangen, erklärt Simonov. Deshalb müsse er sich vor einem Militärtribunal verantworten. Bekannt sei aber, daß die Behörden untereinander Hand in Hand arbeiteten, also auch in der Beziehung Kriegsgericht/Geheimdienst. Es gelte das Prinzip: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Daraus aber folge: Vor diesem Gericht habe Pas'ko nicht die geringste Chance, zu gewinnen. Von Chancengleichheit auch nur zu reden, sei einfach nur noch unanständig!

    Der Fall Pas'ko, so Simonov weiter, habe über den individuellen Aspekt hinaus, aber noch einen ganz anderen Stellenwert für die Pressefreiheit in Rußland ganz allgemein - auch wenn der FSB stets bestreite, Pas'ko für seine journalistische Tätigkeit zu verfolgen. Deshalb sei die Anteilnahme des Auslands so wichtig im Fall Pas'ko, sagt Simonov und spitzt dann zu:

    O-Ton Aleksej Simonov darüber: Das ist zur Zeit das einzige, worauf ich hoffe, meint Simonov. An einer scharfen und unmißverständlichen Reaktion der Weltöffentlichkeit im Fall Pas'ko sei er deshalb sehr interessiert. Schließlich werde hier über den Journalismus an sich zu gericht gesessen. Nach der Logik der Anklagevertreter nämlich könne jeder recherchierende Journalist eines Staatsverbrechens beschuldigt werden, wenn seine Informationen nicht nur im eigenen Blatt sondern auch in ausländischen Medien verbreitet würden.

    Grigorij Pas'ko selbst scheint jedenfalls nicht aufgeben zu wollen. Aus dem Gefängnis heraus hat er sich bei den Wahlen zum Stadtparlament aufstellen lassen wollen. Aber auch bei diesem verfassungsmäßig garantierten Recht hat man ihn höheren Ortes behindert. So zumindest berichtet es die Journalistin Nonna Tschernjakowa. Am Wahltag habe sie vor den wenigen Wahllokalen, bei denen ein Kandidatenportrait Pas'kos überhaupt aushing, eine Umfrage gemacht. Und etliche Vladivostoker hätten bestätigt, für Pas'ko gestimmt zu haben. Denn, so deren Tenor...:

    O-Ton Nonna Tschernjakova darüber: Pas'ko habe unter dem Regime gelitten, beginnt Tschernjakowa am Telefon zu erzählen. Da sind auf einmal Störgeräusche zu hören. "Na, klar", meint sie daraufhin scherzhaft, "da hört wohl jemand mit. Bei uns ist schließlich alles möglich..." Und kaum hat sie diesen Satz beendet, da bricht die Verbindung auch schon zusammen. Nur noch das "Besetzt"-Zeichen ertönt...

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