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Grimassen gegen die Mauer

Eine 750 Kilometer lange Sicherheitsmauer, mit der sich Israel vor palästinensischem Terror schützen will, scheint geradezu als Einladung für Gegenwartskünstler. Auch für den französischen Fotografen JR, der durch Fotoserien von Teenagern aus Pariser Vorstädten bekannt wurde: Er hat etliche Palästinenser und Israelis davon überzeugt, dass sie vor der Kamera Grimassen schneiden sollen. Herausgekommen ist "Face 2 Face".

Von Dorothea Marcus |
    Übersehen kann man sie nicht. Im Gebiet von Jerusalem und Bethlehem zieht sie sich über die Hügel der heiligen Stadt, um jüdische Siedlungen herum und durch palästinensische Dörfern hindurch, die sogenannte israelische Sicherheitsmauer. Eigentlich sind nur sieben Prozent davon Mauer, der Rest ist elektronischer Zaun mit Patrouillenstraßen und Sandstreifen. 2,5 Millionen Dollar kostet ein einziger Kilometer. Ästhetisch gesehen ist die Mauer ein Monstrum: grau und etwa fünf Meter hoch. Seit einigen Wochen hängen an vielen Stellen drei Meter hohe Poster in Schwarz-Weiß mit Menschen, die ihre Augen verdrehen oder die Zunge herausstrecken. Manche tragen jüdische Schläfenlocken, manche islamische Gebetskappen.

    "Es geht nicht darum, die Mauer zu dekorieren oder schöner zu machen - dann hätte wohl kein Palästinenser mitgemacht. Es ist eher eine Gelegenheit, sich über sie lustig zu machen, ein Akt des zivilen Widerstands. Ich war selbst völlig verblüfft, dass die meisten es sofort akzeptierten, ihre Grimassen an der Mauer zu zeigen. Selbst ein Imam und ein Professor in Bethlehem waren einverstanden. Denn ich glaube, die meisten Menschen sind gegen diese Mauer, Israelis und Palästinenser. Sie ist hässlich und unmenschlich. Auf den Fotos konnte dann niemand unterscheiden, wer Israeli und wer Palästinenser ist. Letztlich sind wir uns alle sehr ähnlich. Wir wollen, dass Menschen genau darüber nachdenken."

    Ayman Abu Alzulof ist einer der auf den Fotos abgebildeten Palästinenser. Er hat die Arbeit der Fotografen JR und Marco auf palästinensischer Seite koordiniert. Der Schauspieler und Leiter einer alternativen Reisebüros bei Bethlehem kann seit Jahren nicht mehr nach Israel reisen. Auch zu ihm zu fahren ist, wenn man aus Jerusalem kommt, ein Abenteuer: Zuerst muss man einen arabischen Taxifahrer finden, der den Checkpoint überqueren darf. "Hier ist das größte Getto der Welt", hat jemand auf den Grenzübergang gesprayt. Aus palästinensischer Sicht ist die Mauer eine Katastrophe: Sie trennt Palästinenser von ihren Familien, nimmt Bauern Land, Palästinensern Bewegungsfreiheit und Arbeit - ganz abgesehen davon, dass sie weit in ihr Gebiet hineinreicht.

    Aus israelischer Sicht scheint die Mauer dagegen ihren Zweck zu erfüllen: Rund 250 Menschen wurden in Jerusalem, dem Zentrum des Nahostkonflikts, in der zweiten Intifada getötet. Seit Errichtung der Mauer niemand mehr, erzählt Raoul Shatzberg von der Nichtregierungsorganisation Economic Cooperation Foundation ECF, die dafür kämpft, dass der Mauerverlauf sich der Waffenstillstandslinie von 1948 annähert und sich aus palästinensischem Gebiet zurückzieht. Shatzberg ist auch Reserveoffizier der israelischen Armee.

    "Unglücklicherweise nähern sich viele Israelis der Mauer gar nicht. Sie versuchen nicht einmal, die andere Seite zu verstehen. Nach der Intifada denken sich Israelis: Wir gucken zuallererst auf unsere eigenen Leben und unsere Sicherheit, was auf der anderen Seite passiert, ist uns egal. Deshalb ist die Idee, die Menschen der anderen Seite zu zeigen, sehr wichtig. Aber ich bin nicht sicher, dass alle Orte, die Face to Face gewählt hat, perfekt sind, denn Israelis erreichen diese Punkte selten. sie liegen in den arabischen Stadtteilen von Jerusalem. Die Mauer trennt ja vor allem Palästinenser von Palästinensern. Aber trotzdem ist es sehr wichtig, dass Israelis verstehen, dass auf der anderen Seite der Mauer Menschen leben, die genauso Wünsche, Träume und Probleme haben."

    Bewusst sollten auf den Postern keine Politiker abgebildet werden, sondern normale Menschen: Lehrer, Friseure, Taxifahrer von beiden Seiten. Nach offizieller Erlaubnis wurde nicht gefragt, deshalb wurden die Fotografen auch am ersten Tag, als sie die Poster in Hebron aufhängten, für vier Stunden verhaftet. Was kann diese simple, fast naive Straßenkunst bewirken in Zeiten, in denen der Hass und das Unrechtsgefühl immer stärker wachsen? Ayman Abu Alzulof:

    "Ich glaube nicht, dass es Israelis und Palästinensern näher zum Frieden bringen wird. Aber es ist eine sehr einfache Art, Widerstand zu üben, und eine sehr simple Art, der anderen Seite zu zeigen: Wir sind auch menschliche Wesen. Ich glaube nicht, dass momentan irgend etwas zum Frieden führen kann, dazu ist der Hass zu groß: Für Palästinenser sind Israelis Soldaten und Mörder, für Israelis sind Palästinenser Terroristen. Das ist alles. Heute habe ich gerade wieder gelesen, dass sich 78 Prozent der Israelis darüber aufregen, dass ihre Regierung den Gazastreifen noch nicht bombardiert hat. Das ist mehr als Hass. Aber Aktionen wie "Face 2 Face" können kleine Teile der Gesellschaften annähern. Es gibt keine andere Lösung - wir müssen ja irgendwie zusammenleben. Die Alternative wäre ja sonst nur die Zerstörung von ganz Israel und ganz Palästina."