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Grimm-Märchen und Harry Potter

Claude Simon gestorben +++ Goya Berlin +++ CDU Programm zu Kultur und Bildung +++ Gerhard Schröder und Peter Boenisch +++ Unesco Kölner Dom +++ Unesco Grimm-Märchen und Harry Potter

Von Matthias Sträßner |
    Die letzte Woche brachte große Namen in Erinnerung, die trotzdem merkwürdig unbekannt geblieben sind.

    Claude Simon zum Beispiel, der französische Literatur-Nobelpreisträger, dessen Tod die letzten Sonntagszeitungen gerade noch melden konnten. Claude Simon gilt als schwierig zu lesen, aber Rolf Vollmann hält in der ZEIT dagegen:

    "Man sagt, Simons Bücher seien schwer zu lesen, aber nach einer halben Stunde ist jeder Leser, der Lust auf das hat, was er nicht schon längst kannte, gebannt von einem Fluss der Bilder entlang der Oberfläche der Welt. Die Bilder fließen wirklich, sie gehen ineinander über, nichts ist Vorsatz oder vorher fertiger Gedanke, sondern alles, was vorkommt (Krieg, Liebe, Geschichte, Ende, Tod, Schönheit), sieht aus, als müssten wir erst wieder anfangen, es zu verstehen. Wir werden beim Lesen, wenn man so sagen darf, zusehends unvorbereiteter auf alles, was wir zu kennen glaubten."

    Thomas Steinfeld erinnert in der Süddeutschen (11.7.) aber auch an die besondere Leistung des deutschen Verlages: "Merkwürdig vergeblich wirkt leider immer noch die heldenhafte Anstrengung des DuMont-Verlages, den größten unbekannten Schriftsteller Frankreichs wenigstens in Deutschland diesem Wechsel von Wegdämmern und Erinnern zu entreißen. Simon, diesen eigensinnigen und stolzen Autor, haben diese Wechsel wohl kaum irritiert - von Joseph Conrad hatte er sich das Motto "wir leben, wie wir träumen – allein" entliehen, und es muss ihm ernst gewesen sein."

    Das zweite Beispiel ist Goya. Der König der Maler ist seit letzter Woche in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen. Einige der Werke waren nie außerhalb Spaniens zu sehen, andere sind seit Jahrzehnten nicht mehr öffentlich gezeigt worden. Das Feuilleton spricht einhellig von einer Sensation. Stellvertretend Ulrich Clewing in der Frankfurter Rundschau (13.7.):

    "Diese Ausstellung ist eine Sensation. Noch nie waren Werke des großen Spaniers in einem derartigen Umfang in Deutschland präsent: 70 Gemälde, 40 Zeichnungen und 30 Graphiken, zusammengetragen aus aller Welt, vor allem aber aus Museen und von privaten Leihgebern in Spanien, die traditionell auf ihre Schätze extrem ungern verzichten - das ist ohne Frage ein epochales Ereignis. Zehn Jahre Vorbereitungszeit hat diese Kooperation des Prado in Madrid, der Berliner Museen und des Kunsthistorischen Museums in Wien (wohin die Schau anschließend wandert) verschlungen, das nur als Hinweis, wie kurzfristig wohl mit einer ähnlichen Gelegenheit zu rechnen ist."

    Aber auch das politische Feuilleton hatte zu tun: diskutiert wurde etwa die Rolle, die Bildung und Kultur im Wahlprogramm der CDU spielen. Jens Bisky in der Süddeutschen (12.7.):

    "Für alle, die sich nicht einreden lassen wollen, dass die Zukunft des Landes von zwei Prozent Mehrwertsteuer abhängt, mag das Wahlprogramm der CDU eine Enttäuschung sein. Für jeden aufrechten Konservativen ist es eine Katastrophe. Über eine vernünftige Kulturpolitik des Bundes schweigt das Papier, beim Thema Bildung besticht es durch Phrasen und Starrsinn; Fragen, über die zu streiten lohnte, werden nicht einmal gestellt. Keine Spur von den konservativen Tugenden, die am weltläufigsten Golo Mann gepriesen hat. Man vermisst "das In-Rechnung-Stellen von des Menschen wirklicher, wirklich umschränkter Natur" ebenso wie "die Sympathie für das Gute Alte, das Gewordene, Traditionelle". An deren Stelle scheinen Eigenverantwortungsgeschwafel und reaktionärer Kleingeist getreten. Leichter als hier konnte man programmatische Aushöhlung lange nicht studieren."

    Die FAZ vom Samstag berichtet, wie der Journalist Peter Boenisch letzte Woche am Tegernsee zu Grabe getragen wurde. Nils Minkmar: "Dass Bundeskanzler Schröder, dessen rot-grüne Regierung die Bild-Zeitung immer wieder angegriffen hat, die Trauerrede halten würde, das war denn schon eine Überraschung. Schroeder hält sich an die Sache, an Boenisch, und das bedeutet …eben auch von der Seitwärtsbewegung zu sprechen, von der Lagerüberwindung in jenem Kommentar, damals 2001: Da hatte Boenisch sich zur Spontivergangenheit Joschka Fischers geäußert und geschlossen, es komme heute auf dessen diplomatisches Geschick an ,und nannte die Achtundsechziger-Zeit damals, "beiderseits gewaltbereit und hasserfüllt." Der von Schroeder zitierte Boenisch weiter: "Ich muss es wissen: Ich habe damals mit >Bild < auf der anderen Seite der Barrikade gestanden."

    Die Unesco hat letzte Woche in Sachen Weltkulturerbe Zeichen gesetzt: positiv für den Limes und Grimms Märchen, negativ für den Kölner Dom. Denn Köln müsste tief in die aktuelle Stadtplanung eingreifen, um den Dom auf der Weltkulturerbe-Liste zu halten. Gottfried Knapp in der Süddeutschen Zeitung (15.7.):

    "Was immer passieren wird, das Ergebnis wird unschön sein: Entweder erfüllt sich Köln in Deutz einen alten Traum und verliert dadurch den Status des Weltkulturerbes, oder es bleibt in der Weltliga, gibt sich rechtsrheinisch aber mit einem hässlichen Kompromiss aus Hohem und Abgesenktem zufrieden."

    "Set your alarm: 16.Juli!" – so lauteten die großformatigen Anzeigen des Bloomsbury Verlags für den neuen "Harry Potter and the Half-Blood Prince". Hubert Spiegel verbindet in der FAZ vom Samstag (16.7.) die Werke der Brüder Grimm, deren Handexemplar jetzt in das Verzeichnis des Weltdokumentenerbes der Vereinten Nationen aufgenommen worden sind, mit Harry Potter:

    "Von heute an türmt sich in den Buchläden der Welt das sechste Abenteuer eines Zauberlehrlings, dessen Erfolg märchenhaft ist. Wie Aschenputtel von der Magd zur Prinzessin aufsteigt, so stieg die arbeitslose Joanne K. Rowling zu einer Bestseller-Autorin auf, die alle Auflagen- und Umsatzrekorde auf dem Büchermarkt gebrochen hat. Rowling hat nach den Maßstäben unserer Zeit die meisten anderen Autoren hinter sich gelassen. Auch die Brüder Grimm?"

    Tage zuvor zeigte sich das Feuilleton ob der verkaufsfördernden Geheimniskrämerei um den neuen Potter allerdings reichlich "genervt". Die FAZ vom Mittwoch:

    "Der ganze Zinnober, den der Verlag Bloomsbury mit seinem Goldflegel treibt, verlässt mittlerweile das Stadium des Absurden und gleitet langsam, aber sicher ins Widerwärtige ab. Die kanadischen Käufer, die die Bücher dem Vernehmen nach völlig legal erworben haben, wurden ausfindig gemacht, vor Gericht gezerrt, zur Rückgabe der Bücher gezwungen und per einstweiliger Verfügung zu Stillschweigen über die Handlung verpflichtet. Als Lohn für ihr erzwungenes Entgegenkommen sollen die Käufer nach der offiziellen Veröffentlichung ein Autogramm der Autorin J.K. Rowling erhalten - ein reichlich schäbiges Zauberkunststückchen."