Archiv


"Grimm Press"

Die "deutsche Märchenstraße", die vom Geburtsort von Jacob und Wilhelm Grimm, Hanau am Main, bis nach Bremen führt, erinnert heute noch an die kulturelle Großtat der Gebrüder, die berühmten "Kinder- und Hausmärchen" erstmals 1815 zu veröffentlichen. Seit einigen Jahren scheint diese Märchenstraße bis nach Taiwan verlängert worden zu sein. Dort sitzt ein Verlag, der die Brüder Grimm im Namen trägt.

Von Katharina Borchardt |
    Unten der Esel, auf seinem Rücken der Hund, darüber die Katze und auf ihrem Kopf der Hahn. Die vier Bremer Stadtmusikanten. Sie bilden das Logo von "Grimm Press", einem Kinder- und Märchenbuchverlag aus Taiwan. Wenn man Janet Ou, die Marketing-Managerin des Verlags, allerdings fragt, welche Geschichte sich hinter den vier Tieren verbirgt, ist sie ratlos. "Grimm Press" heißt zwar "Grimm Press" und der Verlag bietet tatsächlich auch einige Märchen der berühmten Brüder an. Allerdings hat man es nicht so mit der Tradition. Auch auf die Frage, warum man damals – als der Verlag vor 13 Jahren gegründet wurde ausgerechnet die deutschen Gebrüder als Namensgeber bemühte, ist die Mitarbeiterin nicht wirklich vorbereitet:

    " Ich weiß es wirklich nicht. Aber soweit ich weiß, muss das etwas mit den Märchen der Grimm-Brüder zu tun haben. "Grimm Press" gibt Kinderbücher heraus und der Meilenstein für Kinderbücher sind doch die Grimmschen Märchen. "

    Der wahre Grund liegt wohl darin, dass man einen Namen brauchte, der vor allem in Europa und Nord-Amerika funktioniert. Denn "Grimm Press" geht es einfach darum, welcher Betrag am Ende auf dem Verlagskonto steht. Von Anfang an war der Plan, aufwändig illustrierte Märchen- und andere Kinderbücher herauszugeben, um die Lizenzen für diese Bände anschließend in alle Welt zu verkaufen.

    " Wir verkaufen eine Menge Lizenzen für Märchenbücher nach Amerika und sogar zurück nach Europa. Denn: Wir haben die Illustratoren aus Europa. Mit denen arbeiten wir. Und wenn die Bücher einmal publiziert sind, verkaufen wir sie nach Europa zurück. "
    Auch einige deutsche Verlage haben bereits Lizenzen für "Grimm Press"-Bücher erworben: Coppenrath, Patmos oder Egmont zum Beispiel. Die deutschen Herausgeber schätzen insbesondere die künstlerisch hochwertigen Illustrationen. Sie sind es, die den wirtschaftlichen Erfolg des Verlags aus Taipei begründen.

    " Wir wachsen schnell. Momentan sind wir einer der führenden Kinderbuch-Verlage in Taiwan. Wir greifen auf einen sehr stabilen Pool von Illustratoren zurück. Kinderbücher bestehen ja aus Geschichten und aus Illustrationen. Wir arbeiten mit mehr als 100 Illustratoren weltweit zusammen. Viele von ihnen haben bereits Preise in Bologna gewonnen. Sie sind wirklich sehr bekannt. Unsere Publikationen sollen weltweit funktionieren und sie werden auch von einem internationalen Publikum geschätzt. Wir verkaufen unsere Copyrights nach Amerika, nach Japan und ganz besonders auch nach Korea. "

    Süd-Korea ist bisher der größte Abnehmer von Märchenbuch-Lizenzen. Etwa 200 Titel konnte "Grimm Press" bereits an koreanische Verlage verkaufen. Auf den internationalen Buchmessen sei es in Seoul, in Bologna oder auch in Frankfurt tritt "Grimm Press" sehr offensiv auf. Am Verlagsstand trifft man deshalb auch weniger die Lektoren des Verlags als die Mitarbeiterinnen der Marketing-Abteilung.

    Kleinlich ist der Verlag bei der Präsentation seiner sehr westlich gestalteten Bücher nicht. Unübersehbar ist, dass nur wenig asiatisch anmutende Bände darunter sind. Ob es nun Märchen von Grimm oder Andersen, ob es Dramen von Shakespeare oder die Lebensgeschichten großer Künstler sind – sie alle sind so bebildert, dass sie den westlichen Geschmack bedienen. Deutlich asiatische Illustrationen gibt es allenfalls in den spärlich vertretenen asiatischen Erzählungen. In Ostasien ist man durch die Märchenbuchproduktion inzwischen mit europäischen Märchen fast vertrauter als mit einheimischen Fabeln. Wenn man genauer nachfragt, findet das auch Janet Ou problematisch:

    "Warum lesen wir als Kinder denn Geschichten wie die von "Rotkäppchen"? Wir wissen doch gar nichts über Europa! Unser Wald sieht doch anders aus als der Wald in Europa, in Deutschland. Trotzdem lesen wir Geschichten darüber, zum Beispiel über dieses kleine Mädchen im Wald, das seine Großmutter besuchen geht. Das ist auch ganz anders gekleidet als wir. Alles ist anders als bei uns und trotzdem lesen die Mütter den Kindern diese Geschichten vor. "

    Europäische Märchen werden sich weiterhin gut verkaufen. Mit seinen hochwertigen Illustrationen trägt der Verlag "Grimm Press" das Seinige dazu bei. Die wirtschaftlich denkenden Mitarbeiter messen den Erfolg gerne in Zahlen: Pro Jahr steigt der Gewinn des taiwanesischen Verlags um etwa 20 Prozent.