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Gröde und das Meer

Bei Hochwasser ist die Hallig Gröde von der Außenwelt abgeschnitten. Landunter kommt etwa 20 bis 30 Mal im Jahr vor. Denn schon bei einem Tidenstand, der einen Meter über der normalen Fluthöhe liegt, wird Grödes Land vom Meerwasser verschlungen. Das ganze Leben richtet sich hier nach den Gezeiten und dem Wetter.

Von Thomas Gith | 23.09.2007
    Um 5 Uhr 30 ist Familie Kolk-Gessing an diesem Morgen aufgebrochen. Barfuß sind Sabine, Jürgen und Marlin die sechs Kilometer durchs Watt gelaufen, hin zum Festland. Die Kolk-Gessings haben die Ebbe genutzt, um von ihrer Hallig Gröde an Land zu kommen.

    "Ja, das ist einfach schön, so diese Stimmung. Es ist ganz still, man ist irgendwie mit sich, hat nur die Vögel, und irgendwann, so nach einer halben Stunde, ging die Sonne auf, und man läuft dann so, wenn wir von Gröde kommen, Richtung Festland, direkt in die Sonne rein, und das ist eine wunderschöne Stimmung. Das ist so beruhigend, man spaziert so übers Watt, da ist keine Hektik dabei, schon sehr schön."
    Doch nur selten wählen sie den Weg zu Fuß durchs Watt. Bei Flut bringt sie das Schiff zum Festland. Andere Möglichkeiten, die Hallig zu verlassen, gibt es nicht. Die 18 Einwohner auf Gröde kommen ohne Lorenverbindung zum Festland aus. Wenn Hochwasser ist und das Wattenmeer mit Salzwasser geflutet, dann ist auch ihre Hallig von der Außenwelt abgeschnitten. Besonders für Malin und Jesper Kolk - die beiden Kinder der Familie - war das eine ganz neue Erfahrung. Seit zwei Jahren leben sie und ihre Eltern jetzt hier: Nach Stationen in Berlin und Kiel. Für ihren Sohn Jesper war vor allem ein Erlebnis prägend, erzählt seine Mutter Sabine Gessing: Als er spazieren war und plötzlich das Wasser die Hallig überflutete.

    "Einmal kam Landunter und Jesper war halt unterwegs und wir haben da einfach nicht so drauf geachtet, wir hatten hier unsere Baustelle und er musste Gräben durchqueren mit dem Hund und kam mit klitschenasser Hose an, und das war ihm eine große Lehre, und er hat einfach auch gelernt, hier das ernst zu nehmen, auch die Natur."
    Landunter: Das heißt, dass bis auf die zwei Gröder Warften die gesamte Hallig überflutet ist. 20 bis 30 Mal im Jahr kommt das vor. Denn schon bei einem Tidenstand, der einen Meter über der normalen Fluthöhe liegt, wird Grödes Land vom Meerwasser verschlungen. Die Sechs Häuser auf Gröde stehen zum Schutz vor dem Wasser daher auf zwei Warften: Das sind gut fünfeinhalb Meter hohe, künstliche aufgeschüttete Hügel - ist die Hallig überflutet, ragen nur noch sie aus dem stürmischen Meer. Das ganze Leben richtet sich hier nach den Gezeiten und dem Wetter. Im Winter kann es auch schon mal vorkommen, dass das Schiff nicht lange auf der Hallig anlegen kann, weil der Sturm zu stark ist. Die Einkäufe müssen dann an Bord bleiben - und natürlich bedeutete das auch Entbehrung, grade für die Kinder, sagt Sabine Gessing. Denn einkaufen können sie auf Gröde nicht.

    "Die Kinder kriegen dann halt mal nicht ihre Nutella oder ihr Eis, was sie haben wollten, und das ist nicht schlimm, weil es geht uns ja allen gleich hier. Und solche Erfahrungen sind zum Beispiel auch gut. Die regen sich nicht mehr über solche Sachen auf, was weiß ich, dass sie jetzt nicht die neueste Wendy haben und wenn jemand eine Wendy hat, dann freuen sie sich einfach darüber, auch wenn die schon drei Wochen alt ist, dass sie die Wendy mal durchblättern können."
    Lebensmittel, Kleidung, Seife, Zeitungen - alles müssen die Halligbewohner auf dem Festland einkaufen. Nur ein kleiner Kiosk steht auf Gröde - doch die Schokoriegel, Getränke und Halligkekse, die es dort zu kaufen gibt, sind in erster Linie für die Tagestouristen bestimmt, die im Sommer hierher kommen. Betrieben wird der Kiosk von Monika Mommsen, der Frau des Bürgermeisters. Seit nunmehr fast 30 Jahren wohnen sie und ihr Mann Volker Mommsen gemeinsam auf der Hallig. Volker Mommsen selbst hat schon den größten Teil seiner Kindheit und Jugend auf Gröde gelebt - seine Frau ist aus Berlin hierher gezogen. Doch wer glaubt, dass nur, wer sich vom Leben zurückziehen will, auf die Hallig zieht, der irrt, sagt Bürgermeister Volker Mommsen und räumt so mit einem gängigen Vorurteil auf.

    Also, das ist keine Aussteigermentalität, die hier rüber zieht. Das sind handfeste Menschen, die hier leben, die also nicht jetzt ein anderes Leben suchen. Also das Leben ist hier, außer dass es auf der Hallig ist, und das man also nicht eine tägliche Verbindung hat zum Festland, nicht jeden Tag einkaufen kann, ist es also ähnlich wie bei ihnen auch. Also, wir können nur eben nicht, wenn wir wollen, mal eben auf ein Bier in die Kneipe oder ins Kino, dass geht so schnell nicht, das ist mit mehr Planung verbunden."
    Dass sie nicht als Aussteiger auf der Hallig leben - darüber sind sich alle Bewohner einig. Dazu gibt es auch zu viel alltägliches zu tun für die Gröder: Sie müssen die Höfe instand halten, die Salzwiesen pflegen, sich immer wieder auf extremes Hochwasser vorbereiten - und dann ist da ja auch noch die Arbeit im Küstenschutz. Vier der Gröder Männer sind in ihm tätig - angestellt vom Amt für ländliche Räume. Doch trotz aller Arbeit ist es meist ein ruhiges Leben, das sie auf Gröde führen. Und diese Ruhe zieht auch die Feriengäste an - die kommen entweder einmal und nie wieder oder eben immer wieder, sagen die Gröder. Christa Winter aus der Nähe von Verden ist eine derjenigen, die immer wieder kommt. Seit nunmehr zehn Jahren ist sie mindestens einmal im Jahr auf der Hallig. Doch dauerhaft möchte sie nicht auf Gröde sein.

    " Ich möchte hier nicht leben, dass wäre mit zu abgeschnitten. Denn es ist ja nicht immer so, auch für die Kinder ist es ja nicht immer so, dass hier immer Leute sind zum Spielen, sondern es sind ja auch viele Monate, wo denn wirklich auch nichts los ist. Wo man wirklich auch was mit sich anfangen muss, oder ein Hobby haben muss. Dann kommt es schon glaube ich drauf an, ob man es mag oder nicht. Es gibt schon Monate, glaube ich, da muss man mit sich selber fertig werden. "
    Anders ging es Jürgen Kolk - auch er war früher Feriengast auf Gröde, doch sein Traum war es immer, ganz auf der Hallig zu leben. Schon als Kind war er regelmäßig hier. Seine Tante und sein Onkel wohnten auf der Hallig, ihnen gehörte einer der Höfe. Als sich vor zwei Jahren die Gelegenheit ergab, ihren Hof zu erwerben, entschieden sein Frau und er sich für den Kauf. Für ihn ist es, als ob er endlich nach Hause gekommen ist, sagt Jürgen Kolk selbst. Doch auch er gibt zu: Das Leben auf der Hallig stellt besondere Anforderungen.

    "Also ich denke, hier auf der Hallig muss man ein bisschen mit sich selbst zufrieden sein. Man muss schon mit sich selbst im Reinen sein, weil, wenn man immer noch wieder auf der Suche ist - das ist zwar eine sehr schöne Eigenschaft, und ich finde, man sollte das Suchen und Träumen auch nie verlieren - aber wenn man immer noch wieder auf der Suche nach was Neuem ist, dann ist man hier, denke ich, fehl am Platze. Weil, wir leben eigentlich sehr gebunden hier."

    Gebunden sind die Gröder vor allem an die Natur. Wenn der Wind kräftig bläst und er das Wasser auf die Hallig treibt, dann ist es mit der Arbeit im Freien vorbei. Doch meist weht nur etwas Wind - wenn dann im Haus der Kolk-Gessings die Fenster geöffnet sind, dann hört man ihn heulen.

    Dennoch leben die Gröder immer mit der Gewissheit, dass es sie wieder einmal treffen könnte: Dass aus einem leichten Wind ein Orkan wird, der die See aufpeitscht - und dass dann eine Sturmflut ihre Hallig bedroht. Im Extremfall können dann sogar die Warften überfluten. Auf der Hallig ist man darauf vorbereitet, sagt Jürgen Kolk.

    "Also, jedes Haus hier auf Hallig Gröde hat einen so genannten Schutzraum, der Schutzraum ist im oberen Stockwerk untergebracht. Ist eine geschlossene Betonkapsel, die auf Betonpfeilern ruht. Und diese Pfeiler gehen dann noch durch die Bodenplatte des Hauses bis vier Meter tief runter in den Halligboden. Und dieser Schutzraum soll dann als Ganzes, als geschlossene Kapsel, stehen bleiben, falls mal hier eine Sturmflut mit so viel Energie herkommt, dass das Haus zerstört werden würde, dann soll die stehen bleiben. Wir können uns das gerne mal anschauen. Man kann hier unten, im unteren Teil des Hauses, die Pfeiler sehen, die sind bei uns jetzt zum Beispiel im Schlafzimmer."
    Dem Schutzraum selbst sieht man seine Funktion nicht an. Es ist es normales Zimmer im Haus, in dem im Sommer Feriengäste wohnen. In den 60er Jahren haben die Gröder die Räume errichten lassen. Damals wurde auch der Deich erhöht, der die Warften umschließt - die Hallig ist seitdem von schweren Schäden verschont geblieben. Schotten vor Fenstern und Türen und rechtzeitige Sturmflutwarnungen vom Hydrografischen Institut tun ihr übriges zur Sicherheit der Halligbewohner. Sicherlich auch ein Grund, warum die Gröder bei leichteren Sturmfluten keine Angst verspüren, erzählt Halliglehrerin Christiane Fleet.

    "Man muss bei diesen Naturereignissen ständig rausgucken. Die Wolken, die Wellen, die Nordsee, also das ist so beeindruckend. Erstmal ist es manchmal so, dass man manchmal sogar gar nicht rausgucken kann, weil die Gischt so übers Land treibt und die Fenster versalzen, also da ist dann richtig so eine Schmierschicht drauf. Und dann wechseln die Wolkenbilder, wenn man Glück hat, kommt zwischendurch noch mal die Sonne raus und das zieht alles schnell weg. Aber das eindrucksvolle ist eben diese völlig aufgewühlte See und dann rauscht das und knallt das, und das Dach wackelt, also ist schon toll.""
    Nicht immer konnten die Gröder so ruhig und gelassen von den Naturgewalten sprechen wie heute. In früheren Jahrhunderten sind in den Fluten zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Auf der Hallig gibt es noch immer Orte, die davon zeugen. Zum Beispiel die Kirche. Lehrerin Christiane Fleet geht über die nach dem Gotteshaus benannte Kirchwarft. Sie überquert einen kleinen Friedhof mit etwa 20 Grabsteinen und gelangt zu einem unscheinbaren Gebäude: Gemauert aus rotem Backstein und mit Reet bedeckt, sieht es aus, wie auch die anderen Häuser auf Gröde.

    "So, das ist also unsere kleine Halligkirche, eine kleine Saalkirche. Von außen sieht man gar nicht, dass es eine Kirche ist. Gröde hat keinen Glockenturm und auch oben auf dem Dach ist kein Kreuz."
    Doch im Gebäude selbst findet sich eine beeindruckende Kirchenausstattung: Es gibt einen Renaissance-Altar von 1592, Gemälde aus dem 17. Jahrhundert und eine knapp 230 Jahre alte Kanzel. 1779 wurde die Kirche in ihrer heutigen Form gebaut. Seit dieser Zeit hat sie viel überstanden.

    " Diese Kirche hat etliche Sturmfluten mitgemacht, und zwar war die Schlimmste eigentlich 1825. Das ist übrigens die letzte Sturmflut gewesen, bei der auf Halligen Menschen ums Leben gekommen sind. Insgesamt sind 74 Menschen ertrunken, und hier auf Gröde eine zehnköpfige Familie. Die Kirche ist ja für 18 Einwohner, die wir heute sind, sehr groß, es sind 55 Sitzplätze. Gröde hat 1825 - da gibt es unterschiedliche Zahlen, die einen schreiben 66 Einwohner, und die anderen sagen 90 Einwohner - also ist egal, jedenfalls sehr viele Einwohner noch gehabt, deswegen auch diese große Kirche. Und nach dieser Sturmflut 1825 sind eben auch viele andere Gröder weggezogen, weil Häuser und Warften so beschädigt waren, dass die hier nicht mehr existieren konnten."
    Seit damals hat sich die Einwohnerzahl auf Gröde nicht mehr erholt. Nach dem zweiten Weltkrieg waren hier zeitweise zwar noch einige Flüchtlinge untergebracht. Doch im Schnitt haben in den vergangenen 180 Jahren immer nur zwischen zwölf und 20 Menschen auf der Hallig gelebt. Derzeit sind es zwölf Erwachsene, drei Schulkinder und zwei Kleinkinder. Für die Kinder auf Gröde gibt es sogar eine eigene Schule - wie auch die Kirche steht sie auf der Kirchwarft.
    Eine Glocke klingelt, wenn man die Tür öffnet und ins Schulgebäude tritt. 16 Quadratmeter ist der Klassenraum groß: Es gibt vier Tische, einen Computer mit Internetanschluss, Bücherregale - eine Tafel fehlt. Bei nur drei Schülern, die zwar gemeinsam unterrichtet werden, die aber in drei verschiedenen Klassen gehen, ist die auch nicht notwendig, sagt Christiane Fleet.

    Unterrichtet wird wie auf einer Grund- und Hauptschule. Allerdings: Wenn die Kinder gute Leistungen bringen, dann hebt Christiane Fleet das Niveau - damit ihre Schüler später einmal eine Realschule oder ein Gymnasium auf dem Festland besuchen können. Drei Schüler hat sie in zwei Jahrzehnten entlassen - alle mit einem sehr guten Hauptschulabschluss.

    " Sie sind dann alle auf dem Festland weitergegangen auf eine weiterführende Schule. Ich habe auch noch nie jemanden sitzen lassen. Sie haben immer alles mit Bravour gemacht. Wobei es natürlich nicht automatisch ist, dass man auf der Hallig nicht sitzen bleiben kann in der Schule. Aber es ist doch so, dass man die Kinder bei so wenig Schülern doch soweit fördern kann, dass das eigentlich schwer ist, jemand hier sitzen zu lassen."
    Christiane Fleet ist in der Schule alles auf einmal: Lehrerin für alle Fächer, Stundenplanerin, Sekretärin und Putzfrau - in einer Halligschule ist das normal, sagt sie. Seit 20 Jahren unterrichtet sie hier. Freiwillig hat sie sich gemeldet, als 1987 eine Lehrerstelle auf der Hallig besetzt werden musste. Damals hatte sie bereits 15 Jahre an einer Schule in Hamburg gearbeitet. Natürlich sind die Klassen hier winzig und auch die Schule ist nicht viel größer. Und dennoch: Die Hallig braucht eine eigene Schule, sagt Christiane Fleet.

    " Wenn man auf einer Hallig lebt, so wie wir hier auf Gröde, dann lebt man ganz einfach mit der Natur und ist ja auch abhängig von ihr. So wie wir zum Beispiel abhängig sind von den Gezeiten, von Ebbe und Flut, wir können nicht jederzeit weg. Es wird auch häufig gefragt, warum es hier diese doch vergleichsweise teuren Schulen gibt - wir sind ja ganz normal besoldete Lehrer - man kann eben nicht jeden Tag zur gleichen Zeit weg, wenn Sturm ist, fährt kein Schiff. Also, das muss dann schon hier auf der Hallig sein."

    Es ist immer wieder die Natur, die den Menschen auf der Hallig ihre Grenzen aufweist und die ihr Leben bestimmt. Das war früher so - und das wird auch in Zukunft so sein. Obwohl es mittlerweile guten Schutz gegen Sturmfluten gibt - neue Herausforderungen zeichnen sich bereits ab. Denn natürlich machen sie sich auch auf Gröde Gedanken um den Klimawandel. Um die Hallig für die Zukunft zu wappnen, arbeiten vier der Gröder Männer im Küstenschutz.
    Viel Geld investiert das Land Schleswig-Holstein in ihn. Sollten die Meeresspiegel in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich steigen und die Stürme zunehmen, dann wäre die flach im Meer liegende Hallig bedroht. Schon in den vergangenen 30 bis 40 Jahren ist das Wasser um die Hallig immer weiter gestiegen, erzählt Volker Mommsen. Er selbst habe das deutlich beobachten können. Um die Hallig vor einem weiteren Wasseranstieg zu schützen, haben die vier Küstenarbeiter auf Gröde bereits einen 400 Meter langen Steinwall errichtet.

    " Wir stehen jetzt hier an der Südwestkante der Hallig Gröde und sie sehen hier eine Baumaßnahme, wie wir eben auch auf diesen Anstieg des Wasserspiegels reagieren. Also wir ziehen hier die Halligkante, die ursprünglich viel tiefer war, auf eine Höhe, die in den nächsten dreißig Jahren eigentlich Bestand haben sollte. Also das haben wir jetzt in diesem Sommer hochgezogen, das wird natürlich fortgeführt in den nächsten Jahren, bis man die Südwestkante, Nordwestkante in einer Höhe hat, die die Hallig auch sicher macht."
    Doch allzu hoch bauen sie die Steinkante nicht. Denn auch in Zukunft soll Gröde bei starkem Hochwasser immer mal wieder überfluten. Für die Salzwiesen auf der Hallig - die Grödes Erscheinung ganz besonders prägen - ist das wichtig. Von der Steinkante aus lassen sich die Salzwiesen gut überblicken. Karg könnten sie einem auf den ersten Blick erscheinen - karg, wie die ganze Hallig auf den ersten Blick aussieht. Bis auf die beiden Warften und die Salzwiesen gibt es nichts, was einem ins Auge fällt. Und auch, wer nur einen ersten, flüchtigen Blick auf die Wiesen wirft, könnte meinen, die Vegetation sei eintönig: Eine grüne, dicht bewachsene Fläche, die sich über die ganze Hallig erstreckt. Keine Sträucher, keine Büsche, keine größeren Pflanzen lassen sich entdecken.
    Beim Gang durch die Salzwiesen hingegen erschließt sich eine reiche Pflanzenwelt auf Gröde. Der unter Naturschutz stehende Strandflieder - im Friesischen heißt er auch Bondesstave - wächst hier in rauen Mengen; während seiner Blüte taucht er die ganze Hallig in ein strahlendes violett. Neben ihm wächst der würzig riechende, silbergraue Strandbeifuß - auf Gröde wird er auch Wermut genannt. Rotschwingel und Andelgras ergänzen die Vegetation. Und es gibt den Queller, der sich zum Herbst hin rot färbt, sagt Christiane Fleet.

    "Queller ist ja eine Pionierpflanze im Schlickgebiet, überall da, wo viel Wasser steht, wo es zwischendurch aber auch trocken wird, siedelt sich der Queller an. Schmeckt ganz, ganz lecker, kann man als Salat essen. Jetzt muss ich mal gucken, ja, da ist noch ein Stück, da könnte man rankommen, Augenblick probieren sie mal, vielleicht ist das noch ein gutes Stück."
    Es ist ein gutes Stück. Ein salziger Geschmack verbreitet sich auf der Zunge, wenn man den Queller kaut. Die Halligbewohner essen ihn nicht nur als Salat: Sie kochen ihn auch und servieren ihn mit ausgelassenem Speck und Spiegeleiern. Der fleischige Suden - ein Strandwegerich - kommt ebenfalls in den Kochtopf. Mit Sahne, Mehl und Kartoffeln wird er gestoopt.

    Nur, weil Gröde regelmäßig überflutet, können Pflanzen wie Queller, Suden, Strandflieder und Strandbeifuß auf der Hallig gedeihen. Gäbe es einen Außendeich und würde die Halligfläche vom Salzwasser abgeschnitten, dann würde sich auch die Vegetation komplett ändern. Bei einigen Nordseehalligen ist das bereits der Fall. Christiane Fleet.

    " Hallig Hooge zum Beispiel hat einen etwas höheren Sommerdeich und im Jahr im Schnitt drei- bis viermal Landunter, sprich es kommt nicht mehr so viel Salzwasser auf die Hallig und die Vegetation versüßt langsam. Das ist Schade, insofern sind wir schon ganz froh, dass wir noch diese Landunter haben, weil es eben das Besondere ist und Salzwiesen sind allgemein bedrohter Naturraum, deswegen ist es schon schön, dass es bei uns noch so ist."
    Gröde und das Meer - sie gehören zusammen wie Tag und Nacht. Eine Abhängigkeit, die Licht und Schatten birgt: Während Sturmfluten und steigender Meeresspiegel die Hallig immer wieder aufs Äußerste fordern, teilweise gar bedrohen, ist es doch genau auch dieses Wasser, das die Hallig prägt und ihr ihren besonderen Charakter verleiht.
    Am Mittag wird das noch einmal deutlich - mittlerweile ist Flut. Grund genug für Familie Kolk-Gessing und einige ihre Feriengäste, zum Wasser zu fahren. Jürgen Kolk setzt sich auf den Trecker, die anderen steigen auf den angehängten Pritschenwagen. Gemeinsam fahren sie los. Die Kolk-Gessings wollen ihre Fahrräder abholen, die sie am Morgen - vor ihrer Wattwanderung - direkt an der Küste abgestellt haben. Und vielleicht ist das Wasser dort, wo sie am Morgen ihren Fußmarsch durchs Watt begannen, mittlerweile schon so hoch, dass man schwimmen kann: Besonders die Kinder der Feriengäste baden bei Flut gerne auf Gröde - sie hätten auf jeden Fall Lust, ins Wasser zu springen.