Samstag, 13. April 2024

Archiv


Groß in jeder Hinsicht

Ein wahrlich großer Film: Der 1933 uraufgeführte Film "King Kong und die weiße Frau" war ein Publikumsrenner. Sein Wirken ging aber über das Kino hinaus: Bis heute wird die Geschichte immer wieder als Sinnbild für politische und gesellschaftliche Probleme herangezogen.

Von Katja Nicodemus | 02.03.2013
    Keinem anderen Werk der Kinogeschichte sind so viele Deutungen widerfahren. Kein anderes wurde so beharrlich und so vielfältig als Metapher, als Sinnbild und Parabel gelesen wie "King Kong und die weiße Frau". Man muss diesen Film gar nicht gesehen haben, um die Geschichte zu kennen von dem riesigen Urwald-Affen, der sich in die zarte Blondine verliebt. Der gewaltsam nach New York gebracht wird, dort auf einen Wolkenkratzer klettert und von Kampfflugzeugen abgeschossen wird.

    "Attention all Stations! Kong is going West. He is making for the Empire State Building. Stand by for further reports!"

    Am 2. März 1933 hatte der Film von Ernest B. Schoedsack und Merian C. Cooper in New York Premiere: in zwei riesigen Kinos mit zehntausend Zuschauern, das Ereignis der Saison! Und so schnell wie "King Kong und die weiße Frau" ein Welterfolg wurde, setzte sich auch die Interpretationsmaschine in Gang. Die Stimmung des Films gebe das Chaos und die Bedrohung der Weltwirtschaftskrise wieder, schrieben zeitgenössische Kritiker. Später hieß es, der schwarze Affe sei ein Symbol der Sklaverei, weil er von einer exotischen Insel in Ketten in die USA verschleppt worden sei. In den Fünfzigerjahren wiederum erblickte man in dem aggressiven Tier ein Sinnbild der kommunistischen Bedrohung.

    Während des großen Finales erklettert King Kong das Empire State Building, damals das höchste Gebäude der Welt. Freudianische Interpreten sahen darin das Phallussymbol einer westlichen Welt, die sich von Urgewalten und Trieben befreien will. Selbst Theodor W. Adorno arbeitete sich an King Kong ab. Er deutete die Geschichte der Urwaldkreatur, die als Attraktion nach New York geschafft wird, als Allegorie des regressiven und unmäßigen Monstrums Kapitalismus.

    "We are millionaires boys, I'll share it with all of you. In a few months it will be on the lights on Broadway: Kong, the eigth wonder of the world!"

    King Kong, das achte Weltwunder! Er wird uns am Broadway zu Millionären machen! - das schreit im Film King Kongs Bezwinger Carl Denham, nachdem er den Riesenaffen am Strand der Insel mit Gasbomben überwältigt hat. Dieser Bezwinger ist ein Kinoregisseur, der im Dschungel der Insel einen Abenteuerfilm drehen wollte. Und vielleicht ist auch diese Film-im-Film-Geschichte ein Grund für die nun schon acht Jahrzehnte überdauernde Faszination des Klassikers. Denn in "King Kong und die weiße Frau" erzählt das Kino mit untergründiger Faszination von sich selbst. Die Expedition im Film ist auch die ewige Expedition des populären Hollywoodkinos, seiner Monster- und Horrorspektakel. Während der Schiffsreise zur Insel kann man der Angstproduktion des Kinos sogar zuschauen: Wenn der Regisseur Denham mit seiner Hauptdarstellerin Anne den Schreckensschrei probt. Ohne zu wissen, dass sie diesen Schrei später - und noch viel durchdringender - beim Anblick von King Kong ausstoßen wird.

    "Look upside, Anne. That’s it. You don’t see anything. Now, look higher, still higher! Now you see it. You are amazed. You can't believe it! Your eyes open wider. It's horrible Anne, but you can't look away. Try to scream Anne, try! Scream, Anne, scream for your life!"

    Es ist schrecklich, aber du kannst nicht wegsehen - immer wieder spielt Schoedsacks und Coopers Film mit Wirklichkeitsverschiebungen, mit der Film-im-Film-Ebene. Und die New Yorker Kinozuschauer befanden sich im März 1933 in der gleichen Situation wie das Publikum auf der Leinwand, das Eintritt bezahlt, um den Riesenaffen am Broadway zu sehen. Irritiert vom Blitzlichtgewitter sprengt Kong seine Ketten und versetzt die Galagäste in Panik.
    Die bis heute berührenden Bilder von King Kongs Tod, sein dramatischer Sturz vom Empire State Building, bedienen die Schaulust und sind zugleich eine Kritik an der Schaulust. Denn am Ende stirbt hier kein Monster, sondern ein großer Liebender. Es ist das Märchen von der Schönen und dem Biest. Und so waren es nicht die Flugzeuge, die Kong getötet haben, es war die Schöne - wie der Regisseur im Film bemerkt.

    "The airplanes got him! – Oh no, it wasn't the airplanes, it was beauty who killed the beast!"

    Dieser Film erzählt davon, wie es dem Kino gelingt, mit moderner Technik archaischen Schrecken zu erzeugen, unser aller Lust an der Angst in Bilder zu fassen. Und so ergeht es uns heute im dunklen Saal immer wieder genauso wie Anne, der weißen Frau aus "King Kong": Es ist schrecklich, aber wir können nicht wegsehen.

    Mehr auf dradio.de:

    Vater der modernen Filmmusik - Peter Wegeles Buch über den "King Kong"-Filmkomponisten Max Steiner (1888 - 1971)