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Großbritannien
Die Medien und der Brexit

Kurz vor dem Brexit-Referendum hat Virgin-Gründer Richard Branson in großen britischen Zeitungen einen Brief an seine Mitbürger veröffentlicht. Der Geschäftsmann versucht die Briten auf diesem Weg davon zu überzeugen, gegen den Brexit zu stimmen. Branson hat sich dazu entschlossen, weil er glaubt, dass ein Großteil der britischen Presse auf der Seite der EU-Gegner steht. Ganz so falsch ist seine Wahrnehmung nicht.

Von Gerwald Herter | 22.06.2016
    Ein Zeitungsstand in London.
    Die großen britischen Tageszeitungen halten sich in etwa die Waage, wenn es um den Brexit geht. (picture alliance / dpa / Daniel Kalker)
    Times, Daily Mail, Daily Express, Daily Telegraph, Guardian, Financial Times, Sun - dazu noch die britischen Wochenmagazine und ausländische Presse: Der große Zeitungsstand vor der U-Bahn-Station "Earls Court" in London hat fast jede Meinung zum Brexit im Angebot. Trotzdem versuchen Peter O'Brian und seine Mitstreiter hier auch an diesem Morgen mit Britinnen und Briten ins Gespräch zu kommen. Sie wollen sie davon zu überzeugen, dass ein Brexit vor allem Nachteile hätte. Das sei auch nötig, sagt Peter O'Brian, gerade wegen der Berichterstattung bestimmter Zeitungen:
    "Die Murdoch-Blätter sind eher EU-skeptisch, ich denke das verkauft sich gut. Gerade deshalb stehe ich hier auf der Straße um die Botschaft an den Mann zu bringen: Wir sind in der EU stärker, sie ist wichtig für unsere Wirtschaft."
    Den Einfluss von Murdoch nicht überschätzen
    Peter O'Brian hat sich für diese Überzeugungsarbeit extra Urlaub genommen. Mit seiner Meinung, wonach der Multimilliardär und Medienunternehmer Rupert Murdoch ganz eigene Interessen verfolge, steht er in Großbritannien nicht allein. Dem Amerikaner australischer Herkunft gehört im Vereinigten Königreich eine ganze Reihe von Zeitungen und er gründete auch den Fernsehsender Sky.
    Der Londoner Medienjournalist Freddy Mayhew warnt trotzdem davor, den Einfluss von Murdoch zu überschätzen, gerade wenn es um das Brexit-Referendum geht. Da müsse man ganz genau hinschauen, sagt er:
    "Wir haben beobachtet, dass sich die Sun für den Brexit ausgesprochen hat. Das ist wichtig, das wichtigste Boulevardblatt hier. Das wird viele Menschen beeinflussen. Aber auch die Times gehört Murdoch - und die hat sich dafür ausgesprochen, dass Großbritannien in der EU bleibt. Sein Einfluss mag sehr groß sein, aber er überlässt die Entscheidung den leitenden Redakteuren, ob sie nun zur einen oder zu anderen Seite neigen."
    Die Tendenz der Berichterstattung ging in Richtung Brexit
    Mayhew arbeitet für das Londoner Fachblatt "Press Gazette". Es gehört zu einer Mediengruppe, die auch das Wochenmagazin "New Statesmen" herausgibt. Mayhew und seine Kollegen haben eine Übersicht erstellt, wonach sich die großen britischen Tageszeitungen in etwa die Waage halten, wenn es um den Brexit geht. Die Hälfte hat sich offen dafür ausgesprochen, die andere Hälfte dagegen. Die Redaktion des Guardian will, dass Großbritannien bleibt, die Sunday Times ist – im Gegensatz zur Times – für den Brexit. Die Mitarbeiter der Press Gazette haben aber auch die Berichterstattung selbst ausgewertet. Und das Ergebnis fällt für den Monat vor dem Referendum überraschend eindeutig aus:
    "Overall we have seen, that news coverage has favoured Brexit."
    Insgesamt ging die Tendenz der Berichterstattung in den vergangenen Wochen in Richtung Brexit.
    Man müsse in Großbritannien wissen, wo eine Zeitung politisch stehe, sagt Freddy Mayhew. Das müsse man im Kopf behalten, wenn man sie lese. Kein Wunder also, dass der Guardian wenige Tage vor dem Referendum den Großinvestor und Finanzexperten Soros vor einem "Schwarzen Freitag" warnen lässt - für den Fall, dass die Briten beschließen die EU zu verlassen. Die Sun hingegen berichtet über Flüchtlinge, die versuchen von Frankreich aus, nun auf die Insel zu kommen. "Lasst uns rein, bevor ihr Euch raus wählt", so die Schlagzeile. Dazu noch einmal der Medienjournalist Freddy Mayhew:
    Wer etwas Unparteiisches sucht, wählt die BBC
    "Ich denke man sollte breit lesen, wenn man sich in diesem Land über Zeitungen informieren will. Man weiß, was einen erwartet, die Sun steht eher rechts, der Guardian eher links. Und wenn sie etwas Unparteiisches suchen, dann gibt die BBC. Sie gibt die Meinungen beider Seiten so klar wie möglich wieder".
    Auf die Berichterstattung der BBC in Fernsehen und Radio sowie auch auf ihren Websites lässt auch der Anti-Brexit-Aktivist Peter O'Brian nichts kommen. Eine Institution, die sich in ihrer Berichterstattung deutlich von den meisten britischen Zeitungen unterscheidet:
    "Da werden viele Lügen erzählt, viel Panik verbreitet, auch mit seltsamen Zahlen. Und die BBC sammelt, was von beiden Seiten kommt und prüft, ob das stimmt. Die Europäische Union ist einfach kompliziert. Und die haben der Öffentlichkeit gut erklärt, um was es wirklich geht".
    Doch mag es in Großbritannien auch noch so viele Medien geben: Peter O'Brian und die anderen Aktivisten von "Britain stronger in Europe" verteilen kleine Flugblätter mit einfachen Aussagen. Peter O'Brian glaubt, dass sich die Mühe lohnt, Großbritannien sachliche und gute Debatten brauche, gleichgültig, wie die Entscheidung ausgeht.
    "I think even after the referendum there is still a fight to be won in terms of getting a proper debate across the UK".