Stefan Römermann: In Deutschland hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Betreibern von Kohlekraftwerken gerade noch mal ein kleines Geschenk gemacht. Als sogenannte Klimareserve sollen dort ausgerechnet die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke in Reserve gehalten werden. Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung ist hier vorerst nicht in Sicht. Gestern hat dagegen Großbritannien angekündigt, innerhalb der nächsten zehn Jahre alle Kohlekraftwerke stillzulegen. Darüber spreche ich jetzt mit Lili Fuhr, Klimaexpertin der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Hallo, Frau Fuhr.
Lili Fuhr: Hallo! Guten Tag.
Römermann: Frau Fuhr, ein Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2025 in Großbritannien, das klingt doch erst mal gut fürs Klima. Oder hat das Ganze irgendeinen Pferdefuß?
Fuhr: Ja, das klingt erst mal sehr gut und ist auch ein ganz wichtiges Signal, gerade in Richtung Deutschland. Da haben Sie ja gerade erwähnt, wie die Lage hier aussieht. Gleichzeitig gibt es da einen ganz erheblichen Pferdefuß, denn Großbritannien hat auch klargemacht, dass gleichzeitig zu dem Ausstieg aus der Kohleverstromung eine zusätzliche Förderung von Gas und für Großbritannien heißt das auch Fracking und Atomkraft geplant ist und parallel auch die Förderung für erneuerbare Energien zurückgefahren wird.
Erst mal ein Hintertürchen
Römermann: Ganz tot scheint die Braunkohle ja auch nicht zu sein. Es wird ja auch über die CO2-Abscheidung weiter gesprochen und man hält sich da offenbar noch ein Hintertürchen offen. Habe ich das richtig verstanden?
Fuhr: Ja. Diese Speicherung von CO2, diese Technologie, CCS, Carbon Capture and Storage, ist eine ganz große Hintertür, die nicht nur gerade in Großbritannien auf der Tagesordnung steht und dort ganz stark gefordert und gefördert wird, sondern auch bei den globalen Klimaverhandlungen immer stärker auftaucht. Es ist tatsächlich erst mal ein Hintertürchen, eine Ausrede, die eine Zukunft für die Kohle und für fossile Energieträger ermöglichen wird. Faktisch ist es so, dass das weder finanziell, noch technisch in absehbarer Zeit irgendwie möglich sein wird und daher nichts mehr als eine Ausrede darstellt. Das hat sogar die Internationale Energieagentur selber gesagt.
Römermann: Aber es ist ja so: Unsere Gesellschaften sind recht energiehungrig. Wir verbrauchen sehr, sehr viel Energie. Wenn wir irgendwie klimaneutral leben wollen, brauchen wir dann nicht entweder den Atomstrom, oder saubere Braunkohle, oder wie könnte man es anders bewerkstelligen?
Frage vom Energieverbrauch und gerechter Verteilung
Fuhr: Es gibt auf jeden Fall Energieszenarien, die auch aufzeigen, wie ein Atomausstieg, oder ein Ausstieg aus der Kohle möglich ist, mit einer geringen Rolle für Gas für eine begrenzte Zeit. Faktisch heißt das aber auch, dass wir uns gerade in hoch entwickelten Industrieländern wie Deutschland, aber auch Großbritannien über unseren Energieverbrauch insgesamt Gedanken machen müssen. Es wird nicht möglich sein, die gleichen Formen von Mobilität, von Energieverbrauch und so weiter beizubehalten, wenn wir in einer klimagerechten Welt leben wollen, denn es gibt ja viele Länder, in denen Menschen noch einen Nachholbedarf haben und noch mehr Energie nutzen werden und auch nutzen sollen in Zukunft. Das heißt, wenn man die Gerechtigkeitsfrage stellt, dann geht es in Deutschland, aber auch in Großbritannien nicht nur um einen Kohleausstieg, einen Ausstieg aus Atom, einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger insgesamt, sondern auch um die Frage von Energieverbrauch und gerechter Verteilung.
Römermann: Die Böll-Stiftung hat ja gestern einen internationalen Kohleatlas veröffentlicht. Wenn man da durchblättert und sich anschaut, wo die Kohle verstromt wird und wo viel Kohle verbraucht wird, dann könnte man sich ja auch mal böse fragen: Macht es eigentlich überhaupt irgendeinen Unterschied, ob wir hier in Deutschland oder Großbritannien aus der Kohle aussteigen oder nicht, wenn beispielsweise in China weiter unfassbare Mengen an Kohle verbrannt werden?
Langsames Umdenken
Fuhr: Ich glaube, es hat schon eine ganz große Signalwirkung. Es wird ganz genau betrachtet aus anderen Ländern heraus, was hier in Deutschland passiert mit der Energiewende. Ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland wird da genau beobachtet. Wenn es hier gelingt, neben dem Atomausstieg auch einen Kohleausstieg einzuleiten, dann hätte das eine extrem wichtige Signalwirkung. Und auch in China ist es ja inzwischen so, dass angesichts der spürbaren Erfahrungen mit Smog und Luftverschmutzung, Umweltverschmutzung insgesamt die Kohledebatte noch mal ganz anders auf der Tagesordnung steht und da auch ein langsames Umdenken stattfindet.
Römermann: Ist denn diese Ankündigung aus Großbritannien jetzt ein wichtiges Signal vielleicht auch für den Klimagipfel - wir haben ja eben schon mal ganz kurz über den geredet -, dass vielleicht auch andere Länder jetzt verstärkt aus der Braunkohle aussteigen?
Fuhr: Ich glaube, das kann schon noch mal eine Signalwirkung jetzt entfalten. Ich weiß, dass in den Niederlanden auch darüber nachgedacht wird, in den USA ist es Thema. Was eine weitere Signalwirkung ja auch noch hatte jetzt ist die Entscheidung der OECD, die Exportförderung für Kohlekraftwerke massiv einzuschränken, auch das ein großer Erfolg mit Signalwirkung. Das heißt, wir haben viele Signale, die in Richtung Kohleausstieg international deuten, und müssen einfach im Blick behalten, dass wir da in viele Fallen noch mal tappen können, wenn wir uns dann trotzdem weiter auf beispielsweise Fracking und Gastechnologien verlassen.
Römermann: Lili Fuhr, Klimaexpertin der Heinrich-Böll-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch.
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