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Großbritannien
Mit Zuckersteuer und Werbeverbot gegen Übergewicht

Die Briten sind ein vernaschtes Volk. Ein Drittel der Kinder ist übergewichtig, bei den Erwachsenen ist es die Hälfte. Eine von der Regierung eingeführte Zuckersteuer für Softdrinks zeigt zwar erste Erfolge, doch Experten fordern mehr: Gezielte Aufklärung und ein Werbeverbot im Fernsehen.

Von Thomas Spickhofen | 19.12.2018
    In England hat sich der Anteil übergewichtiger Jugendlicher innerhalb der letzten 25 Jahre verdreifacht.
    Seit April rückt die britische Regierung dem Zucker mit einer Zuckersteuer für Softdrinks zu Leibe (dpa/picture-alliance/Waltraud Grubitzsch)
    Das ist ein Geräusch, das die Briten so richtig lieben. Rihannon zum Beispiel ist 21 Jahre jung und liebt Holunderlimonade. Drei bis vier davon trinkt sie am Tag, und sie will sich da auch keine Vorschriften machen lassen. Das sei doch die persönliche Freiheit der Leute, ob sie gesund leben und Wasser trinken oder was mit Zucker. Aber die Briten ernähren sich zu süß. Fast ein Drittel der Kinder zwischen 2 und 15 ist übergewichtig, hat die Regierung festgestellt, sogar mehr als die Hälfte ist es bei den Erwachsenen. Kein Wunder, findet der Kardiologe Graham MacGregor.
    "Die Nahrungsmittelindustrie stopft das ganze Zeug in unser Essen rein und sagt 'Ihr braucht es ja nicht zu kaufen', steckt dann aber Milliarden in das Marketing dafür – und natürlich kaufen es die Leute."
    Graham MacGregor ist Mediziner an einem Institut für Präventiv-Medizin in London und hat "Action on Sugar" ins Leben gerufen, ein Bündnis gegen den Zucker im britischen Essen. Mit einer ähnlichen Kampagne hat er bereits den Salz-Gehalt in den Speisen auf der Insel reduziert, nach jahrelangem Kampf in und mit der Politik.
    "Die Nahrungsmittelindustrie ist die größte und profitabelste Industrie weltweit und einer der größten Steuerzahler und Exporteure in Großbritannien. Man muss also zu einem Kompromiss kommen, wo sie das Essen gesünder machen und trotzdem noch Gewinne machen können."
    Aufklärung in sozialen Brennpunkten
    Seit April rückt die Regierung dem Zucker nun mit einer Zuckersteuer für Softdrinks zu Leibe. 5 Gramm Zucker in 100 Millilitern Getränk kosten seitdem 18 Pence Steuer, bei mehr als 8 Gramm sind es sogar 24 Pence. Aishe findet das gut, es bremse die Leute dabei, zu viel Zucker zu sich zu nehmen. Sam, 35, findet das sogar fast noch zu wenig.
    "Sie könnten den übergewichtigen Kindern noch viel mehr helfen: In ihre Familien gehen, über Ernährung reden und deren langfristige Bedeutung für ihre Gesundheit."
    Man müsse in die sozialen Brennpunkte, sagt Sam, wo Fastfood-Ketten aus dem Boden schießen und die Leute gar nicht die Zeit und oft auch nicht die Bildung für Ernährungsfragen haben – weil sie schon genug mit dem puren Überleben beschäftigt sind.
    Es wurde höchste Zeit, dass die Regierung gegen den Zuckerkonsum gerade bei Jugendlichen vorgeht, sagen die Zahnärzte. Sie habe 14jährige gehabt, denen sie bleibende Zähne ziehen musste, berichtet die Zahnärztin Claire Stevens, meistens wegen der vielen Limonaden.
    "Diese Kinder bräuchten schon richtige Zahnimplantate, und das mit 14 Jahren." Die Zahl der Zahnoperationen bei Kindern steigt seit Jahren kontinuierlich an.
    Werbeverbot für Süßes im Kinderprogramm
    Die Zuckersteuer allein reicht aber längst nicht, findet Caroline Cerny von der Obesity Health Alliance, einem Verband, der gegen das Übergewicht in der Gesellschaft kämpft. Sie fordert ein Werbeverbot für süßen Kram vor allem in Fernseh-Sendungen, die Kinder und Jugendliche sehen.
    "Wenn Sie sich anschauen, welche Fernseh-Programme Kinder gern sehen, dann sind das Sendungen wie "The Voice" und die "Simpsons". Wir haben festgestellt, dass da 60 Prozent Werbung für Junk Food gezeigt wird. Deshalb hätten wir gern ein Verbot von Junk-Food-Werbung bis 9 Uhr abends. "
    Immerhin: Viele Limonaden-Hersteller haben ihre Rezepte so geändert, dass die Getränke nicht mehr die Zuckersteuergrenze reißen. Auch neue Softdrinks in den Regalen liegen immer häufiger unter dieser Grenze.
    Ziel erreicht, Regierung glücklich, könnte man meinen – allerdings bringt das nun auch weniger Geld in die Staatskasse. Ursprünglich hatte die Regierung auf umgerechnet rund 600 Millionen Euro gehofft, die in Schulsport und gesundes Schulfrühstück gehen sollten. Inzwischen wäre man schon froh, wenn wenigstens die Hälfte zusammenkäme.