Großbritannien
Starmer unter Druck, Farage im Umfragehoch

2024 gewann die Labour-Partei die Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich klar. Doch Premierminister Starmer steht gut ein Jahr später massiv in der Kritik. Der migrationsfeindliche Trump-Freund Farage führt in den Umfragen. Woran liegt das?

    Der britische Premierminister Keir Starmer verlässt seinen Amtssitz 10 Downing Street.
    Der britische Premierminister Keir Starmer (Labour) steht politisch unter Druck. (IMAGO / NurPhoto / IMAGO / WIktor Szymanowicz)
    Die britische Politik ist im Umbruch. Der seit Juli 2024 amtierenden Labour-Regierung von Premierminister Keir Starmer werden gebrochene Wahlversprechen vorgeworfen. Die konservativen Tories kämpfen nach ihrem Machtverlust ums politische Überleben. Und die Rechtspopulisten von Reform UK um ihren Anführer Nigel Farage liegen in den Umfragen seit Monaten vorne. Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?

    Inhalt

    Der unpopuläre Premierminister

    Die Sozialdemokraten haben den Wandel, den sie im vergangenen Wahlkampf versprochen haben, bisher nicht liefern können. Die Politik von Premierminister Keir Starmer wirkt kleinteilig. Der Labour-Chef konnte bisher nicht überzeugen. Laut Umfragen ist der Premierminister nicht nur in der Bevölkerung unpopulär, sondern auch in der eigenen Anhängerschaft gibt es reichlich Skeptiker.
    Das erste Regierungsjahr gilt allgemein als Fiasko. Starmer wollte die Wirtschaft wieder zum Laufen und den Haushalt in Ordnung bringen – beides ist bisher nicht gelungen. Auch die Wartelisten im britischen Gesundheitssystem, dem National Health System (NHS), sind länger und nicht kürzer geworden. Patienten müssen also lange etwa auf OP-Termine in Krankenhäusern warten.
    Kritik gab es zuletzt auch an Starmers Plänen, einen digitalen Personalausweis einzuführen. Starmer will damit Migranten abschrecken. Doch rechte Kritiker werfen dem Premier vor, mit der Digital-ID Freiheitsrechte zu beschneiden.
    Starmers Regierung wurde zudem durch mehrere Skandale geschwächt – zuletzt durch den Rücktritt von Vize-Premierministerin Angela Rayner wegen einer Steueraffäre sowie die Entlassung des Botschafters in den USA, Peter Mandelson, wegen seiner Nähe zum berüchtigten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein.
    Starmer bezeichnete die Migrationspolitik von Farage als „rassistisch“ und „unmoralisch“, kündigte aber seinerseits eine harte Linie gegen „illegale Zuwanderer“ an. Die jüngste Rede Starmers auf dem Labour-Parteitag in Liverpool – gespickt mit Attacken auf Farage – kam bei Parteianhängern gut an. Dabei hatte sich mit dem Bürgermeister von Greater Manchester, Andy Burnham, bereits ein möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht. Doch Burnham fehlt bisher die nötige Unterstützung – sowie ein für das Amt des Premierministers nötiges Abgeordnetenmandat.

    Tories in der Existenzkrise

    Von 2010 bis 2024 haben die Konservativen, auch Tories genannt, das Land regiert. Seit ihrer schweren Wahlniederlage im vergangenen Jahr kämpft die Partei ums politische Überleben. In den Umfragen liegen die Tories nur noch auf Platz 4 – hinter Reform UK, Labour und den Liberaldemokraten. In den letzten Jahren ihrer Regierungszeit hatten die Konservativen viel Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern verspielt.
    Die neue Vorsitzende Kemi Badenoch konnte ihrer Partei bislang noch kein Profil geben. Die Tories bewegen sich immer weiter nach rechts – obwohl der rechte Flügel im britischen Parteiensystem bereits von Nigel Farage mit seiner rechtspopulistischen Partei Reform UK besetzt ist. Badenoch ist formell Oppositionsführerin im Parlament, doch in der politischen Debatte spielt sie nur am Rande eine Rolle. Laut Umfragen wissen sogar viele Anhänger der Tories nicht, wer die Partei führt. Sie können mit dem Namen Kemi Badenoch nichts anfangen.
    Tory-Chefin Kemi Badenoch.
    Tory-Chefin Kemi Badenoch positioniert ihre Partei immer weiter rechts. (IMAGO /Imago Images)
    Die Parteichefin versucht sich als Kulturkämpferin und als Verfechterin einer härteren Migrationspolitik zu profilieren – bisher erfolglos. Die Tories wollen sich retten, indem sie die Rechtspopulisten kopieren. Rund um den jüngsten Parteitag im Oktober in Manchester gab es Putschgerüchte um den ebenfalls rechten Unterhaus-Abgeordneten Robert Jenrick, der Badenoch 2024 im Rennen um den Parteivorsitz unterlegen war. Vorerst aber bleibt die Tory-Chefin im Amt. Von Wählern der bürgerlichen Mitte, die proeuropäisch gesinnt sind, hatte sich die Partei schon weitgehend unter Boris Johnson verabschiedet.

    Nigel Farage - der nächste Premierminister?

    Der Chef von Reform UK, Nigel Farage, ist im Unterschied zu Kemi Badenoch ständig in den Medien - was auch an den Medien liegt, die ihn ständig auftreten lassen. Seit vielen Jahren dominiert er die politische Bühne in Großbritannien. Er galt schon vor dem Austritt aus der EU als Vorkämpfer des Brexit. Farage betont auch immer wieder seine Nähe zu Donald Trump.
    Farage macht fast jede Woche ein neues politisches Versprechen, zur Begrenzung der Migration, für Steuersenkungen oder zur Unterstützung der Wirtschaft. Zuletzt hatte Farage Massendeportationen von Zuwanderern angekündigt. Auch Menschen, die ein gesetzliches Aufenthaltsrecht haben, will er außer Landes schaffen.
    Reform UK Chef Nigel Farage im September 2025 bei einer Pressekonferenz in London.
    Nigel Farage gilt als Brexit-Vorkämpfer, der schon seit vielen Jahren die politischen Debatten in Großbritannien bestimmt. (IMAGO / i Images / IMAGO / Martyn Wheatley / i-Images)
    Der Rechtspopulist gilt als großer Verkäufer seiner Politik. Es gibt in Großbritannien derzeit keinen besseren Redner und keinen profilierteren Politiker als Nigel Farage. Ob er als Premierminister eines Tages irgendetwas von dem halten könnte, was er verspricht, steht auf einem ganz anderen Blatt.

    Die wichtigsten innenpolitischen Themen

    Das Thema Migration ist laut Umfragen das wichtigste Thema für die britische Bevölkerung. Aber auch bei der wirtschaftlichen Lage und im Gesundheitssystem sehen viele Menschen laut Meinungsforschern dringenden Handlungsbedarf.
    Seit Anfang des Jahres haben laut einem BBC-Bericht mehr als 33.500 Menschen den Ärmelkanal in kleinen Booten überquert. Die Diskussionen über „small boats“ werden schon seit Jahren geführt – auch zu Zeiten der konservativen Vorgängerregierung. Labour-Premierminister Starmer will Schleuserbanden zerschlagen und die Zahl der Überfahrten bis 2029 reduzieren.
    Die Regierung wollte einen neuen ökonomischen Boom im Land entfachen, doch bisher schwächelt die Wirtschaft weiter. Die Arbeitslosenzahlen steigen. Ernüchternd sieht auch die Bilanz beim Wohnungsbau aus, den ebenfalls viele Bürger als wichtiges Thema ansehen. Labour hatte versprochen, bis 2029 rund 1,5 Millionen neue Wohneinheiten zu bauen. Nicht nur die Opposition zweifelt an, ob dieses Ziel auch nur ansatzweise erreicht werden wird.

    Wie es in der UK-Politik weitergeht

    2026 finden wichtige Wahlen statt. In England stehen Kommunalwahlen an – unter anderem in London. In Schottland und Wales gibt es zudem Neuwahlen der Regionalparlamente. Die Umfragen verheißen wenig Gutes für Labour und Tories. Reform UK kann auf Zugewinne hoffen. Sollte Labour erneut verlieren, dürfte der Druck auf Premier Starmer steigen.
    Das britische Direktwahlsystem, das lange auf der Rivalität der zwei großen Parteien Tories und Labour basierte, verändert sich. Künftig könnten die Liberaldemokraten (LibDem), die Grünen und die Regionalparteien eine größere Rolle spielen. Und auch Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn will mit einer neuen linken Partei die politische Landschaft verändern. Der LibDem-Vorsitzende Ed Davey schließt eine Koalition mit Labour nach den nächsten Parlamentswahlen nicht aus, um eine Regierungsübernahme von Farage zu verhindern.
    Wie ist Farages Vormarsch aufzuhalten? Der frühere Labour-Chef Neil Kinnock sagte im Oktober 2025 im Podcast „The News Agents“, Farage und Reform UK seien durch Erfolge der Regierung, durch ganz praktische Verbesserungen zu stoppen, die bei der Bevölkerung ankommen. Als Beispiele mahnte der 83-jährige Labour-Veteran eindringlich kürzere Wartezeiten im Gesundheitssystem und eine massive Ausweitung des Wohnungsbaus an.

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