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Großbritannien und der Disput um die EU-Verfassung

Mit dem Versprechen auf ein Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag versuchte Tony Blair, die Europapolitik aus seinem Wahlkampf herauszuhalten. Mit Erfolg. Doch nun gibt es widersprüchliche Signale, ob dieses Referendum tatsächlich stattfinden wird - Tony Blair hat ein Problem damit. Martin Zagatta berichtet aus London.

    Die Ablehnung ist eindeutig, auch auf der Straße. Müssten sie sich jetzt entscheiden, dann würden zwei von drei Briten gegen die Annahme der EU-Verfassung stimmen, den Umfragen zufolge. Und es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass Tony Blair seine Landsleute noch zu einem Umdenken bewegen kann, wenn auch auf der Insel abgestimmt werden soll, im nächsten Jahr - so jedenfalls plant das die Regierung, sagt sie zumindest. Denn ob es überhaupt noch ein Referendum geben wird in Großbritannien, wenn die Franzosen mit Nein stimmen sollten, ist fraglich. Sogar die landesweit organisierte Nein-Kampagne geht davon aus, dass Blair insgeheim auf ein Nein der Franzosen setzt.

    Neil O'Brien, der Sprecher der britischen "No Campaign" hält es für fast sicher, dass die Regierung davon kommen will, dass sie verzweifelt bemüht ist, um ein Referendum herumzukommen, weil ihr klar sei, dass die meisten Briten diese EU-Verfassung nicht wollten.
    Falsch - sagt dazu Außenminister Jack Straw und verweist darauf, dass die Regierung schon einen Gesetzesentwurf für die Volksabstimmung in das Unterhaus eingebracht hat. Der Vertrag sei gut für das Vereinigte Königreich und Europa, meint er. Doch Premierminister Blair selbst hat Zweifel geschürt, ob es tatsächlich zu dem Referendum kommt, mit widersprüchlichen Aussagen. Die Briten würden auf alle Fälle abstimmen, ungeachtet der Entscheidung in anderen Staaten, hat der Regierungschef zunächst erklärt, inzwischen aber eingeschränkt, dass man ja nicht über etwas abstimmen könne, was es dann vielleicht gar nicht mehr gebe.

    Wenn Frankreich oder ein anderer Mitgliedsstaat mit Nein stimmt, so versucht Außenminister Straw jetzt klarzustellen, bei einem Nein habe die EU ein Problem, mit dem sie umgehen müsse. Solange aber der Europäische Rat nicht abrücke von dem Zustimmungsverfahren - solange gelte diese Verpflichtung auch für die britische Regierung. Im Klartext: Bei einem Nein in Frankreich sieht die Labour-Regierung die Europäische Union am Zuge, was insofern pikant ist als London in gut einem Monat den EU-Vorsitz übernimmt. Und fast ein Treppenwitz der Geschichte: Mit Tony Blair könnte ausgerechnet der Mann um das Referendum herumkommen, der dem französischen Präsidenten die Abstimmung am Sonntag eingebrockt hat. Jacques Chirac konnte sich dem nicht mehr widersetzen, nachdem Blair ganz überraschend einem Referendum zugestimmt hatte, taktisch bedingt, um das leidige Thema aus dem britischen Wahlkampf herauszuhalten.

    Und mit Paris - so wird in London erwartet - müsste Tony Blair schon deshalb ganz intensiv nach einer Lösung suchen, weil er bei einer Abstimmungsniederlage, bei einem britischen Nein zur EU-Verfassung, auch kaum weitermachen kann als Premierminister.

    Das britische Volk solle sich eindeutig äußern können, Tony Blair solle aufhören mit dem Referendum ein politisches Spiel zu treiben, die Briten Stellung nehmen lassen, und ein Datum für die Abstimmung nennen, fordert Liam Fox, der außenpolitische Sprecher der Tories.

    Aber auch der konservativen Opposition bereitet die Europapolitik Probleme. Sie kann nur schwer vermitteln, warum sie im Gegensatz zu vielen Briten einen Verbleib in der EU befürwortet, gleichzeitig die Verfassung ablehnt, und es richtig findet, 80 Millionen Pfund für ein Referendum auszugeben, das vielleicht gar nicht mehr nötig wäre nach einem französischen Nein. Klarer ist da schon die Position der traditionsreichen "Times". Die Briten sollten sogar auf die Knie gehen und dafür beten, dass die Franzosen dem Vertragswerk zustimmen am Sonntag. Denn nur so sei sichergestellt, dass Großbritannien dann diese Verfassung auch wirklich beerdigen könne, mit einem Nein auf der Insel.