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Großbritannien will Gerichtshof für Menschenrechte reformieren

Großbritannien rief nach den Nazigräueln des Zweiten Weltkriegs den Europarat ins Leben, mit ihm den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch heute hat Großbritannien Probleme mit dessen Entscheidungen - die oft genug gegen das Gründerland gerichtet sind.

Von Jochen Spengler | 25.01.2012
    Dieses Urteil fehlte gerade noch. Der Hassprediger Abu Quatada, seit fast sechs Jahren in britischer Haft, sollte an Jordanien ausgeliefert werden. Dort erwartet ihn ein Prozess wegen mehrerer Terroranschläge. Doch daraus wird nichts, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor einer Woche entschieden - es könnten Zeugenaussagen gegen ihn verwendet werden, die vielleicht durch Folter erpresst wurden. Und:

    "Die internationale Gemeinschaft hat sich verpflichtet, die Folter auszurotten,"

    erläutert Clare Ovey, die Sprecherin des Gerichts in Straßburg.

    "Wenn Beweise aufgrund von Folter vor Gericht erlaubt werden, dann ermutigt und legitimiert dies nicht bloß deren Gebrauch, sondern macht auch das Verfahren unfair, weil ein Folteropfer alles sagen wird, um die Qualen zu vermeiden, sodass die Beweise wirklich nicht verlässlich sind."

    Also muss Abu Quatada, ehemals Bin Ladens rechte Hand in Europa, in England bleiben. Entsprechend frustriert zeigte sich Premierminister David Cameron.

    "Ich halte dieses Urteil offen gesagt für schwer nachvollziehbar, weil sich mehrere Regierungen um die Abschiebung und erfolgreich um die Zusicherung von Jordanien bemüht haben, dass keine Misshandlung erfolgt. Es ist enorm enttäuschend. Ich glaube wirklich, dass ein Land wie Großbritannien mit seiner langen Tradition der Menschenrechte, Menschen abschieben können sollte, die uns Böses wollen."

    Schließlich waren es die Briten, die zur Wahrung der Menschenrechte den Europarat initiiert haben. Der Zweite Weltkrieg war noch im vollen Gang, als Winston Churchill vorschlug:

    "Wir müssen den Europarat, oder wie auch immer er genannt werden mag, zu einem wirklich effektiven Instrument machen, in dessen Struktur die stärksten Kräfte einbezogen sind – und mit einem Gerichtshof, um Streit zu klären."
    Heute dagegen halten die Briten den Menschenrechtsgerichtshof für ineffizient und die Urteile der inzwischen 47 Richter sorgen selbst für Streit. 350 Mal ist Großbritannien in den letzten 45 Jahren wegen angeblicher Verstöße gegen die Menschenrechte verurteilt worden. Für besondere Empörung sorgte der Richterspruch 2010, Häftlingen müsse das Wahlrecht zugestanden werden, das hier laut Gesetz automatisch aberkannt wird. Der konservative Abgeordnete David Davies wies darauf hin, dass Gefangenen schließlich auch andere Rechte genommen würden – etwa die auf Bewegungs- oder Versammlungsfreiheit.

    "The concept is simple. If you break the law, you cannot make the law."

    Ein einfacher Grundsatz. Wer das Gesetz breche, der dürfe es nicht machen. Das Wahlrecht sei kein unveräußerliches Menschenrecht, und das britische Parlament wies das Straßburger Urteil mit überwältigender Mehrheit zurück. Heute nun will David Cameron in seiner Eigenschaft als turnusmäßiger Vorsitzender des Europarats die Gelegenheit nutzen und eine Reform des Menschenrechtsgerichtshofs vorschlagen.
    "This is a good time to actually make reforms to the European Court of Human Rights and make sure that he acts in a more proportionate way."

    Statt sich in traditionsreiche nationale Rechtssysteme einzumischen, solle Straßburg endlich die Bürokratie eliminieren und die 160.000 unerledigten Fälle abarbeiten, erläutert der Tory und Kronanwalt Geoffrey Cox gegenüber der BBC Camerons Reformvorschläge.

    "Die Situation zurzeit ist einfach nicht haltbar. Wir brauchen ein anderes System und müssen das Recht der individuellen Klage ersetzen durch ein anderes Prinzip, das die Menschenrechtsstandards erhält, aber den Gerichtshof nicht erdrückt."
    Straßburg solle sich auf die wichtigsten Fälle konzentrieren und sich nicht länger mit Vorgängen befassen, die bereits von nationalen Gerichten entschieden worden sind. Vor Illusionen warnt dagegen der Menschenrechtsanwalt Alex Bailin und erinnert an das Einstimmigkeitsprinzip im Europarat:

    "Wir können Reformen vorschlagen, die dann vom Ministerkomitee des Europarats diskutiert werden müssen. Aber wenn wir über Effizienzvorschläge hinausgehen und eine politische Agenda verfolgen, um die Macht des Gerichts zu schwächen, dann wird das nicht durchkommen."
    Dann bliebe Großbritannien alternativ der vollständige Rückzug aus dem Rat und die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Auch darüber denken manche Konservative bereits nach.