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Großbritannien
Zankapfel Studiengebühren

Seit 19 Jahren gibt es in Großbritannien Studiengebühren. Jetzt werden sie zum ersten Mal seit ihrer Einführung in Frage gestellt und das nicht nur, weil Labour-Chef Jeremy Corbyn im Wahlkampf ihre Abschaffung forderte. Gegenwind kommt allerdings aus der Wissenschaft.

Von Sandra Pfister | 24.07.2017
    Blick auf die Universität Cambridge in Großbritannien mit der King's College Chapel und dem Clare College
    1998 wurden in Großbritannien (hier die Universität Cambridge) Studiengebühren eingeführt. (picture-alliance/ dpa)
    Bislang haben die Tories, die Konservativen in Großbritannien, Studiengebühren bis aufs Blut verteidigt. Vor etwa zwei Wochen gab es dann den ersten Riss im Damm: Damian Green, Stellvertreter der Regierungschefin und ein enger Vertrauter der Premierministerin, sprach davon, man müsse über Studiengebühren diskutieren. Die Labour-Abgeordnete Rupa Huq nahm die Steilvorlage sofort in der prominentesten parlamentarischen Fragerunde auf, der "Prime Ministers Question Time":
    "Der stellvertretende Regierungschef hat kürzlich gesagt, wir müssten eine nationale Debatte über Studiengebühren führen. Er hat zugegeben, dass das für Studierende ein Riesenthema sei. Jetzt, wo die Premierministerin händeringend nach politischen Ideen sucht, empfehle ich ihr (...) die Studiengebühren abzuschaffen."
    Damian Green ruderte zurück: Das würde ein 100 Milliarden Pfund-Loch in den Haushalt reißen.
    70.000 Euro Schulden nach dem Studium
    Doch die öffentliche Meinung kippt. Berichte, wonach die ärmsten englischen Haushalte umgerechnet fast 70.000 Euro Studienschulden auftürmen für ein Kind, und eine Prognose des Institute for Fiscal Studies, nach der drei Viertel der Studierenden selbst 30 Jahre nach Studien-Ende ihre Schuld noch nicht beglichen haben werden, schockieren besonders junge Wähler. Sorana Vieru, Vizepräsidentin der Studentengewerkschaft "National Union of Students", findet:
    "Bildung ist ein öffentliches Gut. Und nicht nur, wer studiert, hat später Vorteile, sondern die ganze Bevölkerung (...) Also ist es berechtigt zu fragen, wie wir das finanzieren!"
    Unterstützung erhält sie dabei von unerwarteter Seite: Von Lord Andrew Adonis, einem früheren Bildungsminister und Berater von Tony Blair. Er gilt als Architekt der 1998 eingeführten Studiengebühren. Zweifel daran hat er schon länger:
    "Wir haben damals 3.000 Pfund Studiengebühren eingeführt, aber die Regierung hat immer noch den größten Batzen der Kosten eines Studiums bezahlt. Die derzeitige Regierung hat die Studiengebühren auf 9.000 Pfund pro Jahr verdreifacht (...) Das ist zu viel, die Studiengebühren sollten deshalb auf irgendwas zwischen fünf- und sechstausend Pfund sinken."
    Lizenz zum Gelddrucken
    Jetzt fordert er: Studiengebühren ganz abschaffen. Denn: Sie seien im Moment wie eine Lizenz zum Gelddrucken: Die britischen Universitäten hätten eine Art Kartell gebildet und würden fast durch die Bank den Höchstsatz verlangen. Die Vize-Kanzler der Unis, zuständig für die Verwendung der Studiengebühren, seien gierig – mit Spitzengehältern von umgerechnet bis zu einer halben Million Euro, finanziert aus Studiengebühren.
    Auch Nicolas Barr, Experte für Hochschulfinanzierung an der London School of Economics, hält diese Gehälter für unangemessen. Aber er verteidigt die Studiengebühren. "Eine hochwertige Hochschulausbildung ist aus Steuern allein einfach nicht zu finanzieren. Wenn man sich zu sehr auf Steuern verlässt, werden entweder die Studienplätze reduziert, oder die Qualität sinkt. Oder beides."
    Rückendeckung erhält er von Les Ebdon, Ex-Vizekanzler einer Uni und jetzt Präsident einer öffentlichen Körperschaft, die sich für einen fairen Zugang zur Bildung einsetzt: "Derzeit studieren so viele junge Leute aus unterprivilegierten Familien wie nie zuvor. Gegen alle Erwartungen, dass 9.000 Euro Studiengebühren doch viele abschrecken könnten, gibt es mehr junge Menschen aus benachteiligten Gegenden, ihre Zahl ist seit 2012 um 30 Prozent gestiegen."
    Der Druck auf die Regierung steigt
    Denn: Studiengebühren würden in Großbritannien erst nach dem Studium fällig. Junge Leute, die das auch so sehen, sind schwerer zu finden. Einer von ihnen ist Tom Harwood, bis vor kurzem noch Student, inzwischen ist er Anwalt. "Wichtig ist doch: Das System schließt Ärmere nicht aus. Ich musste bislang noch keinen einzigen Penny zurückzahlen, das muss ich erst, wenn ich mehr als 21.000 Pfund verdiene."
    An diesem Argument hält auch die Regierung fest – vorerst. Aber der Druck auf sie steigt.