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Große Forschung an kleinen Tieren

Technik. - Was die Welt im Innersten zusammenhält - das ist die Frage, die die Teilchenphysiker in den Bann zieht. An sich ist die Suche nach den kleinsten Bausteinen der Materie ja eher eine philosophische Angelegenheit, frei von jeder Zweckbestimmung. Dennoch sind die Wissenschaftler ab und zu für lukrative Anwendungen gut. Um solche Spin-offs der Teilchenphysik ging es in der letzten Woche auf einer Fachkonferenz im italienischen Como.

Von Frank Grotelüschen | 26.10.2005
    100 Meter fährt der Fahrstuhl in die Tiefe, dann öffnet sich die Tür. Unvermittelt steht man in einer Riesenhalle, vor sich einen Metallklotz groß wie ein Bürohaus - ein Detektor für Elementarpartikel. Er findet sich am CERN in Genf und registriert jene Bruchstücke, die beim Zusammenprall schneller Teilchen entstehen. Der Detektor steckt voller Spezialsensoren. Und mit denen lässt sich auch etwas anderes anfangen als nur Teilchenzählen, sagt CERN-Forscher Paul Lecoq:

    " An sich entwickeln wir Detektoren für die Teilchenphysik. Doch die Methoden, die wir entworfen haben, taugen auch für andere Anwendungen - insbesondere für bildgebende Verfahren in der Medizin."

    Ein Beispiel ist die Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET. Sie dient vor allem der Krebsfrüherkennung. Das Prinzip: Der Arzt verabreicht seinem Patienten eine Zuckerverbindung. Sie ist mit einem radioaktiven Stoff gekoppelt. Im Körper wird der Zucker vor allem von hungrigen Krebszellen umgesetzt. Der radioaktive Stoff zerfällt und sendet sog. Gammablitze aus. Detektoren registrieren die Gammablitze, ein Computer setzt die Daten in ein Bild um, auf dem der Tumor mehr oder weniger deutlich zu erkennen ist. Die Detektoren, die die Gammablitze einfangen, heißen Szintillatoren und kommen aus der Teilchenphysik, sagt Lecoq.

    " Der einzige Unterschied ist, dass wir es in der Medizin mit Strahlungsenergien zu tun haben, die eine Million Mal kleiner sind als in der Teilchenphysik. Aber das Grundprinzip ist dasselbe."

    PET zählt heute zu den etablierten Verfahren in der Medizin, doch die Entwicklung geht weiter. Lecoq und seine Kollegen arbeiten an Szintillatoren, die mehr Bildpunkte haben und dadurch schärfere Aufnahmen liefern. Mit diesen besseren Detektoren lassen sich nicht nur Menschen untersuchen, sondern auch kleinere Lebewesen - Laborratten zum Beispiel. Und das ist aus folgendem Grund interessant:

    " Heute können Biologen Versuchstiere genetisch so verändern, dass die Tiere bestimmte Krankheiten entwickeln, etwa Tumoren. Und mit einem PET-Scanner muss man das Tier dann nicht mehr töten, um etwa zu sehen, ob ein neues Krebsmedikament wirkt. Mit PET lässt sich am lebenden Tier beobachten, wie schnell das Medikament in den Tumor eindringt, wie es wirkt und ob es die gesunden Zellen schädigt, bevor man es dann am Menschen erprobt."

    Technisch ist so ein Rattenscanner allerdings anspruchsvoller als ein PET-Gerät für Menschen. Schließlich ist bei der Ratte naturgemäß alles viel kleiner - Skelett, Organe und auch Tumoren. Also muss der PET-Scanner deutlich feinere Bilddetails aufnehmen können. Erste Geräte sind mittlerweile schon auf dem Markt. Nur: Bei diesen Geräten muss man die Tiere für jede Untersuchung betäuben, denn freiwillig begibt sich keine Laborratte in den Tomographen. Das Problem:

    " Will man Nervensystem und Gehirn studieren, ist eine Betäubung von Nachteil. Das Betäubungsmittel setzt die Hirnfunktion herab, verfälscht damit die Untersuchung. Doch nun arbeitet ein Forscherteam in den USA an einem tragbaren PET-Scanner für Ratten. Der Prototyp heißt RatCAP und besteht aus einem Ring, den die Ratten um den Kopf tragen. Und damit lässt sich dann die Hirnfunktion überwachen, während die Ratte wach ist."

    Das Ganze sieht in etwa so aus, als trage die Ratte eine übertrieben große Perlenkette. Doch das Prinzip funktioniert, und bald könnte RatCAP in die Forschungslabors der Pharmahersteller Einzug halten.