
Gerd Breker: Als Mitglied des Parteivorstandes darf man nicht gegen den Koalitionsvertrag stimmen. Im Gegenteil: Man muss sogar für ihn werben, und das tun Sie.
Sascha Vogt: Na ja, ich habe mich auch im Parteivorstand dafür ausgesprochen, diesen Vertrag den Mitgliedern zum Entscheid vorzulegen, weil ich glaube, wir haben gerade auf den letzten Metern noch mal viele gute Punkte durchsetzen können. Ob diese Argumentation bei allen Jusos dann irgendwo verfängt, weiß ich nicht, weil da herrscht noch viel Skepsis bis Ablehnung vor. Das muss auch klar sein.
Breker: Die symbolische Einführung des Symbolthemas Mindestlohn mit all seinen Ausnahmen und erst ab 2015, das reicht für Ihre Zustimmung?
Vogt: Es geht ja nicht nur um den Mindestlohn. Aber ich finde es erst mal grundsätzlich gut, dass wir einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015 haben. Ja, es gibt Ausnahmen von laufenden Tarifverträgen dann noch. Wenn allerdings der Deutsche Gewerkschaftsbund diesem Modell so zustimmt und das begrüßt, dann, finde ich, ist das ein Indiz dafür, dass es kein ganz schlechtes Modell zumindest sein kann. Es gibt ja noch viele andere Punkte: Es gibt Regulierung der Leiharbeit, es gibt Verbesserungen bei der Rente, es gibt Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Es ist ja nicht so, dass es sich nur um den Mindestlohn handeln würde.
Breker: Die Finanzierung der prioritären Maßnahmen, wie es heißt, ist wohl bis zum Ende der Legislatur gesichert. Danach weiß man das nicht so genau. Halten Sie eigentlich diesen Vertrag für zukunftsfest?
Vogt: Ich glaube, dass das Thema Steuerpolitik und Steuererhöhung für diese Bereiche in dieser Gesellschaft weiter auf der Tagesordnung stehen wird, mitunter auch schon während der Legislaturperiode, sollten die Mitglieder diesem Vertrag jetzt zustimmen, weil wir haben uns auf prioritäre Finanzierungsaspekte geeinigt und die müssen jetzt eins zu eins umgesetzt werden. Und sollte das Geld nicht ausreichen, spätestens dann ist das Thema Steuererhöhungen wieder auf der Tagesordnung.
Breker: Sie sehen in diesem Vertrag keine Wohltaten zulasten der kommenden Generationen?
Vogt: Ich finde es gut, dass wir auch Verbesserungen im Bereich der Rente hinbekommen haben. Ich hätte mir gleichwohl gewünscht, dass das eine oder andere stärker steuerfinanziert gewesen wäre. Das wird man sich jetzt im Gesetzgebungsverfahren noch mal genau anschauen müssen, was das für die Zukunft dann heißt. Aber dass Menschen, die 45 Jahre lang Versicherungsbeiträge gezahlt haben, dann auch mit 63 in die Rente gehen können, finde ich erst mal gut, weil das sind ja die Leute, die auch häufig in körperlich belastenden Berufen arbeiten.
Breker: Nur müsste es ja eigentlich so sein, dass die Rentenbeiträge nach Gesetzeslage derzeit gesenkt werden müssten. Das werden sie aber nicht.
Vogt: Das halte ich auch für einen richtigen und guten Schritt, dass sie nicht gesenkt werden, weil das würde ja bedeuten, dass man sie jetzt einmal kurzfristig senken würde und dann so oder so, auch ohne diese beschlossenen Maßnahmen, in der Zukunft wieder erhöhen müsste. Das war auch Teil des SPD-Wahlprogramms, diesen Schritt, diese Senkung jetzt nicht vorzunehmen, um Reserven aufzubauen, um Projekte finanzieren zu können, und es bedeutet ja keine Schlechterstellung von irgendjemand, wenn man sie jetzt gerade nicht senkt.
Breker: Wird denn dieser Vertrag dem demographischen Wandel aus Ihrer Sicht gerecht, Herr Vogt?
Vogt: Na ja, das ist eine große Frage und das ist ein großes Thema. Ich würde sagen, ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle deutlich mehr für junge Menschen noch gewünscht. Es ist gut, dass wir im Bereich Bildung Prioritäten bei den Investitionen setzen, dass wir alle jungen Menschen in eine Ausbildung bringen wollen, damit eine Ausbildungsgarantie einführen wollen. Aber sicherlich wäre gerade im Investitionsbereich noch mehr Luft nach oben gewesen. Da sind wir wieder beim Thema Steuerpolitik. Ich glaube, das wird weiterhin auf der Tagesordnung stehen, das muss man auch weiterhin massiv einfordern.
Breker: Die Tatsache, dass die Ministerposten und die einzelnen Ministerien und deren Abgrenzung noch nicht geklärt ist, ist das eigentlich fair? Tatsächlich ist das doch schon ausgehandelt.
Vogt: Ich weiß nicht genau, ob es schon zu 100 Prozent ausgehandelt ist. Das wissen wahrscheinlich nur die drei Parteivorsitzenden. Wie man es macht, macht man es falsch, würde ich sagen. Würden jetzt schon alle Posten klar stehen, dann wäre gleich der Vorwurf da, es geht doch nur um Posten. So weiß man jetzt nicht so ganz, was im Gesamtpaket mit drin ist. Ich kann da beide Argumentationen verstehen.
Breker: Und Sie wünschen sich, es zu wissen?
Vogt: Es wäre an der einen oder anderen Stelle sicherlich hilfreich, das zu wissen, weil im Vertrag ja nun auch viele Sachen drin stehen, bei denen es irgendwie hilfreich ist zu wissen, wer wird das denn dann federführend am Ende umsetzen, ja.
Breker: Der Vorsitzende des Sachverständigenrates spricht von einem Schönwettervertrag. Die Risiken der Konjunktur, die Risiken der Euro-Krise, die bleiben außen vor. Macht Ihnen das Bauchschmerzen?
Vogt: Wenn es zu neuen Entwicklungen kommen sollte – da sind wir wieder beim Thema Finanzpolitik -, dann wird man darauf reagieren müssen und wird in so einem Vertrag mit Sicherheit nicht alle Möglichkeiten, die sich in der Zukunft ergeben können, vorwegnehmen können. Und wenn es dann zu solchen Herausforderungen kommt, dann wird man damit vernünftig umgehen müssen. Wenn die Konjunktur einbricht, dann wird es finanzpolitische Probleme geben, und dann werden wir wieder über das Thema Steuerpolitik zum Beispiel reden müssen. Und in der Euro-Krise wissen wir auch nicht, wie es sich weiter entwickelt. Auch dort wird man dann die angemessenen Maßnahmen dann diskutieren müssen, wenn sie anstehen.
Breker: Die SPD-Mitglieder werden entscheiden. Sie als Mitglied im Parteivorstand werben für diesen Koalitionsvertrag. Rechnen Sie mit einem Ja am Ende?
Vogt: Ich stelle gerade fest, dass es eine sehr intensive Diskussion bei den SPD-Mitgliedern gibt über das Für und Wider einer Großen Koalition. Ich kann gerade nicht abschätzen, in welche Richtung sich das entwickelt. Ich finde es aber erst mal gut, dass die Parteimitglieder jetzt die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren, und das auch nicht heute oder morgen entscheiden müssen, sondern damit jetzt noch rund zwei Wochen Zeit haben, sich da eine Meinung zu zu bilden. Das findet jetzt gerade statt. Ich stelle gerade bei vielen Leuten fest, dass sie diesen Vertrag lesen, dass sie Nachfragen stellen, dass sie diskutieren. Einige sind schon sehr festgelegt in ihrer Meinung, andere noch nicht. Das ist erst mal was Gutes und ich glaube, dieser gesamte Diskussionsprozess tut der Partei erst mal gut.
Breker: Und am Ende wird es auch gut ausgehen?
Vogt: Das werden die Mitglieder entscheiden, ob es am Ende gut ausgeht.
Meurer: Die Jusos lehnen den Koalitionsvertrag ab – Sascha Vogt, ihr Vorsitzender, im Gespräch mit Gerd Breker.
Sascha Vogt (*1980) wurde am 18. Juni 2010 zum Bundesvorsitzenden der Jusos gewählt. Seit 2008 gehört er dem Juso-Landesvorstand NRW an und seit 2009 auch dem Bundesvorstand. Außerdem war er Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppe und Geschäftsführer des bundesweiten Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
