Karin Fischer: Als durchaus modernen Magier von Bildwelten kann man Joachim Patinir bezeichnen, jenen niederländischen Landschaftsmaler, dem der Prado in Madrid seine große Sommerausstellung widmet. Dabei ist Patinir schon knapp 500 Jahre tot und auch nicht annähernd so bekannt wie, sagen wir, Hieronymus Bosch. Eine kleine Sensation ist diese Show, sagen Kritiker, und nicht nur, weil noch nie so viele Werke Joachim Patinirs auf einmal zu sehen waren. Sie passt auch wunderbar in eine Zeit, in der die Leute sich in die magischen Welten eines Harry Potter vertiefen oder die neuseeländischen Landschaften eines Herrn der Ringe die breitesten Breitwandleinwände sprengen.
Frage an Paul Ingendaay, der die Show in Madrid gesehen hat. Was macht Joachim Patinir denn so modern?
Paul Ingendaay: Es ist wirklich faszinierend, vor diesen Landschaften zu stehen und zu wissen, dass niemals ein Maler vor ihm so sehr die Landschaft nach vorne gerückt und den Menschen klein gemacht hat in der Landschaft. Es geht nicht ganz ohne Menschen ab. Aber die Menschen werden immer kleiner, werden immer unwichtiger, und obwohl es Heiligenfiguren und weitestgehend religiöse Motive sind, leuchtet die Leinwand in diesem Türkis, in Blau und Grün, vorne immer in Braun, in Erdtönen, und hinten geht es geradezu in die Unendlichkeit, wo fast in jedem Bild ein weißer Horizontstreif ist, der irgendwas Unendliches verheißt. Und das erinnert uns an Caspar David Friedrich. Man kann es gar nicht anders sagen. Es ist eine geradezu magische Landschaft und eine Fantasy-Welt, die dieser Maler vor 500 Jahren schon geschaffen hat.
Fischer: Der Name Hieronymus Bosch fiel schon. Man stellt sich diese düster-magischen Bildwelten vor, in denen auch, sagen wir mal, Steine und Wurzeln etwas Magisch-Menschliches haben können. Was war sein Ziel? Was oder wen wollte er bannen? Wo kam er geistig her?
Ingendaay: Wir wissen eigentlich über seine Lehre, seine Lehrzeit in seiner Jugend praktisch nichts. Wir wissen nur, dass er ab 1515 in Antwerpen registriert ist, in den fünften, und er dann neun Jahre hatte, um seine Produktion zu schaffen. Das waren neun Jahre bis zu seinem Tod. Das war alles, und es sind erhalten etwa 29 Bilder, je nachdem, wie man es zählt. Da gibt es hier und da Debatten, Streit der Experten. Es sind also sehr wenig. Man erkennt einerseits, dass er von Bosch tief beeinflusst war, dass er auch von Van der Weyden, den religiösen Darstellungen, beeinflusst war, dass er aber eine florierende Werkstätte hatte, die Luxusartikel für Privatpersonen, nicht für die Kirche, geschaffen hat. Das machte ihn freier, er musste nicht so dogmatisch sein. Und es scheint sogar zu sein, das ist zumindest eine Theorie von Kunsthistorikern, dass er wirklich um der Landschaft willen, um des Ausdrucks willen eher gemalt hat, als um irgendwelcher religiöser Botschaften, die eben bei ihm schon zurücktreten.
Fischer: Hat sich aber dennoch auf dem Markt damals behauptet.
Ingendaay: Er hat sich behauptet, weil sicherlich in Flandern die Malerei viel freier war als in Italien oder Spanien, was das Dogmatische anging. Zugleich hat aber auch er die Begeisterung von Phillip II. gefunden. Denn es finden sich einige seiner schönsten Bilder am königlichen Hof, sind erhalten worden, sind sogar kopiert worden. Das heißt, man sieht, er war sowohl als Händler und als Werkstattbetreiber, der zum Teil auch mit Leuten zusammenarbeitete, wie er auch seine Gesellen kräftig Hand anlegen ließ, als auch als Figur, als malerischer Inspirator sehr gegenwärtig.
Eine Sache, die für uns sehr interessant ist heute: Er hat die Figuren auf seinen Bildern fast nie selbst gemalt. Er hat das alles seine Gesellen machen lassen, und er hat sich selbst um die Landschaften gekümmert, eine Art der Arbeitsteilung, die damals ja sehr üblich war, die aber auch unserem Geniebegriff zuwider läuft. Und auch das mag es schwierig gemacht haben, diesen Mann so richtig zu fassen. Nur der Prado in Madrid, der vier seiner Bilder hat, konnte diese Ausstellung überhaupt auf die Beine stellen. Denn man muss ja aus New York und Berlin, aus dem Louvre in Paris sich die Sachen leihen und diese Holztafeln, die sind unterwegs nicht gut zu haben. Die reisen sehr ungern, ja.
Fischer: Nun scheint es sich ja bei dieser Ausstellung im Prado um eine veritable Wiederentdeckung zu handeln. Würden Sie, Paul Ingendaay, diese Ausstellung nun allen fantasysüchtigen Jugendlichen verordnen sozusagen als Sommerausflug nach Madrid?
Ingendaay: In jedem Fall. Also, das ist das Wunderbare, dass bei diesem Maler, der ein sehr kleines Werk geschaffen hat, man sowohl zurückguckt auf Bosch und Van der Weyden, auf die ganz frühen Flamen, die so großartig sind, als auch nach vorne in andere Fantasiewelten. Da, finde ich, sind diese alten Maler oft ein Bindeglied, das außer Acht gerät, wenn man ihr Werk nicht wirklich in natura vor sich sehen kann. Diese Ausstellung, die die allererste Soloshow für Patinir ist, wird, glaube ich, nicht zu wiederholen sein. Und da sie noch bis Oktober zu sehen ist, bleiben also drei Monate, um sie sich anzuschauen.
Fischer: Herzlichen Dank an Paul Ingendaay für diese Informationen über Joachim Patinir. Zu sehen jetzt im Prado in Madrid.
Frage an Paul Ingendaay, der die Show in Madrid gesehen hat. Was macht Joachim Patinir denn so modern?
Paul Ingendaay: Es ist wirklich faszinierend, vor diesen Landschaften zu stehen und zu wissen, dass niemals ein Maler vor ihm so sehr die Landschaft nach vorne gerückt und den Menschen klein gemacht hat in der Landschaft. Es geht nicht ganz ohne Menschen ab. Aber die Menschen werden immer kleiner, werden immer unwichtiger, und obwohl es Heiligenfiguren und weitestgehend religiöse Motive sind, leuchtet die Leinwand in diesem Türkis, in Blau und Grün, vorne immer in Braun, in Erdtönen, und hinten geht es geradezu in die Unendlichkeit, wo fast in jedem Bild ein weißer Horizontstreif ist, der irgendwas Unendliches verheißt. Und das erinnert uns an Caspar David Friedrich. Man kann es gar nicht anders sagen. Es ist eine geradezu magische Landschaft und eine Fantasy-Welt, die dieser Maler vor 500 Jahren schon geschaffen hat.
Fischer: Der Name Hieronymus Bosch fiel schon. Man stellt sich diese düster-magischen Bildwelten vor, in denen auch, sagen wir mal, Steine und Wurzeln etwas Magisch-Menschliches haben können. Was war sein Ziel? Was oder wen wollte er bannen? Wo kam er geistig her?
Ingendaay: Wir wissen eigentlich über seine Lehre, seine Lehrzeit in seiner Jugend praktisch nichts. Wir wissen nur, dass er ab 1515 in Antwerpen registriert ist, in den fünften, und er dann neun Jahre hatte, um seine Produktion zu schaffen. Das waren neun Jahre bis zu seinem Tod. Das war alles, und es sind erhalten etwa 29 Bilder, je nachdem, wie man es zählt. Da gibt es hier und da Debatten, Streit der Experten. Es sind also sehr wenig. Man erkennt einerseits, dass er von Bosch tief beeinflusst war, dass er auch von Van der Weyden, den religiösen Darstellungen, beeinflusst war, dass er aber eine florierende Werkstätte hatte, die Luxusartikel für Privatpersonen, nicht für die Kirche, geschaffen hat. Das machte ihn freier, er musste nicht so dogmatisch sein. Und es scheint sogar zu sein, das ist zumindest eine Theorie von Kunsthistorikern, dass er wirklich um der Landschaft willen, um des Ausdrucks willen eher gemalt hat, als um irgendwelcher religiöser Botschaften, die eben bei ihm schon zurücktreten.
Fischer: Hat sich aber dennoch auf dem Markt damals behauptet.
Ingendaay: Er hat sich behauptet, weil sicherlich in Flandern die Malerei viel freier war als in Italien oder Spanien, was das Dogmatische anging. Zugleich hat aber auch er die Begeisterung von Phillip II. gefunden. Denn es finden sich einige seiner schönsten Bilder am königlichen Hof, sind erhalten worden, sind sogar kopiert worden. Das heißt, man sieht, er war sowohl als Händler und als Werkstattbetreiber, der zum Teil auch mit Leuten zusammenarbeitete, wie er auch seine Gesellen kräftig Hand anlegen ließ, als auch als Figur, als malerischer Inspirator sehr gegenwärtig.
Eine Sache, die für uns sehr interessant ist heute: Er hat die Figuren auf seinen Bildern fast nie selbst gemalt. Er hat das alles seine Gesellen machen lassen, und er hat sich selbst um die Landschaften gekümmert, eine Art der Arbeitsteilung, die damals ja sehr üblich war, die aber auch unserem Geniebegriff zuwider läuft. Und auch das mag es schwierig gemacht haben, diesen Mann so richtig zu fassen. Nur der Prado in Madrid, der vier seiner Bilder hat, konnte diese Ausstellung überhaupt auf die Beine stellen. Denn man muss ja aus New York und Berlin, aus dem Louvre in Paris sich die Sachen leihen und diese Holztafeln, die sind unterwegs nicht gut zu haben. Die reisen sehr ungern, ja.
Fischer: Nun scheint es sich ja bei dieser Ausstellung im Prado um eine veritable Wiederentdeckung zu handeln. Würden Sie, Paul Ingendaay, diese Ausstellung nun allen fantasysüchtigen Jugendlichen verordnen sozusagen als Sommerausflug nach Madrid?
Ingendaay: In jedem Fall. Also, das ist das Wunderbare, dass bei diesem Maler, der ein sehr kleines Werk geschaffen hat, man sowohl zurückguckt auf Bosch und Van der Weyden, auf die ganz frühen Flamen, die so großartig sind, als auch nach vorne in andere Fantasiewelten. Da, finde ich, sind diese alten Maler oft ein Bindeglied, das außer Acht gerät, wenn man ihr Werk nicht wirklich in natura vor sich sehen kann. Diese Ausstellung, die die allererste Soloshow für Patinir ist, wird, glaube ich, nicht zu wiederholen sein. Und da sie noch bis Oktober zu sehen ist, bleiben also drei Monate, um sie sich anzuschauen.
Fischer: Herzlichen Dank an Paul Ingendaay für diese Informationen über Joachim Patinir. Zu sehen jetzt im Prado in Madrid.