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Große Probleme werden nicht angepackt

Die Wirtschaft boomt in Russland. Das Wachstum lag im vergangenen Jahr bei sechs Prozent und die steigenden Preise für Öl und Gas spülen enorme Devisenmengen ins Land. Mit diesem Geld ließe sich eigentlich auch die Umwelt sanieren, deren Schutz bereits zu Sowjetzeiten vernachlässigt wurde. Die Probleme sind riesig, aber für eine Lösung interessiert sich die heutige Regierung in Moskau genauso wenig wie die Vorgängerregierungen.

Von Christoph Kersting |
    " Sie sehen ja, wie schlimm der Verkehr hier ist. Früher gab es einfach viel weniger Autos in Moskau. Der ganze Dreck macht auch krank, es gibt so viele Allergiker bei uns ... ."

    Seit einigen Jahren schon verkauft Vera am Leninskij Prospekt, einer der riesigen Moskauer Ausfallstraßen, ihre Blumen. Nicht nur ihr, den meisten Moskauern stinkt die Hauptstadt gehörig. Am Leninskij Prospekt hat auch Aleksej Jablokow sein Büro. Der Gründer von Greenpeace Russland und Vorsitzende der Grünen Partei ist so etwas wie die Graue Eminenz der Ökologie-Bewegung in seinem Heimatland.

    " Unabhängige Untersuchungen besagen, dass 14 bis 15 Prozent Russlands heute ökologisches Notstandsgebiet sind. Das betrifft den Zustand der Wälder, die Wasserqualität und auch die Krankheitsrate in der Bevölkerung. Auf dieser Fläche leben rund 60 Millionen Menschen. Es ist ja bekannt, dass Russland mehr noch als andere Länder unter einer hohen Sterblichkeitsrate leidet. Wir gehen davon aus, dass pro Jahr 300 000 bis 350 000 an den direkten Folgen der Umweltverschmutzung sterben."

    Der Staat indes hält sich vornehm zurück, wenn es um Umweltauflagen für die boomende Industrie im Land geht. Seit Präsident Putin das Land mit fester Hand regiert, sei das Thema Umweltschutz mehr und mehr zum lästigen Störfaktor für den Kreml geworden, sagt Jens Siegert vom Moskauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung:

    " Das erste ist, dass seit dem Amtsantritt von Putin praktisch systematisch die Umweltgesetzgebung, die gar nicht so schlecht war sowohl in der SU, aber auch im unabhängigen Russland in den 90er Jahren, systematisch zurückgefahren worden ist. Also dass ein Umweltschutzamt, ein Komitee, dessen Vorsitzender den Rang eines Ministers hatte, als eigenständige Behörde abgeschafft worden ist und dem Ministerium für Naturressourcen untergeordnet wurde. Dieses Ministerium ist zuständig für die Vergabe von Schürflizenzen, für Öl oder für Gas, da ist der Bock schlicht und einfach zum Gärtner gemacht worden."

    So wurde auch die Umweltpolizei bis zur Bedeutungslosigkeit verkleinert. Ein Beispiel: Die Provinz Tjumen mit ihren riesigen Öl- und Gasvorkommen, 2000 Kilometer östlich von Moskau. Für ein Gebiet so groß wie Frankreich stehen heute nur noch zwei staatliche Umwelt-Inspektoren auf völlig verlorenem Posten - Aleksej Jablokow:

    "Das ist symptomatisch für die Situation bei uns, der Staat hat sich aus der Umweltpolitik verabschiedet. Wir wissen einfach nicht, was da aktuell im Land geschieht. Wir haben heute weniger Informationen als zu Sowjet-Zeiten, damals waren diese Informationen geheim, heute gibt es sie einfach nicht, was viel schlimmer ist."

    Dabei hat Russland nicht nur mit aktuellen Problemen wie Straßenverkehr und wachsenden Müllbergen zu kämpfen, sondern mit zahlreichen Altlasten aus Sowjet-Zeiten. 2007 etwa jährt sich zum 50. Mal die Explosion der Atomfabrik Majak, die laut Experten-Meinung nicht weniger Radioaktivität freigesetzt hat als Tschernobyl vor 20 Jahren. Der Fall Majak sei bis heute nicht untersucht, das gesamte Gebiet hochgradig verseucht, so Jens Siegert von der Heinrich-Böll-Stiftung.

    " Es gibt aus der Mitte der 90er Jahre ein Gutachten, das davon ausgeht, dass etwa 15 Prozent der Fläche Russlands radioaktiv so verseucht sind, dass sie eigentlich nicht bewohnbar sind. Da redet heute keiner mehr drüber. Die Leute leben dort einfach in diesen Gebieten. Das sind so versteckte Katastrophen, die gar nicht auf der Oberfläche liegen, die aber noch sehr große Auswirkungen haben werden."

    Ungeachtet dessen setzt Russland verstärkt auf die Atomenergie, kürzlich sickerte aus Regierungskreisen durch, dass bis zum Jahr 2030 40 neue Reaktoren verteilt über das ganze Land gebaut werden sollen.