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Große sardische Freiheit

Die wirtschaftliche Zukunft Sardiniens liegt nach Meinung der Regionalregierung vor allem im Tourismus. U-Boote, Panzer und Granaten sind da kontraproduktiv. Friedlich soll Sardinien werden, entmilitarisiert und regiert von Sarden, das fordern die Lokalpolitiker, die inzwischen von einer eigenen Republik Sardinien träumen.

von Karl Hoffmann | 08.10.2005
    Gavino Sale kann keinen Moment still sitzen. Entweder er arbeitet am Computer. Oder er telefoniert. Oder er diskutiert, besser gesagt: er hält kleine Reden. Gavino Sale ist Politiker aus der Provinz. Er lebt in Banari einem gottverlassenen Dorf nicht weit von Sassari im Nordwesten der Insel entfernt. Sale nennt sein Dörfchen seine Wolfshöhle.

    Es ist die Hochburg der von ihm gegründeten Partei IRS Indipendèntzia Repubrica de Sardigna. Er kämpft für eine unhabgängige Republik Sardinien. Er bezeichnet sich als virtueller Untergrundkämpfer: eine Kombination aus Robin Hood und Don Quichotte. Gavino Sales Kommandozentrale ist die Küche in dem bescheidenen Häuschen, das er von seinem Großvater geerbt hat. Hier hat er mit seinen Getreuen den Plan ausgeheckt, das Sicherheitssystem der auf seiner Insel stationierten Nato-Truppen lahm zu legen.

    "Wir haben kurzerhand eine nagelneue Raketenabschussrampe der Nato besetzt, die in der Hochsicherheitszone aufgestellt war. Da durften eigentlich nicht mal Spezialeinheiten hin. Mit einem Schnellboot ist unsere Gruppe aus zwei Frauen und drei Männern ins Übungsgebiet gefahren und blitzschnell an Land gegangen und haben die Abschussrampe in der Nähe des Strandes in Besitz genommen. Und noch bevor die Nato-Hubschrauber landen konnten, haben wir unsere Fahnen auf der Rampe gehisst. Wir haben das Heiligtum der Militärs entweiht und ihren Glauben, unangreifbar zu sein, vollkommen zerstört. Der kommandierende General wurde auch prompt wegbefördert. Wir haben sie schachmatt gesetzt. Wie bei unserer jüngsten Aktion, als wir die Villa von Signor Berlusconi besetzt haben."

    Gavino Sale ist 49 Jahre alt. Während er redet, kocht seine Frau Rosa Espresso für alle. In der Ecke neben einem alten Sofa räkelt sich eine ganze Katzenfamilie. Ihr Fell ist so schwarz wie das kurze drahtige Haupthaar von Gavino. Er ist klein von Wuchs, hat dunkle Haut und pechschwarze Augen. Das tiefe Timbre seiner Stimme ist auch das Ergebnis jahrzehntelangen intensiven Zigarettenkonsums. Eigentlich wollte Gavino Tierarzt werden.

    Er hat ein paar Semester ernsthaft studiert, dann aber herausgefunden, dass ihn der Umgang mit Menschen mehr interessiert als die Versorgung von Schafen und Eseln. Er hat sich in der Studentenbewegung engagiert, hat ganz Europa und Nordafrika bereist und ist schließlich wieder sesshaft geworden mit seiner Frau, die er schon kannte, als sie acht und er dreizehn Jahr alt war. Rosa und Gavino haben auf eigene Kinder verzichtet. Sie verdienen ihr Geld mit einer kleinen Firma für Brunnenbohrungen, aber sie leben eigentlich nur für ihre Trauminsel: ein Ort ohne Fremdbestimmung, ohne Stacheldraht und Wachposten.

    "Zweiundzwanzig Tage lang haben wir abwechselnd die Villa Certosa von Silvio Berlusconi beobachtet und alles ganz genau registriert, sogar ob die Wachsoldaten Alkohol zu sich nahen, denn ein betrunkener Soldat mit Maschinengewehr kann sehr gefährlich sein. Wir haben alle gründlich vorbereitet, einen Weg durchs Dickicht geschlagen und sind mit 108 Frauen und Männern in die Villa spaziert. Wieder haben wir unsere Fahnen am Swimmingpool aufgepflanzt, um damit klarzumachen, dass wir die legitimen Herren dieser Insel seit mindestens 5000 Jahren sind. Berlusconi hat sich dem sardischen Volk gegenüber arrogant und beleidigend verhalten. Weder der Umweltassessor, noch die Richter, die wegen fehlender Baugenehmigungen ermittelten, durften die Villa besichtigen, sie wurden mit der Begründung weggeschickt, die Villa sei Staatsgeheimnis. Ein italienischer Ministerpräsident kann sich doch nicht einfach auf 40 Hektar verbarrikadieren und darüber dann das Staatsgeheimnis verhängen und auch noch jeden bedrohen, der sich seinem Haus nähert. Letztes Jahr hat er sich auch schon mal ein Ding geleistet: da hat er vorgeschlagen, sämtliche radioaktiven Abfälle in Italien, das sind immerhin 55000 Tonnen, hier in Sardinien end zu lagern. Da redet er immer davon, dass Sardinien seine zweite Heimat ist und in Wirklichkeit wollte er bei uns die nuklearen Abfälle loswerden."

    Rosa hat frische Sardinen in Mehl gewälzt und legt sie in heißes Öl, ein einfaches Abendessen für sie ihren Mann und die beiden Mitarbeiter, die gerade Flugblätter für die nächste Aktion vorbereiten, während Gavino Sale am bereits gedeckten Küchentisch Politik macht. Pressemeldungen, Kommuniques, Treffen mit Journalisten Auftritte im Lokalfernsehen. Kommunikation ist alles. Die vielen Gerichtsverfahren wegen Landfriedensbruch und Unerlaubten Eindringens in militärische und Hochsicherheitsbereiche sind keine Last für den Vorkämpfer der künftigen Republik Sardinien sondern eine willkommene Werbung für seinen Traum von der großen sardischen Freiheit. Dass er bei vielen seiner Landsleute als Störenfried gilt, macht ihm nichts aus. Aber das Argument, es gehe den Sarden heute besser geht als je zuvor, bringt Gavino Sale auf die Palme.

    "Jedes Jahr werden bei uns die Schweine gemästet, erst sperren wir sie ein, dann geben wir ihnen viel zu fressen, Mais und Bohnen, und wenn sie die nicht mögen bekommen sie Kichererbsen. Wir geben ihnen solange zu fressen bis wir sie aufessen und Würste aus ihnen machen. Natürlich sind sie mit ihrem Leben ganz zufrieden aber nur, solange sie nicht geschlachtet werden. Wir wollen keine Mastschweine sein. Und selbst wenn sie uns aus Italien noch so viel zu fressen gäben, ich ziehe es vor ein Wildschwein zu sein, capito? Dein Wildschwein, das sein Fressen selber sucht, mager ist, aber dafür frei. Ich will nicht gefüttert werden, ich ziehe es vor, ein Wildschwein zu sein."

    Und dann verrät Gavino Sale noch, wie er in einem künftigen unabhängigen Sardinien, frei von Soldaten und Waffen, leben möchte:

    "Mein Traum ist es, sechs Monate zu arbeiten und sechs Monate zu lernen, zu spielen, mich mit anderen zu vergnügen. Davon träumen wahrscheinlich alle, die dem allgemeinen Wahn in der westlichen Welt zum Opfer gefallen sind, man müsse sein ganzes Leben lang nur schuften. Immer mehr Tempo, immer mehr Konkurrenz! Dadurch entstehen Konflikte zwischen den einzelnen Menschen und zwischen den Staaten. Man hat keine Zeit mehr, an sich selbst zu denken, an die Leidenschaften und Genüsse, die das Leben einem schenkt."