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Großer Bahnhof für "Immanuel Kant"

Wenn Immanuel Kant nach Amerika reist, und zwar mit Frau, Bruder und Papagei, kann es als gesichert gelten: Das ist nicht der Immanuel Kant, den wir kennen. Der hatte zwar einen Bruder – den er allerdings nie sah -, aber keine Frau und einen Papagei auch nicht. Wenn also Thomas Bernhard ein Stück mit diesem Personal geschrieben hat, kann man schlussfolgern, dass es sich um eine Komödie handelt. Aber!

Von Christian Gampert | 18.01.2009
    Ahoi, ahoi! So tutet das Nebelhorn. Auf großer Fahrt befindet sich nicht nur ein gewisser Herr Immanuel Kant, bei Thomas Bernhard ein psychopathischer Hochstapler und Betrüger, sondern auch der Regisseur Matthias Hartmann. Kant ist auf einem Überseedampfer unterwegs nach Amerika, angeblich, um dort einen Ehrendoktor entgegenzunehmen und sich am grünen Star operieren zu lassen; und Hartmann schippert demnächst nach Wien, um dort Burgtheaterdirektor zu werden – der Donauwalzer wird in der Inszenierung jedenfalls schon mal ausgiebig gespielt.
    Ein gewisser Hang zum Hochstapeln ist ja auch Matthias Hartmann eigen; zum Abschluss seiner Züricher Zeit hat er sich noch mal einen Herzenswunsch erfüllt und eine Bombenbesetzung auf dem Achterdeck versammelt. Die Bühnenmaschinerie läuft auf Hochtouren und bringt den Theaterdampfer mächtig in Schräglage, Sunnyi Melles steht dekorativ an der Reling wie in "Vanity Fair" und Michael Maertens, der Kant, kracht immer wieder mit seinem Liegestuhl zusammen wie bei "Dick und Doof", Hans Michael Rehberg ringt als Kardinal die Hände und Traugott Buhre mampft als Admiral mächtig vor sich hin – allein: es nutzt alles nichts, dieses Traumschiff steuert zwei Stunden lang den Kurs einer theatralen Butterfahrt, auf der nur sehr alter Klunker feilgeboten wird.
    Auch Thomas Bernhards Zynismen, die einst ins Mark des reaktionären Bildungsbürgertums trafen, sind deutlich in die Jahre gekommen. Dass ausgerechnet der Aufklärer Kant fast blind ist und am liebsten mit einem Papagei kommuniziert, der ihm den kategorischen Imperativ nachplappert, lässt heute keinen Oberstudienrat mehr vom Stuhl fallen. Auch die forcierte Künstlichkeit, mit der Hartmann sein Bühnenpersonal agieren lässt, ist nicht mehr ganz up to date. Es sind großartige Schauspieler, die da abendfüllend unterfordert werden: Michael Maertens als Kant nölt und schnöselt sich mit einem bisweilen hochgequietschten Ruhrpott-Ton durch seine Pseudophilosopheme und sucht die Nackenstütze, Karin Pfammater ist sein verhuschtes Weibchen, Wolfgang Michael steht als dämonischer Steward schräg in der Gegend herum und lässt die Korken knallen. Sehr langweilig, das alles.
    So ist denn der rote Teppich ausgerollt für Sunnyi Melles, die als "Millionärin" wenigstens ein bisschen Glamour in die gute Stube bringen darf. Das ist schon nett anzusehen, wie Melles als leichtbekleidete Inkarnation der Unbildung sich räkelt und fragt "Wer war eigentlich dieser Leibniz"? Ein Fall für PISA. Das blonde Gift aus Hollywood, das lasziv die Laute dehnt und den erotisch eher unterbelichteten Herrn Kant anbaggert. Melles drückt dabei allerdings so auf die Tube, dass ihre exzentrischen Marylin-Posen schließlich zu einer sexualisierten Freiheitsstatue erstarren – damit auch der Abonnent was erkennt.
    Friedrich, der Papagei, ist also der eigentliche Philosoph des Abends; er wird wie in einer Monstranz dahergetragen. Und da auf der Bühne nicht viel geschah, fand die eigentliche Aufführung im Pausenfoyer statt: auch hier Millionäre und Philosophen, von Günter Netzer bis Adolf Muschg, von der Stadt- und Landesspitze bis zur Industriellen-Creme. Großer Abschieds-Bahnhof also für Matthias Hartmann.
    Der Bühnen-Kant übte nach der Pause Denker-Posen, hob zu einer großen Rede an und sagte dann erwartungsgemäß gar nichts, und auf Deck wurde ein Gala-Diner arrangiert, weil der böse Thomas Bernhard ja nunmehr in kulinarisches Theater umgewandelt wurde, eine Art Nachspeise zur Finanzkrise. "Immanuel Kant" ist leider Bernhards schwächstes Stück, es hat keinen Drive. Und so ist das einzige, das in Erinnerung bleibt, das Tuten des Nebelhorns. Ein sehr langweiliger Abend in großer Besetzung, ein hübsches, herausgeputztes kleines Nichts.