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Großes Kino über eine Nation in der Krise

Dass Hass und Gewalt mitunter Sprachlosigkeit produzieren, das zeigt unter anderem das Drama "No Country for Old Man", das mit einem Oscar für den besten Film und die beste Regie ausgezeichnet wurde. Die verstörende Gewalt im Film scheint symptomatisch für ein Amerika, das sich in der Krise befindet. Gleichzeitig eröffnen sich in dieser Krise für die Filmschaffenden neue ästhetische Freiräume.

Von Christoph Schmitz | 25.02.2008
    Das US-amerikanische Kino hat Georg W. Bush viel zu verdanken. Der Hass in Hollywood auf den Kriegspräsidenten wird in Filmkunst sublimiert. Das Desaster im Irak inklusive Abu Ghraib und Guantanamo haben das amerikanische Selbstbewusstsein zumindest der Filmschaffenden auf eine Weise irritiert, dass selbst die Gewissheiten des selbstsicheren Genrekinos vom Detektivfilm, über den Verbrecherthriller bis zum Western ins Wanken geraten sind. Unter dem Druck der politischen Verhältnisse haben sich die Konstruktionen verbogen. Was einerseits die Krise dokumentiert, was andererseits dem Film neue Bilder und neue ästhetische Räume öffnet.

    Die Oscarverleihung im Kodak Theatre von Los Angeles gestern abend hat das bestätigt. So hoffnungslos, verzweifelt und verbohrt sind Jäger und Gejagte auf der Leinwand schon lange nicht mehr durch die Land- und Stadtwüsten des Kontinents getrieben worden. Die Verbrecherjagd in "No Country for Old Men" der Brüder Joel und Ethan Coen ist unter anderem für die wichtigsten Kategorien, nämlich bester Film und beste Regie, ausgezeichnet worden. Tommy Lee Jones ist als texanischer Sheriff hinter einem eiskalten Mörder her, der lakonisch und hygienisch die Schädel derjenigen durchlöchert, die ihn bei der Suche nach einem Koffer voller Dollar stören. Seine Grausamkeit ist höllisch und menschlich zugleich und verweigert jeden psychologischen oder sozialen Zugriff.

    Doch nicht Schnelligkeit, wie sie den Thriller üblicherweise auszeichnet, schafft hier Spannung, sondern die Entschleunigung. Hier entsteht eine Spannung, die keine Erlösung findet. Sheriff und Mörder werden einander nicht begegnen. Mit der Gerechtigkeit ist es in den USA vorbei.

    Die Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit gegenüber der Gewalt, die wie eine Naturmacht über diese Gesellschaft hineinzubrechen scheint, ist auch das Signum des zweiten starken Filmes, der aber nur mit einem Oscar für den Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde: "There will be Blood" von Paul Thomas Anderson. Der prämierte Daniel Day-Lewis spielt in diesem Spätwestern einen Goldgräber um 1900, der Öl findet und es mit teuflischem Ehrgeiz, Betrug und Mord zum Milliardär bringt. Szene, Mimik, Musik sind kompromisslos auf Kälte und Härte getrimmt. Die Helden der Pionierzeit haben ihre Aura verloren. Mit der unschuldigen Großmacht USA, einst Inbegriff von Freiheit und Demokratie, ist es vorbei.

    Wenn es konkret um Wirtschaftskriminalität heute geht, sieht es nicht besser aus. Tilda Swinton erhielt für ihre Rolle als korrupte Juristin einen Oscar in Tony Gilroys Kino-Debüt "Michael Clayton", der für den besten Film und die beste Regie immerhin nominiert war. Allerdings tat die Oscar-Jury gut daran, diese Arbeit trotz George Clooney und Schwarz-Weiß-Ästhetik auf der Nominierungsliste zu belassen. Innovativ ist die Geschichte nämlich nicht erzählt.

    Doch ansonsten ist die Experimentierfreude des US-amerikanischen Kinos nicht zu übersehen. Zum letzten Mal gab es die in den frühen 70ern mit New Hollywood, als Ölkrise, Vietnamkrieg und Watergate das Land erschütterten und Regisseure wie Robert Altman, Arthur Penn und Francis Ford Coppola hervortraten. Dass die diesjährigen Oscars für die beste Hauptdarstellerin und den besten fremdsprachigen Film an europäische Produktionen gingen, widerspricht der Diagnose eines neuen New Hollywood nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel.

    Der handwerklich und psychologisch so perfekt inszenierte Film "Die Fälscher" von Stefan Ruzowitzky über eine Geldfälscherwerkstatt im KZ Sachsenhausen war in der deutschen Kritik leider durchgefallen. Zu gut gemacht. Und Marion Cotillard als Edith Piaf in "La vie en rose" auch. Durchgefallen, weil zu gut gespielt. Hollywood korrigiert Fehler. Die im eigenen Land und die in Übersee. Solange das nur im Kino geschieht - sehr gut. Dafür ein Oscar!