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Großes Krabbeln im Norden

Rapsglanzkäfer fallen im Norden Deutschlands in Scharen nicht nur über Rapsfelder her, sondern auch über Touristen im Strandkorb. In derart massiver Form hatten sich die Käfer zuletzt vor mehr als 20 Jahren über Land und Leute hergemacht. Ein Grund dafür ist das anhaltend warme Wetter.

Von Jasper Barenberg |
    In regelrechten Wolken schwirren die Rapskäfer herum. In den Straßen bevölkern sie die Postkästen, an den Stränden stürzen sie sich auf bunte Kleidung und Badetücher. Mancher Tourist hat schon seinen Urlaub im Norden abgebrochen, viele meiden derzeit den Weg ans Wasser. Die Rapskäfer fliegen vor allem auf leuchtendes Gelb, ein Reflex, der ihnen hilft, Futter zu finden: Im Frühjahr steuern sie auf diese Weise zielstrebig Rapsfelder an. Welche Schäden der Käfer dort anrichtet, kann man erfahren, wenn man mit Wolfgang Sauermann von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein durch ein Rapsfeld schlendert.

    "Er frisst sich durch die Blütenblätter durch und beschädigt dann häufig auch die Narbe, wo die Schote drauf wächst. Wenn er die Narbe angeknabbert hat, entsteht dort keine Schote. Wir haben einen so starken Befall in diesem Jahr, dass einige Flächen sogar schon umgebrochen worden sind, weil dort gar kein Ertrag mehr herangewachsen ist. Auf anderen Flächen wird es zu erheblichen Ertragsminderungen kommen."

    Wie groß der Schaden am Ende sein wird, kann im Moment noch niemand genau sagen. In Teilen von Schleswig-Holstein sollen bis zu 70 Prozent der Rapsfelder zerfressen sein. Etwa fünf Prozent der Ernte, so eine erste Schätzung, könnte dem Rapskäfer zum Opfer fallen. Von zehn Prozent Ausfall spricht man im Agrarministerium in Mecklenburg-Vorpommern. Mit Einbußen wird auch in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachen gerechnet

    Ein seltener Gast ist der Rapskäfer im Norden nicht. In derart massiver Form aber, so die Behörden, hätten sich die Krabbeltiere zuletzt vor mehr als 20 Jahren über Land und Leute hergemacht. Insektenforscher Ralf-Udo Ehlers von der Universität Kiel macht dafür das anhaltend warme Wetter und die Windstille der vergangenen Wochen verantwortlich. Viele Tiere seien deshalb gleichzeitig geschlüpft. Wichtigster Grund für die derzeitige Plage sei allerdings, dass die Käfer nicht mehr so leicht totzukriegen sind.

    "Diese Käfer werden in Rapsbeständen natürlich chemisch bekämpft, um Schäden an den Rapskulturen zu verhindern. Und da sind in den letzten Jahren gegen eine Vielzahl von Pestiziden Resistenzen aufgetreten."

    Weil sich also die Rapskäfer von den meisten Pflanzenschutzmitteln nicht mehr beeindrucken lassen, breiten sie sich immer weiter aus. "Sie fressen nach dem Spritzen munter weiter", klagt ein Landwirt aus Schleswig-Holstein. Bei ökologisch wirtschaftenden Kollegen hält sich das Mitleid allerdings in Grenzen. Sie machen ein Übermaß an Insektiziden und zu enge Fruchtfolgen für die Misere verantwortlich. Das bestätigt auch der Wissenschaftler von der Kieler Universität. In der konventionellen Landwirtschaft würden nämlich auch natürliche Feinde der Rapskäfer abgetötet – zum Beispiel Schlupfwespen, die gewöhnlich als Parasiten die im Boden liegenden Larven der Rapskäfer befallen.

    "Und wenn sie jetzt nach Raps pflügen, dann vergraben sie die parasitierten Puppen auf 30 oder 40 Zentimeter Tiefe. Und dann kommen da keine Antagonisten mehr raus, dass heißt, wenn man eine Minimal-Bodenbearbeitung macht, dann hat man ein wesentlich größeres Potenzial dieser Antagonisten."

    Das Prinzip gilt auch für andere natürliche Feinde der Rapskäfer. Ihre Population könnte auf diese Weise um bis zu 80 Prozent reduziert werden. Die Landwirte aber setzt auf neue Pflanzenschutzmittel.

    "Es gibt noch eine andere Strategie: die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Und da ist schon einer in der 'Pipeline’, wie man sagt. Der wird wahrscheinlich nächstes Jahr verstärkt auf den Mark kommen. Er war schon dieses Jahr auf dem Markt, aber nur in begrenztem Umfang. Dann hat man auch wieder eine chemische Keule gegen diesen Käfer."

    Übel gelaunten Urlaubern bleibt vorerst die Hoffnung auf Wind, der die Käfer von den Stränden weht. Und ein Ablenkungsmanöver: Ein gelbes Tuch lockt die Insekten von Picknickkörben weg, in gedeckter Kleidung lassen die Angriffe spürbar nach. In ein paar Wochen ist der Spuk ohnehin vorbei: Anfang August begibt sich der Rapsglanzkäfer in sein Winterquartier,