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Großzügige Millionäre

Während die Koalition über die Konsequenzen aus dem jüngsten Armutsbericht streitet, denken manche Reiche hierzulande darüber nach, wie sie ihren Besitz teilen können. So zum Beispiel die Mitglieder der "Initiative Vermögender".

Von Anja Nehls | 20.09.2012
    Die Farbe der alten Villa ist verblasst, das kleine eiserne Gartentor verrostet, und es schließt nicht richtig, im verwilderten Garten liegt ein altes Paddelboot. Nichts deutet daraufhin, dass hier einer von zwei bis drei Prozent der reichsten Menschen in Deutschland lebt. Statussymbole sind dem 69-jährigen Dieter Lehmkuhl nicht wichtig, stattdessen Freundschaft, Gesundheit, soziales Engagement, Sport und Natur. Geld allein macht nicht glücklich, aber es beruhigt die Nerven. Da ist etwas Wahres dran:

    "Mit dem Polster, das ich habe, brauche ich mir materiell keine Sorgen zu machen, und das gibt eine Grundsicherheit, für die dankbar bin. Ich schätze schon die soziale Absicherung, die ein gewisses Vermögen vermitteln kann, dafür bin ich dankbar, und das würde ich jedem auch wünschen, ja."

    Dieter Lehmkuhl möchte das nicht nur jedem wünschen, er möchte auch etwas dafür tun. Abgeben. Sein Vermögen teilen und damit die sozialen Verhältnisse in Deutschland ändern. In keinem anderen westlichen Industrieland ist seit der Jahrhundertwende die soziale Schere weiter auseinandergegangen als in Deutschland, sagt er und wirkt auf einmal kämpferisch. Er ist Mitglied der Initiative Vermögender und plädiert für eine Vermögensabgabe – nicht aus reinem Gutmenschentum, sondern weil er auf die Gesellschaft sonst große Probleme zukommen sieht:

    "Es ist ja nicht nur eine Frage der sozialen. Gerechtigkeit. Wir wissen, dass durch die Konzentration von Reichtum das Geld zum großen Teil in die Spekulation gegangen ist und nicht in die Wirtschaft und mit zur Krise beigetragen hat. Und außerdem wissen wir, gleichere Gesellschaften sind auch ökonomisch stabiler und effizienter, weil sie dann auch, wenn staatliche Ausgaben auch in Bildung gehen, das Potenzial einer Gesellschaft besser entwickelt wird. Viele soziale Probleme hängen mit großer Ungleichheit zusammen."

    Zehn Prozent ihres Vermögens sollten Reiche nach Lehmkuhls Ansicht abgeben – und zwar von allem, was jenseits eines Schonvermögens von einer halben Million Euro liegt. Linke Ansichten? Euro? Euro? Vielleicht. Dieter Lehmkuhl sieht nur ein bisschen aus wie ein Alt-68er. Nickelbrille, offenes Hemd, ein zurückhaltendes Lächeln und auch noch jenseits der Pensionsgrenze einen vollen Terminkalender. Seine Vorschläge möchte er durchaus auch politisch verstanden wissen:

    "Wenn die Menschenrechte Maßstäbe sind und das Erbe unserer Aufklärung, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wobei Brüderlichkeit Solidarität heißt, dann können sie mich gerne als Linken bezeichnen."

    Bis sich politisch etwas ändert, geht er schon mal mit gutem Beispiel voran. Seine gesamten Kapitalerträge spendet und stiftet er. Das meiste Geld fließt in die Bewegungsstiftung, die soziale Bewegungen unterstützt. In den Bereichen Umwelt, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte. Lehmkuhl möchte nachhaltig spenden und nachhaltig verändern. Dem Bettler in der U-Bahn gibt er in der Regel nichts.

    Erstens weiß ich nicht, wo es hingeht. Und dann weiß ich, wir haben im Staat Basisabsicherung, niemand muss betteln, aber ich schaue ihm ins Gesicht, weil man ihm Respekt entgegen bringt.

    Private Wohltat bezeichnet er als Wohltätigkeit auf Gutsherrenart, die oft nur Defizite in der Verpflichtung des Staates überdeckt. Außerdem entzieht sie dem Staat Mittel durch die Steuerbefreiung.

    Steuerverantwortung ist ein Thema, das ihn beschäftigt und zornig macht. Wenn man das in den Steueroasen dieser Welt versteckte Vermögen mit berechnen würde, wäre die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland nämlich noch gewaltiger, meint Dieter Lehmkuhl. Den Ankauf von Steuersünder-CDs würde er befürworten:

    "Ich denke hier, der Schweizer Staat unterstützt kriminelle Steuerhinterziehung bei uns, und das kann ein Staat nicht dulden, das ist sicher nicht der optimale Weg über den Ankauf von Steuerdaten, aber wenn der Schweizer Staat und die Banken nichts tun, finde ich das völlig legitim."

    Das Steuerabkommen betrachtet Lehmkuhl mit großem Misstrauen. Es gibt zu viele Schlupflöcher, und am Ende profitieren wieder nur die Reichen, die Zeche, sprich die Hauptsteuerlast, zahlen die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen. Er selber lebt von seiner Rente. 19 Jahre hat er als Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes in Berlin-Reinickendorf gearbeitet. Das Vermögen hat er geerbt. Ein bisschen ist ihm das peinlich.

    "Kapitalgewinne sind leistungsloses Einkommen, und wenn wir sehen, wo der große Reichtum herkommt: Das sind nicht die Selfmademen, das sind ererbte Vermögen, die lassen ihr Geld arbeiten. Ich weiß, es ist so, ich profitiere, aber ich hätte es lieber anders, aber nicht durch individuelle Opfer, sondern durch andere Gesetzgebung und Verteilung."

    Ein Stück Verantwortung übernehmen will Dieter Lehmkuhl für die Gesellschaft, von der auch er profitiert hat. Nun braucht er nur noch die Unterstützung der Politik.

    "Wir Wohlhabenden sind auch auf Bildungssystem usw. angewiesen, das hat auch uns ermöglicht, zu Wohlstand zu kommen."