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Groteskes an monströsem Ort

Just der Ort, wo sich einst Hitler als Führer inszenierte, ist jetzt zum Schauplatz für Bertolt Brechts Parabel vom geistesverwandten Arturo Ui im Chicago der 30er-Jahre geworden: die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Klaus Kusenberg hat das Stück inszeniert.

Von Barbara Bogen |
    "Ich versteh Sie, Sie meinen den großen Stil, Julius Caesar, Hamlet, Romeo, Stücke von Shakespeare, Herr Ui Sie sind an den rechten Mann gekommen. Wie man klassisch auftritt, kann der alte Mahonney Ihnen in zehn Minuten beibringen. Sie sehen einen tragischen Fall vor sich, meine Herren. ... Gehen Sie mal rum, wie man bei diesem Shakespeare geht"

    Natürlich, die Darstellung Hitlers, ob im Film oder auf der Bühne, bleibt das Schwerste, eine der größten Herausforderungen an einen Schauspieler. Wie man Hitler darstellt, nicht einmal Arturo Ui weiß es auch nur annähernd und nimmt daher, wie der historische Adolf Hitler übrigens, Schauspielunterricht bei einem Provinzschauspieler. Arturo Ui, Brechts 1941 im Exil verfasste Parabel über den Aufstieg Hitlers führt nur bis zum Jahr 1934, paraphrasiert den so genannten Reichstagsbrand, den Mord an SA-Führer Ernst Röhm und den nur wenige Wochen später im Juli 1934 verübten Mord an dem österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Wenn Brechts Historienfarce, die Hitlers mörderische Karriere im Chicagoer Gangstermilieu Al Capones kolportiert, jetzt im Kongresshallentorso auf dem ehemaligen Reichsparteitaggelände in Nürnberg gespielt wird, ist das ein Wagnis natürlich, ein Risiko. Der renommierte Kulturwissenschaftler und Kulturpolitiker Professor Hermann Glaser weiß aus eigener Erfahrung als ehemaliger Kulturreferent der Stadt Nürnberg um die Tücke des Unterfangens, das Gelände in profaner Form heute zu nutzen

    "Das ehemalige Reichsparteitagsgelände beziehungsweise die Gebäude dort draußen werden ja auf unterschiedliche Weise genutzt, einmal ist es Lager, das hab ich immer begrüßt, dass aus diesen vom Nationalsozialismus als höchste Feierstätte Lagerräume werden, das illustriert die "Banalität des Bösen", auf der anderen Seite sind natürlich viele Räume so ausgestattetet auch von den Nürnberger Symphonikern, dass man dort nicht mehr diese Abgründigkeit merkt, im Dokuzentrum merkt man's, weil ja da auch immer dieser Blick in diese Ruine möglich wird, also kann man die interne Nutzung, denn es geht ja um die Räume, nicht um Freilichttheater die kann man nicht so nutzen, dass das Abgründige bildhaft oder architektonisch in die Augen springt, insofern ist es auch eine Schwierigkeit in perfekt ausgestatteten Räumen nun diese Zeit und diese Welt und diese zeit des Dritten Reiches lebendig zu machen. "

    In der Tat erinnert der Spielort, an dem das Nürnberger Ensemble den Arturo Ui jetzt präsentiert, eher an die Räumlichkeiten eines freundlich ausgerichteten Stadttheaters. Der Saal selbst verrät nichts vom deutschen Grauen, den zwanghaften Massenaufläufen, vom Blut des Totalitarismus. Sehr präsent hingegen ist das Bewusstsein im Kopf des Zuschauers, wo er sich hier befindet. Der Raum ist kein reiner Kunstraum mehr, sondern näher an der Realität. Dieses Bewusstsein übernimmt eine eigene selbständige Rolle und prägt das Theater schließlich mit. Der Ort verändert das Theater, intensiviert es, erhöht sogar gewissermaßen seine künstlerische Aussage und Qualität. Ein heikler Aspekt.

    Gespielt wird der "Arturo Ui" in einer vielfältig nutzbaren und variablen Containerlandschaft, auf der einmal der senil-sabbernde Dogsborough alias General Paul von Hindenburg in großkarierten Hauspantoffeln hockt, mal der Gangster Givola alias Joseph Goebbels sein Geschäft mit Grabblumen betreibt und wo auch Arturo Ui alias Adolf Hitler seine karge kahle Höhle eingerichtet hat. Da hockt er. Breitbeinig. Kahlköpfig. Wie im Käfig. Sprachlos- zunächst- hat er keine Worte. Nur ein Gefühl, das in ihm gärt, ein gefährliches Raunen eine Art viehisches unheiliges Grunzen, das ihm zwischen den geschlossenen Lippen entweicht, als brüte eine Bestie den Tod aus.

    Der Nürnberger Schauspielchef Klaus Kusenberg wusste, als er den Arturo Ui inszenierte, natürlich auch um die Schwächen von Brechts ebenso monströser wie dramaturgisch komplex gemixter Parabel und hätte den Arturo Ui wohl kaum in seinem Spielplan aufgenommen wäre da eben nicht dieser Spielort, das ehemalige Reichsparteitagsgelände, ein Ort, der in den kommenden zwei Spielzeiten in der Sanierungsphase des Nürnberger Schauspiels den Spielplan vollkommen bestimmen wird. Thematisch gebundene Stücke von Lessing und George Tabori, von den Zeitgenossen Theresia Walser, Franzobel und Werner Fritsch werden hier in den nächsten zwei Jahren über die Bühne gehen.

    Der "Arturo Ui" endet mit dem Auftritt einer blutüberströmten Frau, die zwischen den Nazibonzen das Publikum um Hilfe anruft. Heilrufe, Wagner-Zauber. Wagalaweia vom Band.

    Brechts berühmtes Schlusswort, nachdem der "Schoß noch fruchtbar ist, aus dem das kroch", ist gestrichen. Indem Kusenberg diesen Epilog aber kappt, versetzt er das Stück und die Thematik endgültig in die ferne Distanz der Geschichte. Wir leben in Deutschland in einer gefestigten Demokratie. Meint der Schauspielchef. Nun. Mag sein. Aber das klingt fast so friedlich, als lauerten die Themen Gewalt, Rassismus und Antisemitismus nicht immer noch in unserer schönen globalisierten Welt.