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Gründe für das BER-Desaster

Rund 30 Millionen Euro kostet jeder weitere Monat Verzögerung beim Flughafen Berlin. Ein Albtraum - auch für das Architektenbüro gmp. Die drei Buchstaben stehen für Gerkan, Marg und Partner. Meinhard von Gerkan beschreibt, was aus seiner Sicht schief gelaufen ist.

Von Claudia van Laak | 19.08.2013
    Es ist das zornige Pamphlet eines alten Mannes. Eines berühmten Architekten, der die Bedeutung seiner Zunft schwinden sieht – und damit auch sein Lebenswerk. Meinhard von Gerkan, heute 78, war einmal angetreten, die Welt durch Architektur zu retten. "Stiftung von Sinn und Sinnlichkeit" nennt er sein Ziel. Heute hat er einen großen Feind: den Bauherrn. Sein Zorn gilt den privaten Investoren – maximale Rendite zu minimalem Preis, daraus wird "Banalarchitektur", wie von Gerkan schreibt. Aber auch den öffentlichen Bauherrn, denn seiner Ansicht nach sind sie nicht weniger schlimm.

    "Ein Typus eigener Art ist der öffentliche Bauherr. Er ist zwar begrifflich eindeutig zu fassen, in der Realität des Planens und Bauens stellt er meist nur eine abstrakte Größe dar, die sich wie eine Hydra in hundert Gremien verflüchtigt oder gar verleugnet und keine persönliche Verantwortung übernimmt. Allenfalls bei Grundsteinlegungen, ersten Spatenstichen, Richtfesten und Gebäudeübergaben bekommt man den öffentlichen Bauherrn noch persönlich zu Gesicht. Wenn man ihn darüber hinaus anspricht oder -schreibt, ist er meist nicht auffindbar oder existent."

    Dass große öffentliche Bauprojekte vor dem Start kleingerechnet werden, um die notwenige Zustimmung der Parlamente zu erhalten, das ist nach den Bauskandalen Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und Hauptstadtflughafen BER eine Binsenweisheit. Er kennt kein größeres öffentliches Bauvorhaben, schreibt von Gerkan, das von Anfang an mit realistischen Zahlen verbunden worden wäre.

    "Bei der Genehmigung von öffentlichen Baumaßnahmen ist die realitätsferne Verdrehung von Zeitrahmen und Kosten als fester Bestandteil des Prozedere mit anzusehen."

    Hier schleicht sie sich zum ersten Mal ein, die Frage nach der Verantwortung des Architekten in diesem falschen Spiel zu stellen, in dem ein Verlierer bereits von Anfang an feststeht: der Steuerzahler. Beide Seiten, öffentlicher Bauherr und Architekt, wissen also von Anfang an, dass das Projekt 1.) teurer wird als geplant und 2.) nicht zum versprochenen Termin fertig werden kann. So war es also auch beim Hauptstadtflughafen BER. Dreimal wurde der Fertigstellungstermin verschoben, keiner wagt es, momentan einen neuen zu nennen.

    Meinhard von Gerkan nennt mehrere Gründe für das Desaster. Zum einen ist es die weltweite Tendenz, aus Flughäfen Shoppingcenter zu machen. Airports verdienen immer weniger Geld mit dem eigentlichen Flugbetrieb, immer mehr mit Vermietung und Verpachtung von Läden und Schnellimbissen. Nachdem das BER-Terminal schon fix und fertig geplant war, kam plötzlich der Bauherr und verlangte 1800 Quadratmeter mehr Ladenfläche, schreibt Meinhard von Gerkan. Die komplette Abflugebene musste neu geplant werden, es folgten Hunderte weitere Änderungen.

    "Kein Konzept, nur unstillbares Verlangen. Die 487 Änderungen und Anordnungen sprechen jedenfalls unmissverständlich die Sprache des Wunsches."

    Geflissentlich verschweigt von Gerkan, dass sich sein Büro gmp natürlich jede Planänderung hat ordentlich bezahlen lassen – der Protest dürfte sich deshalb in Grenzen gehalten haben. Die Hauptschuldigen für das Desaster sind nach Ansicht des Architekten die beiden Geschäftsführer der Flughafengesellschaft, die mittlerweile entlassen sind. Sie seien dialogresistent gewesen. Den Aufsichtsrat und seinen Vorsitzenden Klaus Wowereit treffe keine Schuld, das Gremium sei belogen worden.

    "Meine Mitarbeiter im Stab haben erfahren, dass interne Beratungsergebnisse, Protokolle und Zeitpläne geschönt wurden. Die Berichterstattung gegenüber dem Aufsichtsrat entsprach mithin nicht immer der Wahrheit, um es vorsichtig auszudrücken."

    Meinhard von Gerkans Leute wussten also, dass der Aufsichtsrat belogen wurde, behielten es aber für sich? Das ist starker Tobak. Die Verantwortung des Architekten schreibt der 78-Jährige klein, seine Selbstkritik hält sich in Grenzen. Den Anordnungen des Bauherrn, auch in der Öffentlichkeit zu spät Widerstand geleistet zu haben, sei ein Versäumnis, so der Stararchitekt. Erst als das Kind bereits in den Brunnen gefallen war, weigerte sich gmp, eine notwendige Fertigstellungsmeldung für den BER zu unterschreiben. Einige Monate später wurde dem Architekturbüro über Nacht der Auftrag entzogen. Der Chef eines der größten Architekturbüros in Deutschland wirft in seinem flüssig geschriebenen und mit zahlreichen Grafiken und Fotos versehenen Buch auch einen Blick auf problematische Großprojekte in Asien – zum Beispiel auf das chinesische Nationalmuseum in Peking. Trotz großer kultureller Unterschiede sei hier ein Dialog zwischen Bauherr und Architekt möglich gewesen, bemerkt er polemisch an, anders als beim Hauptstadtflughafen. Wer Meinhard von Gerkans Buch "Black Box BER" liest, erfährt viel darüber, warum große öffentliche Bauprojekte in Deutschland zum Desaster werden. Wer zwischen den Zeilen liest, weiß am Ende auch, welchen Anteil die Architekten daran haben.

    Buchinfos:
    Meinhard von Gerkan: Black Box BER. Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut, Quadriga Verlag, 160 Seiten, 14,99 Euro, ISBN: 978-3-869-95060-0