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Gründe für den Brain Drain

Brain Drain - Auswanderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in andere Länder. Ein Begriff, der in Deutschland längst schon alltäglich im Bildungswesen geworden ist. Immer mehr junge Wissenschaftler zieht es ins Ausland: Größere Aufstiegschancen, bessere Verdienstmöglichkeiten und höhere Wertschätzung ihrer Arbeit locken dort. In Bielefeld treffen sich deshalb seit gestern deutsche Wirtschaftswissenschaftler aus der ganzen Welt, um das Thema Brain Drain zu diskutieren, um Erfahrungen auszutauschen und den Kontakt zur Heimat zu halten.

Von Florian Peter | 22.12.2004
    Wirtschaftsprofessor Walter Trockel ist sauer. Seit gut einem Jahr hat er versucht, die besten deutschen Nachwuchs-Wissenschaftler im Bereich Wirtschaft aus dem Ausland nach Bielefeld zu holen. Für Trockel ist die fehlende Resonanz der öffentlichen Hand beispielhaft für die Bildungsmisere in Deutschland.

    Wir machen hier im Grunde genommen das, was die Politiker dauernd ankündigen oder haben wollen, nämlich zu verhindern, dass Deutsche unwiederbringlich ins Ausland abwandern und damit der deutschen Wissenschaft verloren gehen. Hier findet der Umkehrungsprozess in Ansätzen statt und bleibt im Wesentlichen von der Politik unbeobachtet und ununterstützt.

    Denn weder die Deutsche Forschungsgemeinschaft noch das NRW-Bildungsministerium konnten das Weihnachtstreffen finanziell fördern. Kein Geld, verworrene Zuständigkeiten - Probleme von denen sich die Organisatoren des Treffens aber nicht abbringen ließen. Größtenteils auf eigene Kosten reisten deshalb schließlich 25 junge, deutsche Wirtschaftswissenschaftler aus dem Ausland nach Bielefeld. Dabei waren unter anderem Teilnehmer US-amerikanischer Top-Universitäten wie etwa Yale, Purdue oder UCLA.

    Auch Michele Tertilt war nach Bielefeld gekommen. Die 32jährige hat hier studiert und ist jetzt Assistenz-Professorin in Stanford. Ihr war beim Weihnachtstreffen der Erfahrungs- und Kontakt-Austausch mit den Kollegen besonders wichtig, weniger das Thema Brain-Drain:

    Ich weiß nicht, ob das wirklich so schlimm ist und ich weiß nicht, ob man da was stoppen muss. So lange es regen Austausch gibt: Manche Leute bleiben da, andere kommen zurück. Also ich denke mal, das ist okay.

    In 20 Vorträgen konnten sich die Teilnehmer gegenseitig über ihre Forschungsarbeiten informieren - unter anderem ging es dabei um Themen wie beispielsweise eine besondere Form der Kreditvergabe in Indien.

    Abseits des offiziellen Programms ging es aber auch um aktuelle Probleme in Deutschland - wie das Scheitern der Föderalismusreform. Für viele der deutschen Nachwuchswissenschaftler ein weiterer Beweis dafür, dass sie den richtigen Schritt ins Ausland gemacht haben.

    Einer, der trotz dieser Probleme wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, ist Dirk Krüger. Der 34-Jährige hatte schon mehrere Jahre in Purdue, Pennsylvania und Stanford gelehrt, bevor er in diesem Sommer den Ruf an die Universität Frankfurt am Main bekam. Er glaubt, dass viele Nachwuchswissenschaftler gar nicht erst auswandern würden, wenn der Übergang zwischen Studium, Doktorarbeit und Lehre besser gestaltet wäre.

    Das, was ich am meisten gelernt habe in meinem PhD-Programm, ist von meinen Kollegen. Also die Professoren waren natürlich auch Top, erste Sahne und alles, aber man lernt am meisten von den Kollegen mit denen man zusammen in diesem PhD-Programm ist und diese kritische Masse, die muss man in Deutschland auch schaffen. Und es ist halt sehr viel schwieriger ne Promotion, ne gute Promotion zu schreiben, wenn man allein in der Bibliothek sitzt oder wenn man mit 15 Leuten alle an einem Strang zieht, dann kommt in der Regel was besseres dabei raus. Und da müssen wir hinkommen.

    Deshalb halten die meisten deutschen Nachwuchsprofessuren im Ausland auch die Einführung der Juniorprofessur nicht unbedingt für sinnvoll. Zu viele bürokratische Hürden, zu wenig eigene Forschung sagt Michele Tertilt von der Universität Stanford.

    Und das versuchen die meisten Deutschen, die dann zurückkommen, versuchen diese Phase dann zu überspringen oder eben im Ausland dann sozusagen abzuwarten und dann erst zu einer vollen Professur zurückzugehen.

    Zwar müssen die deutschen Nachwuchswissenschaftler auch in den USA beispielsweise erst über die Assistenz-Professur gehen, die Aufstiegschancen sind dort aber wesentlich höher. Auch die jüngst vom Bundesrat beschlossene rechtliche Absicherung sei da kein Fortschritt, erklärt Wirtschafts-Professor Walter Trockel.

    Was jetzt de facto passiert ist, dass bessere Arbeitsbedingungen durch schlechtere abgelöst werden, weil zwar scheinbar mehr Eigenverantwortlichkeit da ist, aber eine hohe Lehrbelastung vorhanden ist, die eigentlich den Forschungsoutput in einer entscheidenden Phase der Karriere einschränken wird.

    Beim Weihnachtstreffen in Bielefeld aber war dennoch so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Austausch: ja, Rückkehr nach Deutschland: nicht ausgeschlossen - lautete das Fazit für viele. Und damit die Veranstaltung kein Einzelfall bleibt, will auch Dirk Krüger seinen Teil beitragen.

    Ich bin ja in Frankfurt und ich würde das schon gerne auch machen. Man kriegt die Leute und sie wollen dann sowieso über Weihnachten nach Hause, dann ist das relativ problemlos auch die Leute hinzubekommen.

    Deshalb wird es das zweite Weihnachtstreffen der deutschen Wirtschaftswissenschaftler im Ausland im nächsten, spätestens aber im übernächsten Jahr vermutlich wieder geben. Mit oder ohne Unterstützung durch die öffentliche Hand.