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Gründliche Wissenschaft zu schnelllebigem Thema

Informationstechnologie. - In diesen Stunden endet eine dreitägige Konferenz der Fachhochschule Köln, die sich "Clash of Realities" nennt – Aufeinanderprallen von Realitäten. Es geht um Computerspiele, und mit "Realitäten" sind die lebensnahen Figuren und Spielhandlungen gemeint, die den Reiz der neuen Spiele ausmachen. Die erste Konferenz vor zwei Jahren war ein Erfolg, die jüngste hat Schwierigkeiten, mit ihrem Gegenstand Schritt zu halten.

Von Maximilian Schönherr | 07.03.2008
    Vor zwei Jahren, als die Fachhochschule Köln die Computerspielekonferenz Clash of Realities zum ersten Mal ausrichtete, war alles anders. Damals kannten nur wenige in Deutschland und auch nicht besonders viele Amerikaner "Second Life". Second Life wurde dann zum Publikums-, Wirtschafts- und Medienliebling; heute ist nichts mehr davon übrig geblieben. Und vor zwei Jahren gab es auch keine "Nintendo Wii", diesen reinen Spielecomputer, der die ganze Spielelandschaft, die Spielekultur umgekrempelt hat, weil man damit so natürlich spielen kann – Tennis spielen, Teller balancieren, über Hürden laufen.

    Klar, "Clash of Realities" versteht sich nicht als Spielemesse, auch wenn einer der größten Hersteller von Computerspielen groß als Sponsor auftritt. Aber der Erfolg der Nintendo Wii und das Scheitern von Second Life wären die zentralen Themen gewesen. Sie wurden auf der Konferenz nur am Rande gestreift. Vielleicht denken und arbeiten Kulturpädagogen und Medienexperten, die das Gros der Vortragenden in Köln ausmachten, gründlicher und deshalb etwas langsamer. In zwei Jahren jedenfalls ist es zu spät. Abgesehen davon, dass in zwei Jahren die große "Games Convention" von Leipzig nach Köln zieht und mit ihr eine hochkarätige Fachkonferenz von Spieleentwicklern in die Stadt kommt. Da muss sich die Fachhochschule Köln überlegen, sich zu integrieren, sonst gibt es einen Clash of Conferences.

    Viele Vorträge, wie etwa der von Jesper Juul, behandelten längst gegessene Themen. Der Däne lobte in seinem so genannten "wissenschaftlichen Eröffnungsvortrag" die "emotionale Bindungskraft von Computerspielen", stellte fest, dass Spiele älter als Bücher, Filme und Theater sind und man sich nur noch um die Zeitgenossen kümmern müsse, die bisher keine Computerspiele spielen. Wie viele andere Vortragende ist auch Juul bekennender Langzeitcomputerspieler. Oder, wie es Winfried Kaminski ausdrückt:

    "Die Generation, die Kinder waren, als das Medium sozusagen auf die Welt kam, sind heute erwachsen."

    Kaminski ist Professor für Kulturpädagogik an der Fachhochschule Köln. Er hat die Konferenz ausgerichtet und die meisten Redner eingeladen,

    "um unter fachdisziplinären Aspekten zu Computerspielen zu diskutieren, vor allem aber, um die Diskussion auf dem Niveau zu führen, wie es sich für ein neues Medium gehört."

    Ein Schwerpunkt der Konferenz galt pädagogischen Themen wie zum Beispiel der Spielesucht. Kaminski:

    "Der alltags-inflationäre Gebrauch des Worts ‚Sucht’ reicht einfach nicht zu, um dieses Phänomen zu verstehen. Spielsucht in diesem engeren, medizinisch vertretbaren Sinne betrifft ja nur eine kleine, marginale Gruppe. Aber das sollte man genau untersucht haben, um es vom intensiven und exzessiven Spielen zu unterscheiden."

    Auch die Gewaltdiskussion flammte wieder auf – vor zwei Jahren war sie ein Leitthema. Maria von Salisch, Entwicklungspsychologin an der Leuphana Universität Lüneburg, erläuterte in ihrem Vortrag die Ergebnisse der so genannten "KUHL"-Studie an Kindern zwischen der dritten und fünften Schulklasse. Die Studie bestätigte einen sehr schwachen, aber messbaren Zusammenhang zwischen aggressiven Jungs und deren Neigung zu brutalen Computerspielen. Bei Mädchen war diese Tendenz nicht feststellbar. Die KUHL-Studie förderte keine "signifikanten Wirkungseffekte" zutage; das heißt, man fand keinerlei Indizien dafür, dass Abschießspiele Jugendliche aggressiver machen. Vielleicht liegt es daran, dass letzten Endes, so Veranstalter Winfried Kaminski, selbst die realistischsten Spiele unrealistisch sind:

    "Gerade in den Online-Welten scheint es ja so, als ob ich in Wirklichkeiten eintrete und darin lebe. Aber ich lebe darin natürlich unter ganz, ganz reduzierten Bedingungen. Im Alltag, also der Kölner Wirklichkeit etwa, bin ich mit soviel anderem konfrontiert, das ich ausblenden muss. In den Spielwelten ist das automatisch ausgeblendet, weil man sich vorher auf Vereinbarungen verabredet hat – Verabredungen, die nur für diese Spielsituation gültig sind."