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Grüne Memoiren Teil Eins

Zwei Jahre nach seinem Abtritt von der politischen Bühne legt Joschka Fischer seine Memoiren vor - genauer gesagt, deren ersten Teil. Denn so viel hat Fischer zu berichten, dass es vorerst nur für die Zeit zwischen 1997 und 2001 reicht, vom erfolgreichen Wahlkampf gegen Helmut Kohl also bis zur Zeitenwende der Terroranschläge vom 11. September. Nun sind wahrlich nicht alle Erinnerungen von Politik-Rentnern auch eine anregende und spannende Lektüre. Diese aber schon, meint Sabine Adler.

Von Sabine Adler |
    Es ist der Blick vom Buchumschlag, der einem die Entscheidung schwermachen kann. Zugreifen oder abwenden? Das Werk ignorieren, so wie es der ergraute Meister mit Personen tat, denen er gerade nicht grün war?

    Nun ist Joschka Fischer mehr als nur ein zuweilen hochnäsiger und eitler Ex-Spitzenpolitiker. Wer gerecht ist, kommt nicht umhin, dies zuzugeben. Fischer ist blasiert, schauen Sie sich das Foto auf dem jüngsten Werk an! Er wirkt müde, was eindeutig eine Fehlinterpretation ist. Nach dem Lesen der 444 Seiten weiß man, dass der Mann noch längst nicht fertig hat, um es mit Trappatoni zu sagen und ehrlich, der Leser kann sich schon jetzt auf die Fortsetzung, auf Band 2 der rot-grünen Jahre freuen.

    Denn Fischers Rückschau auf die ersten vier Jahre der rot-grünen Regierung ist ein Lesevergnügen. Klug, nachdenklich, konkret.

    Das Buch beginnt mit der Ankunft im Olymp der Bonner Republik nach einem fast 20jährigen Marsch durch die Institutionen. Fischer freut sich wie ein kleiner Junge. Ein Sieg, für den er wie ein Berserker gekämpft hat, der seiner Partei lange nicht so wichtig war, wie ihm selbst, der deshalb auch mehrmals drohte verspielt zu werden. Beim Magdeburger Parteitag im März 1998 zum Beispiel, als die Grünen das Volk nicht nur mit dem Fünf-Marks-Beschluss für einen Liter Benzin schockierten und sich damit politisch ins Aus schossen.

    Natürlich will der Leser wissen, wer ihn so krank macht mit den volkserzieherischen Maximalforderungen, mit denen einer ganzen Nation der Spaß am Autofahren verdorben werden sollte.
    Fischer bleibt keinen Namen schuldig, erklärt, bei wem seiner Parteifreunde der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Wahrnehmung der Realität und der innerparteilichen Wahrnehmung von Wirklichkeit ganz besonders groß ist. Sehr früh fällt der Namen Ludger Volmer, jener ehemalige grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt, der ihm in der Visa-Affäre, von der in Band Zwei wohl noch die Rede sein wird, zu schaffen machte.

    Mit diesen Grünen und für diese Parteifreunde zog Fischer in den Wahlkampf, der mit solchen Aussagen von vornherein verloren schien. Gegen sie rackerte er sich ab für ein starkes Abschneiden, denn wenn er schon Kellner bei Schröder werden sollte, dann einer, der in der Küche auch ein Wort mitzureden hatte. Eine Rollenzuschreibung, die an ihm noch immer nagt, wie er unlängst, bei einer seiner vielen Buchpräsentationen durchblicken ließ.

    "Wir schreiben jetzt das Jahr 2007 - nach zehn Jahren klingt das immer noch. Und das ist schon große Klasse."
    So sehr Fischer mit seiner Partei haderte, so deutlich stellte er an sie seine Forderungen: Für sich ließ er sich keinen Augenblick ein auf die Trennung von Amt und Mandat, denn auch das, so ahnte er, würde ihn Schröder gegenüber schwächen.
    Als Schröder bei der niedersächsischen Landtagswahl die absolute Mehrheit gewinnt, steht der SPD-Kanzlerkandidat fest: nicht Oskar Lafontaine sondern Gerhard Schröder, der über die rot-grünen Koalition zwischen 1990 und 1994 in Hannover gesagt haben soll: die Grünen seien zwar aufmüpfig aber letztlich doch pflegeleicht.

    Fischer hielt Lafontaine für einen Linkskonservativen, dem er sich sehr viel näher fühlte, zu Lafontaine hatte er eine persönliche, gar freundschaftliche Beziehung. Er ahnte, dass er es mit dem Gespann Lafontaine/Schröder genau genommen mit zwei Parteien zu tun bekommen würde.

    Fischer lässt ins Innenleben der Koalition blicken. Er bezeugt seinen Respekt dem sozialdemokratischen Staatssekretär im Auswärtigen Amt Günter Verheugen, nimmt aber nur zähneknirschend den grünen Utopisten Volmer in Kauf, damit dieser kein Störfaktor in der Grünen-Fraktion wird.

    Ein vielleicht zu ausführliches Kapitel lang blickt er auf den Kosovo-Krieg und Deutschlands erstes militärisches Eingreifen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges zurück. Im Januar 1999 übernimmt Deutschland die Eu- und G8-Präsidentschaft, im März beginnt das serbische Militär eine Großoffensive im Kosovo, am 24. März entschließt sich die NATO zu Luftangriffen, unter Beteiligung von vier deutschen Tornado-Flugzeugen.

    Zuvor, am 11.März 1999, der Rücktritt Lafontaines von allen Ämtern.

    Lafontaine: "Der Grund meines Rücktritts ist das schlechte Mannschaftsspiel, das wir in den letzten Monaten geboten haben. Mannschaftsspiel verlangt, dass man Rücksicht aufeinander nimmt und das man auch zueinander steht - auch in der Öffentlichkeit."

    Auf der Fahrt zum Parteitag in Bielefeld am 13. Mai 1999, Christi Himmelfahrt, hat er Vorahnungen von einem Himmelfahrtkommando.

    Fischer ruft sich vorsorglich die Wurzeln der Grünen in Erinnerung: Anti-Atomkraft-Bewegung und Pazifismus. Doch seinem Gelöbnis: "Nie wieder Krieg" fügt er stets ein "Nie wieder Auschwitz" hinzu. Fischer ist kein Pazifist, war es nie und schwört sich, bei einem grünen Nein für einen Militäreinsatz im Kosovo das Amt als Außenminister niederzulegen, aus der Fraktion und der Partei auszutreten.

    Er pokert hoch, denn er weiß, dass damit Rot-Grün zu Ende wäre und eine Große Koalition folgen würde, die Schröder Fischer zufolge ohnehin viel lieber mit dem Unionsmann Volker Rühe eingegangen wäre.

    Bielefeld ließ an Dramatik nichts zu wünschen übrig.

    Fischer: "Warum verweigert Ihr mit Trillerpfeifen diese Diskussion. Aber mich würde mal interessieren, wie denn von einem linken Standpunkt aus das, was in Jugoslawien seit 1992 an ethnischer Kriegsführung, an völkischer Politik betrieben wird, wie dieses von einem linken, von euerm Standpunkt aus denn tatsächlich zu benennen ist."
    Ein Farbbeutel flog und traf Fischer am rechten Ohr. Diagnose: Trommelfellriss.

    Fischer, der frühere Straßenkämpfer, aufgeheizt durch die hasserfüllte Atmosphäre im Saal, greift zu dem Mittel, dass er mittlerweile weit besser als Steinewerfen beherrscht: Zum geschliffenen Florett:

    "Liebe Freundinnen und Freunde. Liebe Gegner, geliebte Gegner. Ah, jetzt kommen, ich hab nur drauf gewartet, Kriegshetzer. Hier spricht ein Kriegshetzer und einen Milosevic schlagt ihr demnächst für den Friedensnobelpreis vor. Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass wir Grüne unter Polizeischutz einen Parteitag abhalten müssen. Aber warum müssen wir unter Polizeischutz diskutieren? Doch nicht weil wir diskutieren wollen, sondern weil hier offensichtlich welche nicht diskutieren wollen, wie wir gerade erlebt haben.
    Das ist doch der Punkt."
    Nach dieser nicht besten aber wichtigsten politischen Rede, fühlte sich Fischer, wie er auf Seite 227 schreibt, nur noch körperlich anwesend, emotional sei er bereits weg gewesen. Was ihn weitere sechs Jahre bei den Grünen hielt und immer noch hält, denn noch gehört er der Partei an, muss sich der Leser selbst zusammenreimen. War es die Bühne, die die Partei Fischer bot? Die Extrawürste, Ausnahmeregeln, die sie ihm immer wieder einzuräumen bereit war, und sich damit um das Polittalent formierte? Die Streitlust, die sie in ihm entfacht hat, bei der er zur Hochform aufläuft?

    Aus dem CDU-Parteispendenskandal, der Ex-Kanzler Helmut Kohl, den ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther und Generalsekretär Wolfgang Schäuble ab dem Herbst 1999 schwere Ansehensverluste bescheren, lernt Fischer vor allem eins: Wann es Zeit ist, Abschied zu nehmen. So lange wie Kohl jedenfalls, der hoch respektierte politische Gegner, jedenfalls würde Fischer seinen Abgang nicht hinauszögern. Wie man weiß, hielt er Wort.

    Appetit auf Teil zwei - das war Sabine Adler über Joschka Fischer: Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik vom Kosovo bis zum 11. September, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 444 Seiten kosten Euro 22,90.