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Grüne streiten gegen Renaissance der Atomkraft

Die Debatte über den Klimaschutz liefert der Atomindustrie Argumente für längere Kraftwerkslaufzeiten und weitere Investitionen. Auf europäischer Ebene halten die Grünen dagegen.

Von Suzanne Krause |
    Für eine Wiedergeburt der Atomenergie werben auch hiesige Politiker: Bundeswirtschaftsminister Michael Glos fordert, die Laufzeiten der einheimischen Reaktoren zu verlängern. Und Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein ruft dazu auf, den Atomausstieg in Deutschland zu überdenken. Das ist Unsinn, meint jedoch Daniel Cohn-Bendit, Präsident der Grünen-Fraktion im EU-Parlament:

    "Ich bin der festen Überzeugung, dass man im Moment einen Diskurs über die Erneuerung der Atomenergie hat, um diese überhaupt in Gang zu halten. Und natürlich: In der Situation des Klimawandels ist das eine optimale Situation, um etwas zu suggerieren. Die Realität ist viel komplizierter, weil die alten Atomkraftwerke zum Beispiel in einem Land wie Frankreich irgendwann zu Ende sind, auch wenn sie die Laufzeiten um zehn Jahre verlängern. Das heißt, alleine die Erneuerung der Atomenergie setzt gigantische Mittel voraus."

    Mycle Schneider, unabhängiger Energie-Experte in Paris, beziffert dies ganz konkret im neuen Bericht zur "Lage der Atomindustrie weltweit", den die EU-Grünen beauftragten:

    "Wenn man sich vorstellt, dass die begrenzte Laufzeit in der Größenordung von 40 Jahren ist, und man würde dann die Reaktoren abstellen, dann wären alleine 70 Anlagen abzustellen und zu ersetzen bis zum Jahre 2015. Das ist einfach nicht realistisch angesichts der langen Vorlaufzeiten, die man braucht, um einen Reaktor zu planen, zu finanzieren, zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Da gehen im Schnitt mindestens zehn Jahre vorüber. Es ist nicht vorstellbar, 70 Anlagen zusätzlich bis 2015 in Betrieb zu nehmen."

    In Deutschland ist zudem die Betriebszeit für Atomkraftwerke gesetzlich auf 32 Jahre beschränkt. Und die Gesellschaft für Reaktorsicherheit beklagt einen dramatischen Nachwuchsmangel bei Ingenieuren und Technikern im Atombereich. Weitere Fakten, die gegen eine Renaissance der Atomkraft sprechen: In den vergangenen drei Jahren haben 21 der 31 Länder weltweit, die Atomkraftwerke betreiben, den Anteil von Atomkraft in ihrer Stromerzeugung gesenkt. Heute sind fünf Reaktoren weniger am Netz als vor fünf Jahren.

    Große Hoffnungen setzte die Atomindustrie auf den EPR, den europäischen Druckwassereraktor, für den der französische Atomkonzern Areva und sein deutscher Partner Siemens verantwortlich zeichnen. Derzeit wird erstmals ein EPR-Erstling der dritten AKW-Generation in Finnland gebaut - der erste AKW-Neubau in Europa seit über 20 Jahren. Doch auf der finnischen Baustelle gibt es massive Probleme, kommentiert Rebecca Harms, Sprecherin der deutschen Grünen in Brüssel und Atomexpertin:

    "Durch diese Zeitverzögerung hat sich dieses Projekt bereits um 1,5 Milliarden Euro verteuert. Das heißt: Man liegt jetzt schon um 50 Prozent über der ursprünglich vorgesehenen Bausumme von drei Milliarden. Und ich glaube, dass aus diesen Gründen man sich sehr genau überlegen wird, ob man tatsächlich viele weitere europäische Druckwasserreaktoren diesen Typs bauen wird."

    Mag auch der französische Staatspräsident Sarkozy auf allen Auslandsreisen als Handelsvertreter in Sachen ziviler Atomnutzung auftreten - ungeklärt ist, wie die Länder in Afrika und vor allem in Asien den Bau von Atommeilern finanzieren wollen. Kritisch beäugt der unabhängige Energieberater Mycle Schneider, wie die Atomindustrie weltweit Propaganda macht für ihre angebliche Wiedergeburt. Laut ihm hat das einen einfachen Grund: Sie braucht neue Subventionen, alleine schon, um die bisherigem Anlagen weiter betreiben zu können.