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Grüne (Ver-)führung

Der Botanische Garten in Berlin-Dahlem zeigt seit Jahren, wie man Menschen für einen wissenschaftlichen Park begeistern kann. Jedes Jahr strömen bis zu 500.000 Besucher in den Garten der Freien Universität Berlin, der als zweitartenreichster der Welt gilt. Mit Feierabend-Führungen lockt man die Hauptstädter hinterm Ofen hervor.

Von Jens P. Rosbach | 28.05.2007
    Ledum Palustre. Sumpfporst. Biologin Beate Senska steht vor einem Heidekrautbusch mit weißen Blüten – Blätter reibend, schnüffelnd und gestikulierend.

    "Sumpfporst hat was ausgesprochen Spannendes: Das Zeug ist giftig, gehört zur Familie der Erikagewächse. Und ist insofern giftig, als dass es schwere Räusche und Krämpfe auslöst, bis zur Bewusstlosigkeit führt und vor allen Dingen: Die Räusche waren doch sehr begehrt. Man nahm früher Auszüge aus der Pflanze, um damit das Bier zu konservieren und aromatisieren. Das Zeug stinkt etwas und deshalb nahm man das auch sehr gerne als Läuse- und Wanzenmittel."

    Willkommen zur Feierabend-Führung durch den Botanischen Garten in Berlin-Dahlem. Auf dem Programm: blühende Küsten-, Wald- und Alpengewächse. Führerin Beate Senska berichtet über die Kulturgeschichte der Pflanzen - und lässt die Besucher überall ihre Nase hineinstecken.

    "Schauen Sie mal auf die Schleifenblume – in Siebenbürgen heißt die Schokoladenblume. Ich riech’ da nix nach Schokolade! Ich find’ die stinkt!"

    "Wenn ich durch den Wald gehe oder überhaupt durch die Natur, möchte ich immer gerne wissen, was so ungefähr blüht und wie das heißt. Und hier lernt man ne ganze Menge und es ist total spannend, manchmal spannender als ein Krimi (lacht). /Also je älter ich werde, umso mehr interessiere ich mich für Botanik, muss ich sagen. In jungen Tagen rast man vorbei, da hat man ganz andere Dinge im Kopf, aber ich finde es fantastisch/ Und man kann immer lernen! "

    Die Gäste an diesem Tag: Sieben Rentnerinnen und ein Unternehmensberater. Die Damen notieren emsig lateinische Namen und florale Besonderheiten auf kleinen karierten Blöcken - Torsten Schmude hingegen ist nur auf Erholung aus. Der 34-Jährige hat sich extra Safarihosen und Trekkingschuhe angezogen.

    "Das ist in diesem Fall Freizeit, raus aus dem Büro und mal gucken, was denn hier los ist. "

    Beate Senska weiß nie, ob ihre Führung auf "fruchtbaren Boden" fällt. Zum Feierabend-Rundgang kann nämlich jeder auftauchen – ob Foto-Freaks, Kakteenzüchter oder Kinder, die nonstop nach Fleisch fressenden Pflanzen fragen. Wer akademischen Tiefgang wünscht, bucht deshalb eine Spezial-Führung. Professoren und Pharmazie-Studenten, die Heilpflanzen inspizieren wollen, gehören zum Fachpublikum – und auch Vereine, wie aus dem Reitsport.

    "Reitverein ist übrigens gar nicht so abwegig. Letztes Jahr hatte sich ein Reitverein angemeldet mit seiner Gruppe und wollte Giftpflanzen für Pferde sehen. "

    Der Botanische Garten der Hauptstadt wirbt um jeden Besucher. Denn während draußen alles sprießt und gedeiht, schrumpft die Haushaltskasse der Grünanlage. So kann der weltberühmte Park bei der bundesweiten Woche der Botanischen Gärten im Juni nicht mitwirken, weil unter anderem das Personal dafür fehlt.

    "Dass wir in vielerlei Hinsicht aus dem letzten Loch pfeifen, ist intern schon längst klar."

    Professor Werner Greuter ist Direktor des Botanischen Gartens. Da seine Anlage zur Freien Universität Berlin gehört, ist sie dem neuen, rigiden Sparkurs der Hochschule ausgeliefert. Auf eine Million Euro muss Greuter bis 2009 verzichten. Der Gartenchef setzt deshalb auf einen Geldregen durch mehr Publikum.

    "Wir sind uns klar darüber, dass die Event-Kultur, wie es so schön heißt, für uns ein Muss ist. Wir haben also alle möglichen Anlässe - das geht von Konzerten bis hin zu Weinfesten und bis zu Halloween-Veranstaltungen - um die Berliner zu uns zu holen. "
    Auch die wissenschaftliche Abteilung des Botanischen Gartens sucht neue Geldquellen – sprich Drittmittel-Geber. Die Folge: Die Forscher müssen sich verstärkt dem Interesse der jeweiligen Sponsoren beugen. So wurden in den vergangenen Jahren Untersuchungen an Herbarpflanzen eingeschränkt. Statt der gepressten und getrockneten Gewächse legen die Botaniker heute mehr Frisch-Pflanzen unters Mikroskop – denn Erbsubstanzen sind zu entschlüsseln.

    "Früher haben wir vielleicht doch zu sehr nach eigenem Gusto aus der Sicht eines gewissen Elfenbeinturmes geforscht und heute erforschen wir das, was von uns in erster Linie verlangt wird. "

    Beate Senska ist seit 24 Jahren mit dem Botanischen Garten in Berlin "verwachsen". Die Biologin ist Führerin geworden, weil sie lieber an der frischen Luft arbeitet als am Labortisch. Sie weiß: Ihr Job ist genau so wichtig wie die Arbeit der Doktoranden und Professoren.

    "Das Problem, das wir haben: Die meisten Leute gehen in den Zoo. Tiere bewegen sich, die machen immer irgendwelche Spielchen. Und bei der Botanik ist nichts da. Es läuft ihnen nichts weg. Und Sie müssen die Besucher wirklich darauf aufmerksam machen: Gucken Sie mal, sehen Sie das? Das funktioniert so und so! Oder: Aus dem Grund ist das so! Und da braucht man jemanden, der einem das schon mal zeigt (lacht). "

    Weiter Informationen:
    Verband botanischer Gärten e.V.