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Grünen-Chef Özdemir kritisiert Dieselgipfel
"Mit einigen Mausklicks wird die Luft nicht besser"

Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir hat nach dem Dieselgipfel VW-Chef Müller scharf angegriffen und ihm "Unverschämtheit" vorgeworfen. Teile der Autobranche glaubten offenbar immer noch, dass sie mit den Antworten von gestern davonkämen, warnte Özdemir im Dlf: "Die müssen jetzt endlich aufwachen."

Cem Özdemir im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 03.08.2017
    Grünen-Chef Cem Özdemir
    Grünen-Chef Cem Özdemir hält den Dieselgipfel für eine verpasste Chance (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Ann-Kathrin Büüsker: Am Telefon ist nun Cem Özdemir, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen. Er hat im Vorfeld klare Ansagen von der Politik gefordert. Guten Morgen, Herr Özdemir!
    Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Büüsker!
    Büüsker: Herr Özdemir, die Hersteller wollen ja durch Kaufprämien dafür sorgen, dass alte Diesel, also Euronorm 4 und schlechter, von der Straße kommen und durch neue ersetzt werden. Wie wichtig ist das für Umwelt- und Gesundheitsschutz?
    Özdemir: Erstmal finde ich, hat der Gipfel eine wichtige Gelegenheit versäumt: Nicht nur, das Ansehen der deutschen Automobilindustrie wieder zu verbessern, sondern die Luft in unseren Städten besser zu machen. Mit einigen Mausklicks wird die Luft nicht besser werden in unseren Städten, und ich bezweifle auch, dass sich die Gerichte davon überzeugen lassen. Das heißt, das Instrument der Fahrverbote steht nach wie vor auf der Tagesordnung, weil ich befürchte, dass die Gerichte irgendwann sagen werden, die Geduld ist zu Ende, die Politik reagiert nicht.
    Schmutzige Diesel sollen von der Straße kommen
    Büüsker: Ich glaube, auf diese Einzelheiten können wir gleich noch mal genauer zu sprechen kommen. Ich hatte Sie ja nach den Kaufprämien gefragt, die die alten Diesel von der Straße bringen sollen. Ist das eine gute Entscheidung aus Ihrer Sicht?
    Özdemir: Das kann die Automobilindustrie ja gern machen, das gibt es ja heute bereits. Wenn man einen alten Diesel vorbeibringt oder ein altes Fahrzeug vorbeibringt, dann gibt es Preisaktionen, man bekommt dafür einen neuen oder bekommt das angerechnet. Wichtig ist mir, es kann da kein Steuerzahlergeld verwendet werden, denn es kann nicht sein, dass nachträglich die Betrügereien beim Diesel noch durch Steuerzahlergelder oder durch die Gelder der Verbraucher noch quasi bezahlt werden.
    Büüsker: Das hat Frau Hendricks aber gestern auch ganz klar ausgeschlossen, dass es steuerliche Anreize geben soll. Frau Hendricks hat das ausgeschlossen. Also die Kaufprämien, über die wir jetzt reden, sind finanziert durch die Hersteller.
    Özdemir: Das können sie gern machen. Dagegen spricht nichts. Entscheidend ist, dass die schmutzigen Diesel von der Straße kommen. Mit Softwarelösungen allein lässt sich das nicht machen, das sagen alle Experten. Umso unverfrorener übrigens, dass der Chef von VW, Matthias Müller, Hardwarenachrüstungen in der Pressekonferenz ausgeschlossen hat. Das zeigt, dass Teile der Branche zumindest immer noch glauben, dass sie davonkommen mit den Antworten von gestern. Es zeigt aber auch, dass die Politik einen klaren Ordnungsrahmen braucht, damit die Konzerne die notwendige Innovation in Richtung emissionsfreie Mobilität unternehmen. Nur mit Freiwilligkeit, wie es die Bundesregierung glaubt, dass es funktioniert, werden wir die Automobilindustrie und damit eine der wichtigsten Leitindustrien Deutschlands, gegen die Wand fahren.
    "Man wird um Hardwarelösungen nicht herumkommen"
    Büüsker: Herr Özdemir, Sie sagen, die Softwareupdates bringen überhaupt nichts. Die Umweltministerin hat heute Morgen bei uns im Programm argumentiert, doch, das bringt was. Und auch Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sieht diese Softwareupdates als einen ersten wichtigen Schritt. Gehen wir doch einfach mal davon aus, die bringen tatsächlich ein bisschen was. Was müsste so ein Update aus Ihrer Sicht mindestens leisten, damit Sie sagen, so ist es gut?
    Özdemir: Ich habe nicht gesagt, dass sie nichts bringen. Sie bringen ungefähr 25 bis 30 Prozent. Das reicht aber nicht, um die Erfordernisse der Gerichte zu erfüllen. Für saubere Luft in den Städten ist das viel zu wenig. Wir bräuchten mindestens 50 Prozent. Und übrigens, die Zahl fünf Millionen Fahrzeuge, das klingt erstmal weit großzügiger, als es in Wirklichkeit ist. Die Hälfte davon, die Fahrzeuge von Volkswagen, die müssen aufgrund von Betrügereien, also die illegalen Abschalteinrichtungen des Konzerns, sowieso in die Werkstatt zurück oder mussten zurück. Also von Freiwilligkeit kann da keine Rede sein. Bei der Hälfte mussten sie es einfach machen, weil sie betrogen haben.
    Ich sage, man wird da um Hardwarelösungen nicht herumkommen. Und Sie haben das ja angesprochen, bei den ganz alten Diesel stellt sich natürlich die Frage, ob sich da eine Hardwarelösung wirtschaftlich noch darstellen lässt. Da wird man wahrscheinlich eher in dem Sinne arbeiten müssen, dass man die aus dem Verkehr zieht und ersetzt durch andere Fahrzeuge. Aber nochmal, das ist nicht die Aufgabe des Steuerzahlers, von Ihnen und von mir, sondern die Aufgabe der Automobilindustrie. Die hat sich in einer Kumpanei mit der Politik darauf verlassen, dass völlig irreale Testbedingungen durchgeführt werden. Die einen tun so, als ob sie realistische Tests machen, und die anderen tun so, als ob sie sie erfüllen. Das muss jetzt endgültig vorbei sein.
    Büüsker: Herr Özdemir, ich verstehe, dass Sie Ihre politischen Botschaften unterbringen wollen, aber ich möchte noch einmal betonen: Die Kaufprämien, die da gestern beim Dieselgipfel beschlossen worden sind beziehungsweise vorgeschlagen worden sind von den Herstellern, die sind durch die Hersteller finanziert und nicht durch den Steuerzahler, das ist im Moment der Sachstand, bei dem wir uns bewegen.
    Gucken wir auf die Hardwarelösung, auf der Sie beharren. Nun sagt VW-Chef Müller, das geht auf gar keinen Fall. Sie sagen, das muss aber, und auch Barbara Hendricks möchte eigentlich diese Hardwarelösung. Aber wie soll das Ganze praktisch funktionieren, selbst wenn die Hersteller mitmachen würden? Das wäre ja ein enormer Aufwand.
    Özdemir: Na ja, ich meine, sorry, es geht um die Gesundheit der Menschen in den Städten. Es geht darum, dass die Verbraucher betrogen worden sind. Es geht darum, dass Leute, die vielleicht drauf angewiesen sind, mit dem Diesel ihre Kinder in die Schule, in die Kita zu bringen. Es geht vielleicht darum, dass Händler darauf angewiesen sind, ihre Waren in die Städte zu transportieren, dass die jetzt nicht die Leidtragenden dafür sein können, dass Herr Dobrindt weggeschaut hat und die Automobilbranche so getan hat, als ob sie den Diesel verkaufen, der versprochen wurde. Das ist doch deren Problem. Die müssen das jetzt lösen. Übrigens, vorm Verkehrsministerium standen ja Aussteller, die haben Autos gezeigt, die nachgerüstet sind. Das geht technisch. Es kostet halt was. Das ist doch der entscheidende Punkt, und jetzt geht es halt drum, dass die Automobilindustrie die Gewinne, die sie angehäuft hat in den letzten Jahren, dafür investiert, den Diesel sauber zu machen. Technisch lösbar ist das alles. Es geht darum, wird das Geld dafür verwendet oder nicht. Und offensichtlich funktioniert das nicht freiwillig. Und ich will nochmal sagen, die Äußerung von Herrn Müller, das grenzt schon an Unverschämtheit, dass er sich hinstellt als derjenige, der den Dieselskandal zu verursachen [sic] hat, einen massiver Ansehensverlust für das "Made in Germany" jedem anständigen Mittelständler quasi ins Gesicht schlägt, dass der sich hinstellt bei der Pressekonferenz und unverfroren sagt, das macht man nicht. Offensichtlich hat er den Schuss nicht gehört.
    "Ich will, dass wir auch in Zukunft Autos in Deutschland herstellen"
    Büüsker: Also geht es auch darum, dass sie Konzerne büßen müssen?
    Özdemir: Die müssen jetzt endlich aufwachen und sehen, dass sie mit diesem Kurs die Leitindustrie an die Wand fahren. Ihre eigenen Beschäftigten sind doch massiv besorgt. Ich war letzte Woche bei VW, habe mit der Arbeitnehmerseite gesprochen. Die machen sich ernsthaft Sorgen, was das bedeutet für die Zukunft der Automobilindustrie. Wir hatten solche Fälle schon in der Industriegeschichte. Nehmen Sie Nokia. Die haben sich auch drauf verlassen, dass sie Weltmarktführer sind. Dann kam das Smartphone, und weg waren sie, und jetzt sind sie ein Nischenprodukthersteller. Ich will das deutsche Auto nicht eines Tages mal im Museum besichtigen, sondern ich will, dass wir auch in Zukunft Autos in Deutschland herstellen, und da muss doch klar sein, auf Dauer können die nur emissionsfrei sein. Andere tun das, und wir können uns nicht abschotten vom Rest der Welt.
    Büüsker: Herr Özdemir, Sie üben heute Morgen hier im Deutschlandfunk sehr viel Kritik an den Ergebnissen des gestrigen Gipfels. Teilgenommen hat ja nun mal auch Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er hat die Ergebnisse verteidigt und auch gesagt, man könne die Welt nun einmal nur schrittweise verbessern. Wieso diese klaffende Lücke innerhalb der grünen Partei?
    Özdemir: Das ist keine klaffende Lücke. Winfried Kretschmann hat gesagt, das kann höchstens ein Einstieg sein. Da hat er völlig recht. Und er ist als Ministerpräsident in Baden-Württemberg natürlich besonders in der Pflicht. Vergessen Sie nicht, das eine Urteil war nun mal in Stuttgart. Aber Winfried Kretschmann ist doch auch derjenige, der dafür gesorgt hat, dass es über die Gespräche mit der Automobilindustrie überhaupt eine Bewegung gibt, was das Nachrüsten angeht. Sie erinnern sich sicherlich daran, vor einiger Zeit hieß es noch, Nachrüstungen gehen gar nicht, also auch keine Softwarelösungen. Jetzt geht es auf einmal, und jetzt muss der nächste Schritt folgen. Winfried Kretschmann ist doch auch derjenige, der die blaue Plakette gefordert hat, die leider jetzt in der Vereinbarung nicht zu finden ist. Die würde uns natürlich massiv helfen für unsere Städte, damit unsere Bürgermeister mit unseren Kommunen in der Lage sind, dann, wenn es entsprechenden Alarm gibt, zu reagieren. Also, da sind wir analog. Winfried Kretschmann hat die Blaupause ausverhandelt für das, was in Berlin jetzt gemacht werden muss.
    Büüsker: Aber würde die blaue Plakette, würde sie denn eingeführt, nicht in gewisser Weise auch eine Teilenteignung vieler Besitzer von älteren Dieseln bedeuten?
    Özdemir: Was ist denn die Alternative? Die Alternative ist doch, dass wir bald einen Flickenteppich von Lösungen in Deutschland haben. Wenn Sie dann mit dem Auto von Hamburg nach München fahren, dann brauchen Sie ein Handbuch, in dem drinsteht, in welche Stadt Sie mit welchem Fahrzeug wann reinfahren dürfen, und welche nicht. Darauf fahren wir zu, wenn wir es weiterhin so lassen. Es braucht hier Klarheit.
    Und ich sage nochmals: Das eigentlich Ärgerliche ist doch, wir haben da gerade einen Fukushima-Moment der deutschen Automobilindustrie. Wir haben in China mit sehr viel Staatsgeld den Versuch gerade, eine Elektroindustrie aufzubauen, weil sie eben gleich in die nächste Technologie einsteigen. In den USA mit sehr viel Risikokapital, mit Milliarden bei Tesla. Und bei uns ist es jetzt so, dass die Automobilindustrie aufgrund dieser Fehler Milliardensummen in die alte Technik investieren muss. Das ist das Geld, was fehlt für die Technologie von morgen, und die wird emissionsfrei sein. Darum ärgert es mich, dass wir jetzt bei diesem Gipfel uns ausschließlich mit dem Diesel beschäftigt haben, aber nicht mit der eigentlichen Frage: Was kommt nach dem Diesel, was kommt nach dem Verbrennungsmotor? Diese Autos müssen in Deutschland hergestellt werden.
    Büüsker: Sagt Cem Özdemir, Spitzenkandidat von Bündnis90/Die Grünen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk!
    Özdemir: Gern. Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.