Sonntag, 05. Mai 2024

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Grünen-Chefin Annalena Baerbock
Sommerreise im Zeichen des sozialen Zusammenhalts

"Des Glückes Unterpfand" - unter diesem Motto steht die Sommerreise von Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Ob in Duisburg-Marxloh, Leuna oder einem Nest im Salleskreis in Sachsen-Anhalt: Baerbock will ins Gespräch kommen und das Grünen-Projekt "Volkspartei" vorantreiben.

Von Barbara Schmitdt-Mattern | 16.08.2018
    Fallback Image
    Annalena Baerbock verfolgt weiter das Projekt, die Grünen als Volkspartei voran zu bringen. (Deutschlandradio)
    Roth: "Einmal Blutdruck heute messen, Frau Herzberg, oder lieber nicht?"
    Herzberg: "Ja, freilich!
    Roth: "Der ist nicht zu hoch heute, nicht?"
    Herzberg: "Wenn Sie einmal hier sind…"
    Charlotte Herzberg sitzt am Esstisch in ihrem winzigen Wohnzimmer, hinter ihr eine Kuckucksuhr an der Wand, vor ihr Doktor Stephan Roth: "Nehmen wir den heilen Arm."
    Herzberg: "Nehmen wir den, ja. Ich geb alles hin. Wunderbar."
    Der linke Oberarm tut der alten Dame noch weh von einem Sturz, also nimmt ihr Hausarzt den anderen Arm zum Blutdruckmessen und zieht dann seinen Laptop aus der Arzttasche:
    "Ich muss mal hier meine Technik starten…so der kennt mich nicht, aha. Na dann."
    Charlotte Herzberg lebt seit fast 92 Jahren in Löbejün – ein Nest im Saalekreis in Sachsen-Anhalt. Nicht gerade eine Hochburg der Grünen, auch deshalb sitzt Parteichefin Annalena Baerbock an diesem Nachmittag mit am Esstisch von Frau Herzberg:
    "Ich bin jetzt gerad auf Tour unterwegs in ganz Deutschland, um verschiedene Stationen zu machen, und ist für mich gerade (das) Thema ältere Menschen auch im ländlichen Raum ein großes Thema. Auch Pflege zum Beispiel."
    Augen und Ohren für die Probleme vor Ort
    Baerbock besucht soziale Brennpunkte wie Duisburg-Marxloh, sie diskutiert in Leuna über den Umstieg auf den Elektromotor und an diesem Nachmittag nun also eine Tour mit Hausarzt Stephan Roth, um mehr über die Probleme im ländlichen Raum zu erfahren. Das lässt sich Charlotte Herzberg nicht zweimal sagen:
    "Tja, ich möchte sagen, sie sollen sich ein bisschen mehr um die alten Leute mehr kümmern, nicht? Finde ich. Auch hier in Löbejün ist ja vieles tot, kann man gleich sagen. Es gibt wenige Bänke, wo Sie sich mal hinsetzen können.
    Baerbock: "Gibt’s hier nen Café? Doch, einen Bäcker habe ich gesehen. Ein Café, wo Sie mal einen Kaffee trinken gehen können?"
    Hausärzte immerhin gibt es derzeit genug in Löbejün, dennoch dauert Stephan Roths Arbeitstag mit Sprechstunde, Hausbesuchen und Labor-Auswertungen manchmal bis 22 Uhr, erzählt der Arzt, auf der Fahrt zum nächsten Patienten. Grünen-Chefin Baerbock hört aufmerksam zu – eine konkrete politische Lösung gegen den Ärztemangel hat sie aber nicht:
    "Politik geht ja darum für die Probleme und Herausforderungen Antworten zu finden, und da ist es mir persönlich wichtig, Lösungen eben nicht nur für einzelne Städte zu finden, sondern für die Gänze der Gesellschaft."
    Da blitzt er deutlich wieder auf – der Anspruch, zur grünen Volkspartei aufzusteigen. Mit Umfragewerten von 15 Prozent erlebt die Partei derzeit einen Höhenflug. Dazu dieses Motto der Sommerreise: "Des Glückes Unterpfand". Klingt auf den ersten Blick sehr nach Proseminar, doch im Kern geht es um das neue Grüne Projekt "Volkspartei":
    "Wir stehen für die Grundwerte unserer Gesellschaft, und das spiegelt sich in diesem Satz: Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand, also eine Garantie für Glück, eben wieder. Und wir wollen auf der Tour an die Orte von Rechtsstaatlichkeit, von Freiheit und Einigkeit, neudeutsch vielleicht sozialen Zusammenhalt gehen. Und vor allen Dingen ins Gespräch kommen und das kommen wir mit diesem Titel sehr, sehr gut."
    Rüsten für die Bewährungsprobe im Herbst
    Sozialer Zusammenhalt – das ist noch so ein Schlüsselbegriff, der vor allem die SPD nervös macht. Zumal Baerbock und ihr Co-Parteichef Habeck stets betonen, dass sie zur "führenden Kraft der linken Mitte" aufsteigen wollen, mit der Betonung auf Mitte. Manchmal allerdings ploppt das alte Grünen-Image doch wieder auf, so auch am Esstisch von Frau Herzberg:
    Roth: "Die Grünen, da fällt mir was ein, die Autobahn wird gar nicht gebaut, um Halle rum, das ist ein Riesenthema."
    Baerbock: "Ich kenn jetzt diesen Autobahnabschnitt hier nicht so genau, was da die Bedenken waren."
    Roth: "Es ist die gelbbauchige Unke oder irgendwie sowas, oder die grüne schillernde Fliege oder irgendwie sowas, die da gestört wurde."
    Baerbock: "Gut, aber dann ist das wahrscheinlich ein Schutzgebiet."
    Roth: "Ich weiß nicht, ich finde, Halle ist auch ein Schutzgebiet. Wenn LKW an den roten Ampeln stehen und der ganze Schwerverkehr durch Halle (sich) schiebt…."
    Die Diskussion läuft noch eine ganze Weile weiter – für Baerbock ein gutes Training für den Landtagswahlkampf in Hessen und in Bayern. Dort liegen die Grünen bereits auf Platz 2 hinter der CSU – der Herbst wird somit zu ersten großen Bewährungsprobe für das neue grüne Führungsduo.