Die Grünen-Vorsitzende Peter dringt darauf, bei der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten die Bedürfnisse der Menschen stärker zu berücksichtigen. So sollte man Familienzusammenführungen ermöglichen, sagte sie im Deutschlandfunk. Wenn bereits Angehörige in anderen Staaten untergekommen seien, sollte man die Menschen nicht zwingen, woanders hinzugehen. Außerdem könne man die Flüchtlinge nicht allein Griechenland überlassen. Die Bundesregierung hatte zuvor mehrfach deutlich gemacht, dass sie keine Menschen aus Idomeni ins Land holen wolle.
Die Grünen-Vorsitzende, die sich derzeit in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze aufhält, bezeichnete die Lage als katastrophal. Es befänden sich dort 15.000 Menschen. 40 Prozent davon seien Kinder, die mit ihren Eltern im Wasser und Dreck säßen, führte Peter aus. Für die Menschen aus Syrien gebe es kein Zurück mehr, weil sie in ihrer Heimat alles verloren hätten. Deshalb sei es auch falsch, die Flüchtlinge von der Weiterreise abzuhalten. Wegen der schlechten Bedingungen verlassen derzeit Medienberichten zufolge allerdings hunderte Flüchtlinge das Aufnahmelager Idomeni in Richtung Athen. Die meisten wollen dort in Flüchtlingsunterkünften unterkommen.
Die Türkei braucht erst einmal ein faires Asylsystem
Peter warnte davor, die Türkei zum sicheren Drittstaat zu erklären, was nach dem EU-Türkei-Gipfel Anfang der Woche unter anderem von Vertretern der CSU befürwortet wurde. Zur Begründung verwies die Grünen-Chefin auf die Lage der Kurden in der Türkei. Auch die bei dem Gipfel angedachte Rückführung von illegalen Migranten in die Türkei lehnte sie ab. Dafür sei zunächst einmal nötig, dass die Türkei ein faires Asylsystem bekomme. Die Regierung in Ankara hatte angeboten, illegale Flüchtlinge die über ihr Land nach Griechenland gelangt sind, zurückzunehmen. Im Gegenzug holt die EU dann syrische Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa.
Doris Simon: Idomeni, das ist in diesen Tagen das hässliche Gesicht von Europa. Seit Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien keine Flüchtlinge ohne Visum mehr die Grenzen passieren lassen, seither sind hier in dem kleinen Ort an der griechisch-mazedonischen Grenze 13.000 Menschen gestrandet. Die Zustände sind erbärmlich. In ganz Griechenland sollen es über 30.000 Flüchtlinge sein, die nicht mehr weiter können, egal woher sie kommen, auch nicht aus Syrien.
Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter ist nach Idomeni gereist und jetzt am Telefon. Guten Morgen.
Simone Peter: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
"Ich frage mich, wo sind die legalen Wege?"
Simon: Frau Peter, was wollen Sie da erreichen?
Peter: Zunächst mal wollte ich mir einen Eindruck verschaffen vor Ort, was erleben die Menschen. Mich haben die letzten Tage, diese Bilder unruhig gemacht und ein Stück weit auf den Weg geschickt, um deutlich zu machen, dass es Perspektiven geben muss. Wenn man sich das vor Ort anschaut, ist es noch mal eine Dimension schlimmer als das, was man an Bildern nach Deutschland übermittelt bekommt. Da sitzen Menschen perspektivlos in wirklich katastrophalen Zuständen vor der Grenze. Und wenn ich mir da gerade jetzt die Worte des Innenministers anhöre, des Innenministers de Maizière, dass wir die illegalen Wege durchbrechen müssen, dann frage ich mich, wo sind die legalen Wege. Die Menschen kommen ja auf diesen Wegen zu uns, weil es immer noch keine sicheren Zugangswege nach Europa gibt, und hier ein Zeichen zu setzen, zu sagen, das ist nicht das Wertegerüst Europas und das ist auch nicht die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechtsperspektive, die wir haben, da müssen wir gegenstehen.
Simon: Frau Peter, Sie sagen, die Bilder von Idomeni haben Sie unruhig gemacht, und Sie erleben Flüchtlinge, die da perspektivlos sitzen. Sollte da nicht rasch das Lager geräumt werden, die Flüchtlinge anderswo in Griechenland untergebracht werden? Idomeni ist ja eine furchtbare Sackgasse.
Peter: Die griechische Regierung versucht ja, die Menschen zurückzuführen in andere Lager, die sich hier im nördlichen Griechenland befinden. Ich werde mir heute auch noch eines in der Nähe von Thessaloniki anschauen, dann wieder zurückfahren. Aber wenn man sieht, dass dort die Zahlen nicht runtergehen, sondern hochgehen - es sind mittlerweile über 15.000 Menschen dort, 40 Prozent Kinder. Es sind ganz viele kleine Kinder dort, die mit den Eltern in den Zelten im Dreck, im Wasser sitzen, und es ist Nachts noch sehr kalt. Die kennen kein Zurück mehr. Ich habe mit einer Familie aus Aleppo gesprochen. Die haben alles verloren. Die wollen in den sicheren Hafen Europas und nicht mehr zurück. Es gibt kein Zurück.
"Wir können Griechenland die Flüchtlinge nicht alleine überlassen"
Simon: Aber die sind doch in Griechenland. Das ist ja schon Europa.
Peter: Ja, die sind in Griechenland, aber Griechenland können wir die Flüchtlinge auch nicht alleine überlassen. Zum einen ist das System, das die Aufnahme in Europa regelt, das Dublin-System ja insofern gescheitert, dass man nicht alle an den südlichen Küsten belassen kann. Und dass die Möglichkeit, nach den Familienzusammenhängen zu schauen, Familien zusammenzuführen, die jetzt vielleicht schon in Deutschland, in Schweden oder sonst wo sind, dass man dem Rechnung tragen kann und dass es Möglichkeiten gibt, zu arbeiten und zu Ausbildung zu kommen, dafür sind alle europäischen Länder verantwortlich.
"Flüchtlinge mit Zwang in einem Land zurückzuhalten, halte ich für falsch"
Simon: Frau Peter, wir haben ja in der Vergangenheit bei Griechenland viel vorbeigeguckt. Es durfte ja aus Deutschland auch nicht zurückgeschoben werden nach Griechenland, wenn Leute darüber eingereist waren. Aber ist es heute angesichts der aktuellen Situation nicht zumutbar, dass Griechenland 30.000 Flüchtlinge, die jetzt im Land sind, selber aufnimmt, zumal es ja die Zusagen gibt aus der Europäischen Union und schon länger als jetzt nur zuletzt, da zu helfen?
Peter: Dass Griechenland die Strukturen schafft und dabei ist, sie zu schaffen, das sieht man. Auf der anderen Seite braucht es Zeit, ähnlich wie es bei uns auch Zeit brauchte im letzten Jahr und auch immer noch Zeit braucht. Aber die Frage ist ja, wird man damit den Anliegen der Flüchtlinge gerecht. Ich glaube, wir müssen uns schon sehr auf die Diskussion gerechtere Verteilung, Solidarität in Europa konzentrieren. Aber es gibt nun mal familiäre Bindungen, andere Begebenheiten, die Flüchtlinge nicht in das eine oder andere Land zwingen sollten, sondern dass man nach diesen Anliegen auch vorgeht und Möglichkeiten schafft, dass sie weiterziehen. Das ist das Anliegen der Flüchtlinge und wenn man sieht, wie lange sie da vor dieser Grenze ausharren, sie mit Zwang in einem Land zurückzuhalten, halte ich für den falschen Ansatz.
Simon: Sie sprechen von einer gerechteren Verteilung, der Solidarität und dem Anliegen der Flüchtlinge. Aber ist es gerade da, wo wir sehen, es gibt die Solidarität nicht, das mit der Verteilung klappt nicht, ein Gebot der Fairness, auch den Flüchtlingen gegenüber zu sagen, ihr kommt hier nicht weiter, es wird für euch keinen einfachen Weg mehr dahin geben, wo es vielleicht sinnvoll für euch wäre hinzugehen?
"Familiäre Bindungen stärken und nicht zerschlagen"
Peter: Das ist ja hier die Ansage. Die Meldung, die Balkanroute ist dicht, da wird sich nichts mehr bewegen in der nächsten Zeit, ist ja eine, die zu einem Schockzustand vor Ort führt, aber auch deutlich macht, es geht nicht weiter. Und trotzdem: Der Wille ist so groß der Menschen dort, weiterzugehen, zu den Familien zu kommen. Ich habe einen Kontakt bekommen zu einer Familie, der Vater sitzt in Bamberg, die Mutter mit den Kindern hier an der Grenze in Idomeni. Die wollen weiter. Die wollen zusammengeführt werden. Das ist doch das Hauptintegrationsmerkmal, dass man zu seiner Familie will, dass man familiäre Bindungen stärkt und nicht in der europäischen Gemeinschaft zerschlägt. Daran müssen wir weiter arbeiten, jenseits all dieser nationalistischen Tendenzen, die ein Weiterziehen derzeit nicht ermöglichen.
Simon: Aber auch wenn das bei den Grünen derzeit komplett abgelehnt wird, wäre denn da die Möglichkeit, mit der Türkei zusammenzuarbeiten und Menschen, die aus völlig berechtigten Gründen natürlich flüchten möchten, woanders hin möchten, zu ihrer Familie möchten, im Gegenzug zu ermöglichen, ohne eine Flucht übers Mittelmeer und den Gefahren, die damit verbunden sind, zu kommen, wenn sie nämlich dann in Kontingenten in die Länder kommen können, wo ihre Verwandten sind?
Peter: Zunächst mal ist es sicher ein richtiger Ansatz, die Flüchtlingsunterkünfte, die sich rund um die Krisengebiete befinden, zu stärken. Das ist die Türkei, das ist Jordanien, das ist der Libanon. Weil viele, die meisten, neun von zehn Flüchtlingen weltweit bleiben in ihren Ländern oder in ihren Regionen als Flüchtlinge. Die wollen gar nicht weiterziehen. Aber dann müssen auch Strukturen da sein. Das Problem mit der Türkei ist ja, man kann sie hier nicht als sicheren Drittstaat bezeichnen, wenn Menschenrechte, wenn Bürgerrechte, Minderheiten wie die Kurden bekämpft werden.
Simon: Genau das wird aber wohl passieren. Die Griechen haben das schon angekündigt.
Peter: Ja. Aber die Frage ist ja, wo bleibt unsere Verantwortung, in den Verhandlungen darauf hinzuweisen und deutlich zu machen, dass es in der Türkei ein faires Asylsystem braucht, Zugänge zu Ausbildung und Arbeitsmarkt. Das ist alles sicher richtig. Nur trotz NATO, trotz Frontex kommen jeden Tag Tausende von Flüchtlingen hier an. Das heißt, die Menschen finden andere Wege und das kann man nicht einfach ausblenden. Wir können sie ja nicht mit Waffengewalt hindern, an die europäische Küste zu kommen. Das muss man sich bewusst machen.
Simon: Aber Sie lehnen es nach wie vor ab, diese Flüchtlinge wieder zurückzuführen in die Türkei - das ist ja das, was immer noch in der Diskussion ist - und die dann über Kontingente dahin zu holen, wo sie hin wollen?
Peter: Noch mal: Das Zurückführen, damit sie in der Türkei bleiben, was ja auch ein Anliegen ist, das halte ich für falsch, weil in der Türkei die Bedingungen derzeit nicht stimmen. Aber mit Kontingenten Möglichkeiten zu finden, dass Flüchtlinge direkt zu uns kommen können, der Ansatz sollte weiter verfolgt werden. Das darf aber nicht als Obergrenze interpretiert werden. Das gibt weder die Genfer Flüchtlingskonvention, noch unser deutsches Asylrecht her. Aber endlich die Möglichkeit zu schaffen, zu sagen, wir nehmen 200.000 Syrer europaweit auf, die jetzt akut Hilfe brauchen, das hielte ich für einen richtigen Ansatz.
Simon: Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter. Sie ist zurzeit in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze. Frau Peter, vielen Dank!
Peter: Sehr gerne!
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