Dienstag, 19. März 2024

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Grünen-Politiker zur PiS
Zweifel an versöhnlichem Kurs in Polen

Der Sieg der PiS sei ein "Durchmarsch", sagte der Vorsitzende der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe, Manuel Sarrazin, im Dlf. Den selbstkritischen Tönen von Parteichef Jaroslaw Kaczynski traut der Grünen-Politiker noch nicht ganz. Die PiS habe es nun in der Hand, das Land zu befrieden oder weiter zu spalten.

Manuel Sarrazin im Gespräch mit Christiane Kaess | 14.10.2019
Manuel Sarrazin spricht bei der 77. Sitzung des Bundestages.
Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender der deutsch-polnischen Gruppe (dpa / Kay Nietfeld)
Christiane Kaess: Ein klarer Sieg für die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit in Polen. Der Ausgang der Parlamentswahl dürfte in Berlin und Brüssel mit Spannung verfolgt worden sein, denn die Beziehungen zu Deutschland und zur EU waren unter der PiS-Regierung nicht einfach. Die PiS hat in den vergangenen Jahren das polnische Justizsystem nach ihren Vorstellungen umgebaut, was die EU-Kommission in Sorge um die Rechtsstaatlichkeit Polens dazu veranlasst hat, mehrere Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anzustrengen. Und das Verhältnis zu Deutschland ist belastet, weil die nationalkonservative Führung in Warschau Reparationszahlungen für Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs fordert. Die PiS hatte diesen Punkt auch in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Ich kann darüber jetzt sprechen mit Manuel Sarrazin. Er ist Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. Er gehört den Grünen an und ist im Bundestag Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Bleibt in Polen alles wie gehabt.
Manuel Sarrazin:Das wäre nach diesem Wahlergebnis ja fast schon schön. Die PiS hat einen Durchmarsch hingelegt. Wir müssen jetzt noch abwarten, weil die Stimmen noch nicht ganz ausgezählt sind und die von der PiS beanspruchte absolute Mehrheit ja noch relativ knapp ist, aber das Programm der PiS hat angekündigt, dass man gerade in den Bereichen, die zu Konflikten mit der EU geführt haben, weiter vorangehen möchte wie bei der Justizreform. Insofern ist es jetzt eine sehr wichtige Frage, ob Herr Kaczynski das, was er gestern Abend gesagt hat, eine Einsicht, ein Zugehen auf die Opposition in der Gesellschaft, macht, oder ob man weiter und noch härter durchregieren will.
"Keine Änderungen für die deutsch-polnischen Beziehungen"
Kaess: Herr Sarrazin, wenn ich Sie richtig interpretiere, hätten Sie sich ein anderes Ergebnis gewünscht.
Sarrazin: Wir Grünen haben andere Partner als die PiS. Aber als Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe betrachten wir das natürlich insofern neutral. Ich gehe davon aus, dass es für die deutsch-polnischen Beziehungen keine große Änderung geben wird. Ich kann mir aber vorstellen, falls die PiS ihren Staatsumbau weiter vorantreibt, dass die Beziehungen zwischen Polen und der Europäischen Union, der Kommission und dem Europäischen Gerichtshof schwieriger werden werden.
Kaess: Lassen Sie uns darauf auch gleich noch eingehen. Aber ich möchte Sie davor noch fragen: Was sind die Gründe für den Erfolg der PiS? Sind das nur die sozialen Wohltaten? Ist nur das der Grund, warum die Menschen in Polen die PiS wählen? Oder warum überzeugt sie sie?
Sarrazin: Ich denke, das sind verschiedene Effekte, die da zusammenkommen. Aber sicherlich ist ein Punkt, dass insgesamt viele Menschen, die sich von der auch durch Wachstum geprägten Zeit der vorherigen Regierung nicht mitgenommen gefühlt haben, von der PiS das Signal bekommen haben, von ihr auch ökonomisch mitgenommen zu werden und dass in diesem Bereich schon auch tatsächliche Missstände im Land angegangen worden sind, die die vorherigen Regierungen nicht ausreichend adressiert haben.
"PiS kann nicht über 50 Prozent hinausgreifen"
Kaess: Also macht die PiS das gut?
Sarrazin: Ich denke, dass das zumindest vielen Menschen in Polen richtig hilft, dass es ein Programm ist, das sehen wir auch an Zahlen, was die Kinderarmut beispielsweise effektiv bekämpft hat und was in der aktuellen konjunkturellen Lage auch der Weltwirtschaft zumindest derzeit noch finanzierbar ist. Gleichzeitig macht die PiS es natürlich trotzdem auch sehr schlecht, das hat ja auch Herr Kaczynski gesagt, dass sie durch ihre Rhetorik, durch ihre Art und Weise, das Land umzubauen, auch das Land weiterhin spaltet und deswegen nicht über 50 Prozent hinausgreifen kann.
Kaess: Jetzt haben Sie gerade gesagt, warum die PiS für viele Menschen in Polen gut ist. Warum wünschen Sie sich dann andere Partner in der Zusammenarbeit?
Sarrazin: Ich denke, dass tatsächlich aus grüner Sicht die PiS in vielen Bereichen, die uns wichtig sind, viele Probleme mit sich bringen wird. Der Umbau des Justizsystems ist aus unserer Sicht für Polen nicht gut. Wir sehen aber auch, dass bei den ökologischen Fragen die PiS natürlich nicht auf derselben Seite spielt wie die Grünen, gerade wenn es darum geht, in Kohle zu bleiben und die europäischen Klimaziele zu adressieren, wo die PiS ja leider mit der deutschen Bundesregierung eine Koalition gegen ehrgeizige Klimaziele beim letzten europäischen Gipfel geschmiedet hatte.
Europäische Verträge einhalten
Kaess: Was glauben Sie jetzt? Wozu wird die PiS voraussichtlich ihre absolute Mehrheit nutzen?
Sarrazin: In einem negativen Szenario geht die PiS weiter an diese Strukturmerkmale des Staates wie eine Vollendung der Justizreform, wie einen Umbau der Medienlandschaft, wie eine Veränderung der Kompetenzen der Gebietskörperschaften, wo die Opposition noch stark vertreten ist. In einem positiven Szenario nutzt Jaroslaw Kaczynski diesen riesigen Erfolg und geht auf die Opposition zu und versucht, über diese Themen das Land zu befrieden und daraus eine neue Stärke zu ziehen. Ich denke, das werden die nächsten Tage, Wochen und Jahre zeigen. Das können wir nur abwarten.
Kaess: Kaczynski hat sich ja durchaus kritisch gestern Abend geäußert. Würden Sie ihn so interpretieren, dass er tatsächlich da eine Wendung vollziehen würde?
Sarrazin: Das weiß ich nicht. Seine Worte klingen zwar so, aber allein mir fehlt etwas der Glaube.
Kaess: Jetzt haben Sie Ihre Befürchtungen geäußert. Was kann denn die deutsche Regierung und was kann die EU tun, um diesen Befürchtungen zu entgegnen?
Sarrazin: Für die deutsche Regierung gilt, fast egal, wer in Polen regiert, dass die deutsch-polnischen bilateralen Beziehungen auch vor dem Hintergrund des historischen Erbes von ausgesprochener wichtiger Bedeutung sind. Das heißt, dass wir gerade mit einer so stark legitimierten polnischen Regierung weiterhin gut zusammenarbeiten sollten und dass in dieser guten Zusammenarbeit natürlich auch der ehrliche Austausch über unterschiedliche Perspektiven steht. Aber richtig ist, eine deutsche Regierung entscheidet nicht über eine polnische Justizreform oder auch nicht über polnische Sozialpolitik oder Ähnliches.
Gleichzeitig ist es aber so, dass dort, wo der Europäische Gerichtshof klargestellt hat, dass bestimmte Maßnahmen der Justizreform gegen europäische Verträge verstoßen, dass es wichtig ist, dass dort Europa, der EuGH und auch Deutschland als Mitglied der Europäischen Union weiterhin klar zu den europäischen Verträgen stehen.
PiS hat wirtschaftliche Verbesserung für viele gebracht
Kaess: Was, glauben Sie, kann die EU in Zukunft ausrichten?
Sarrazin: Wir werden sehen, wie die neu angestoßenen Verfahren in Bezug auf den nationalen Richterrat und die Frage, ob man Richter über eine Disziplinarkammer einsortieren kann, wie die vorm EuGH ausgehen. Aber ich denke, dass das stärkste Schwert dort tatsächlich die Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sind.
Kaess: Warum, glauben Sie, hat es die Opposition nicht geschafft, mehr Wähler zu überzeugen?
Sarrazin: Ich sage mal so: Die PiS hat seit Jahren eine streng auf ein bestimmtes Motiv angelegte Kampagne gefahren, zu der auch ihre Politik gepasst hat und die tatsächlich auch mit einer wirtschaftlichen Verbesserung der Lage für viele Menschen einhergegangen ist. Die Opposition hat meiner Ansicht nach es weder geschafft, mit Personen noch mit Personal und mit einer Programmatik ein klares Gegenmodell dazu zu entwerfen, und ich denke, dass deswegen alle mit einem Wahlsieg der PiS gerechnet haben, der für mich wirklich ein Durchmarsch ist. Aber vielleicht würde Herr Kaczynski selber zuhause sogar sagen, dass er etwas enttäuscht ist, weil er noch mehr erwartet hätte. Zumindest muss man jetzt noch abwarten, wie die Auszählung am Ende ausgeht, weil sich noch etwas verändern kann und weil wir noch nicht wissen, inwieweit auch das zweite Haus, das Oberhaus, der Senat dieses Bild wiederspiegelt, oder dort vielleicht die Opposition stärker geworden ist.
Opposition hat keine Gegenkonzepte geliefert
Kaess: Das wissen wir tatsächlich noch nicht. Aber trotzdem noch mal die Frage: Warum ist die Opposition so schwach? Sie sind ja in Kontakt über die Parlamentariergruppe mit polnischen Kollegen. Was sagen die Ihnen?
Sarrazin: Ich glaube, dass die polnischen Kollegen aus der Opposition sich sehr stark abgearbeitet haben an der PiS, was auch richtig ist, und sehr stark die negativen Eigenschaften der PiS dargestellt haben und es darüber etwas vermasselt haben, eigene klare Gegenkonzepte zu liefern. An den Stellen, wo die PiS-Politik beliebt war, hat man dann betont, dass man sie beibehalten würde oder sogar noch verstärken würde. Aber eine klare Unterscheidbarkeit im positiven Sinne ist nicht sichtbar geworden, außerhalb der Bereiche, die die Justizreform oder die Frage der Medienfreiheit darstellen, die aber für viele Menschen nicht die wichtigsten Fragen waren. Ihr Bericht hat das neulich sehr dargestellt: Polnische Bürger, die sagen, sie haben jetzt erstmals finanziell die Möglichkeit, ihren Kindern den Reitunterricht zu finanzieren, oder die einfach jetzt weniger Probleme haben, genügend heranzubringen, damit man sich wirklich ohne Sorge zuhause gut wohlfühlen kann. Ich denke, dass diese Situation einfach eine schwierige Grundvoraussetzung für die Opposition war, die zudem personell ja auch ihre Hausaufgaben erst sehr, sehr spät gemacht hat und deswegen vielleicht nicht überzeugen konnte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.