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Grünspan

Novy: Eine Ausstellung, nämlich die des Künstlers Daniel Richter, wurde gerade in Düsseldorf eröffnet. Christiane Vielhaber sitzt im Studio. Christiane Vielhaber, ich lese auf dem Pressezettel, "auf den Bildern von Daniel Richter begegnen sich Figuren eines städtischen, häufig gewalttätigen Milieus". Weiter heißt es dann eben, "traumhafte Erscheinungen verbinden sich mit gesellschaftlicher Realität." Aber es klingt doch mehr nach Albtraum.

    Vielhaber: Die Bilder haben auch etwas Albtraumhaftes. Sie haben auch etwas Trancehaftes. Die Ausstellung läuft unter dem Titel Grünspan. Dazu sollte man wissen, dass Grünspan im Mittelalter zwar ein Material war, mit dem die Künstler malten. Es war ein giftiges Material, was möglicherweise auch mit den giftigen Farben zu tun hat, jetzt aber nur für die Augen giftigen Farben, die Daniel Richter benutzt. Aber er bezieht sich dabei auf ein Buch von Hubert Fichte, der wie Daniel Richter auch in Hamburg gelebt hat und der 1985 gestorben ist. Das Buch heißt "Detlefs Imitationen (Grünspan)". Es handelt von den Erfahrungen, die man in Rausch- und Trancezuständen machen kann. So erklärt sich möglicherweise auch die Fratzenhaftigkeit der Figuren, ihre gespensterhafte oder teilweise comicartige Erscheinungen. Aber das kann nicht alles sein. Man sollte dazu wissen, dass Daniel Richter bis in die letzten zwei bis drei Jahre ein völlig Unbekannter war, und jetzt wie Nobody hochgeschossen ist. Gerade auf dem zuende gegangenen Artforum in Berlin hat jenes Düsseldorfer Museum, das ihn jetzt auch ausstellt, ein Gemälde für immerhin 60.000 Euro gekauft. Und alle 25 Bilder, die in dieser Ausstellung hängen, die teilweise drei mal drei Meter fünfzig groß sind, kommen bereits aus Sammlungen. Also ist nichts aus seinem eigenen Atelier. So wie damals bei der wilden Malerei, scheint es jetzt eine Lust an figurativer Malerei zu geben oder an einer neuen Interpretation dessen, was wir Historienbilder genannt haben.

    Novy: Hat er immer figürlich, gegenständlich gemalt?

    Vielhaber: Nein, bis 1999 hat er völlig abstrakt gemalt. Dann hat er von jetzt auf gleich auf die Figuration besonnen und hat sich dann eben dieser Gespenster angenommen. Das Ganze hat auch sehr viel mit einer klugen Reflexion von Kunstgeschichte zu tun. Sie erkennen, wenn Sie sich in der Kunstgeschichte auskennen, zum Beispiel die Fratzenhaftigkeit von Ensors Figuren, von Hieronymus Bosch. Sie sehen Flecken, dann denken Sie an Pollock. Sie sehen fast symbolistische Szenen, dann denken Sie an Böcklin. Das alles ist damit mit drin verarbeitet. Aber das Gesehene ist nicht das Gemeinte. Ich darf Ihnen das vielleicht mal an einem Beispiel erklären. Ich kam vor der Pressekonferenz rein. Ich sah ein riesiges Gemälde. Das trägt den Namen Phinox, also die Umstellung oder Verballhornung von Phönix. Und dann denkt man sofort an Phönix aus der Asche. Ich sah diese Arbeit nun und dachte: "Das ist die Berliner Mauer. Das ist die Wende, und die Menschen sitzen auf der Mauer. Die freuen sich." Dann habe ich noch mal hingeguckt und habe gedacht, dass es auch ein Rockkonzert sein könnte. Dann habe ich mit meinem kunsthistorischen Wissen gedacht, es habe etwas von einer Grablegung oder es könne auch eine Vergewaltigung sein. Ich habe dann mit diesem Künstler darüber gesprochen, und er sagt: "Wissen Sie was es ist? Ich habe damals in der Zeitung das Pressefoto gesehen als die amerikanische Botschaft in Nairobi bombardiert wurde. Diese grässliche Szene habe ich hier eigentlich verarbeitet." Nur es ist in so einem Moment, denke ich, steckt da so viel Aktualität drin. Und darin besteht auch das große Talent dieses Künstlers, so zeitgenössisch zu sein, dass ich das alles so darin sehen kann, weil ich natürlich auch mein Wissen, mein gespeichertes Bildwissen aus den Medien sofort abrufen kann. Ich kann dann dies oder das damit in Verbindung bringen.

    Novy: Also, er wendet sich an das kollektive Wissen seiner Betrachter. Der Künstler ist 1962 geboren. Was hat ihn denn so geprägt? Was hat ihn geformt?

    Vielhaber: Er kommt aus der Rockszene, aus dem linken Untergrund. Dann hat er in Hamburg bei Werner Büttner studiert. Und dieser Lehrer war bekanntermaßen einer, der in den achtziger Jahren eben diese wilde Malerei, aber eben auf eine ironische Art und Weise in die Kunst gebracht hat. Also es war die ironische Hinterfragung dessen, was in der Gesellschaft passiert. Ironie ist nicht die Sache von Daniel Richter, sondern es ist wirklich der Versuch, die Welt oder das Gesehene in Malerei zu übersetzen oder sich Geschichte malend anzueignen.

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