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Grundlagen für bessere Implantate
Titanprothesen im Neutronenstrahl

Das Metall Titan zählt zu den beliebtesten Materialien für medizinische Implantate. Es ist stabil, haltbar und gut verträglich. Dennoch ließe sich das Tempo, mit dem eine Titan-Prothese mit dem Körpergewebe zusammenwächst, verbessern. Im französischen Grenoble, am Europäischen Forschungsreaktor, nehmen Forscher Titanimplantate genauer unter die Lupe.

Von Frank Grotelüschen | 16.01.2015
    "Soweit wir heute wissen, besitzt Titan keinerlei negative Wirkung auf den Körper. Deshalb wird es gern für Implantate genutzt, für Prothesen, Gefäßstützen und Zahnimplantate. Doch was man noch nicht weiß: Was geschieht in den ersten Minuten, nachdem ein Titanimplantat in den Körper eingepflanzt wurde? Darauf können wir mit dieser Apparatur hier eine Antwort geben."
    Robert Barker steht in einer der Experimentierhallen des europäischen Forschungsreaktors in Grenoble. Sein Messstand, mit dem er Titanimplantate unter die Lupe nimmt, liegt vor einer dicken Betonmauer – und zwar aus gutem Grund.
    "Hinter uns ist der Reaktor, wir sind etwa 15 Meter von ihm entfernt. Aus dem Reaktor kommen unzählige Neutronen. Diese winzigen Teilchen nutzen wir, um unsere Proben im Detail zu durchleuchten."
    Die Proben, von denen Barker spricht, sind mehrere metallene Kästchen, etwa so groß wie Mobiltelefone. Sie bestehen aus Titan, einem der teuersten und edelsten Metallwerkstoffe überhaupt. Titan ist leicht und dennoch stabil – weshalb man es im Flugzeugbau sehr schätzt, aber auch als Prothesenmaterial in der Medizin. Um herauszufinden, wie der Körper unmittelbar nach dem Einpflanzen auf ein Titanimplantat reagiert, haben Barker und seine Leute einen raffinierten Aufbau entworfen.
    "Wir haben eine Konstruktion entwickelt, die das Vorbeifließen von Blut an dem Titan simuliert. Dort sehen Sie die Schläuche, die eine Flüssigkeit rein- und wieder rausleiten. Das ist zwar kein richtiges Blut, aber eine Flüssigkeit, in Stoffe gelöst sind, die sich auch im Blut finden, zum Beispiel Calcium."
    Welche Stoffe bleiben am Titan haften, welche nicht? Um das beobachten zu können, brauchen die Forscher die Neutronen aus dem Reaktor. Die nämlich durchdringen das Material wie Geister und können so verraten, was beim Wechselspiel zwischen künstlichem Blut und Titan passiert.
    "Wir zielen mit den Neutronen auf die Oberfläche des Titans, während sie von unserem künstlichen Blut umspült wird. Die Teilchen prallen von dort ab und fliegen weiter zu einem Detektor, eingebaut in dieser riesigen Tonne da vorn. Er registriert, wann die Neutronen ankommen. Dadurch können wir alle 30 Sekunden feststellen, was auf der Titanoberfläche passiert."
    Um einen Vergleich zu haben, nahmen die Wissenschaftler nicht nur Titanprothesen unter die Lupe, sondern auch Implantate aus Edelstahl. Das Resultat:
    "Wir haben festgestellt, dass bestimmte Stoffe am Edelstahl viel besser haften bleiben als am Titan. Warum das interessant ist? Nun – mit solchen Experimenten wollen wir herausfinden, wie man Implantate verändern sollte, um sie besser zu machen."
    Das Kalkül: Könnte man bestimmte Proteine im Blut dazu bringen, sich gleich nach dem Einpflanzen auf dem Implantat anzusiedeln, würde sich der Heilungsprozess beschleunigen. Erreichen ließe sich das durch eine geeignete Oberflächenbehandlung der Titanimplantate, sagt Robert Barker. Und wie die aussehen könnte, dafür soll die neue Methode aus Grenoble nun wichtige Hinweise liefern.