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Grundwasser für die Klimaanlage

Immer mehr moderne Büros und Werksgebäude werden mit Klimaanlagen gekühlt. Normalerweise funktionieren diese mit Kältekompressoren, die sehr viel Energie benötigen. In München geht man deshalb neue Wege. Die Münchner Stadtwerke wollen nun erstmals Fernkälte zum Betreiben von Klimaanlagen einsetzen. Dazu bauen sie gerade eine 4,6 Kilometer lange Leitung, um damit Kälte bzw. 12 Grad kaltes Grundwasser zum Innovationszentrum von BMW zu transportieren. Dort wird es dazu genutzt, die Räume abzukühlen. Das spart Energie und macht BMW unabhängiger vom Strompreis.

von Michael Netzhammer | 20.10.2003
    Immer neue Späne aus Polyäthylen schieben sich quietschend aus dem Hobel. Schicht für Schicht hobelt die Maschine die Enden der Kunststoffrohre ab, bis sie vollkommen plan sind. Danach werden diese erhitzt, zusammengepresst und - wenn die Naht erkaltet ist - karrt der Bagger sofort zwei neue Röhren an. Gerade mal drei Arbeiter tummeln sich auf dem Gelände. Und so blickt kaum einer der Fußgänger im Münchner Norden auf die unspektakuläre Baustelle. Dabei entsteht hier vielleicht Deutschlands ungewöhnlichste Klimaanlage. Errichtet wird sie von BMW und den Stadtwerken München. Die Klimaanlage soll einmal im 4,6 Kilometer entfernten Innovationszentrum von BMW Kälte produzieren. Betrieben wird sie aber nicht mit Strom, sondern mit Hilfe von Grundwasser. Dieser Ansatz ist vollkommen neu, erklärt die Sprecherin der Stadtwerke München, Bettina Hess:

    Das Einzigartige ist sicher, dass hier zum ersten Mal das kalte Grundwasser genutzt wird, um Anlagen zu kühlen, also eine herkömmliche Klimaanlage zu ersetzen.

    Die Voraussetzungen dafür sind in München besonders gut. Hier gibt es sehr viel Grundwasser und es befindet sich nahe an der Erdoberfläche. Außerdem müssen keine aufwändigen Brunnen gebohrt werden, weil das Wasser aus U-Bahn-Dükern entnommen werden kann. Düker sind Bauwerke, in denen Grundwasserströme unter Hindernissen, in München sind dies die U-Bahn-Tunnel, durchgeleitet werden. An diesen Dükern kann das Grundwasser ohne hohe Kosten entnommen werden. Thomas Kühlmann, zuständig für die Projektsteuerung bei den Stadtwerken, erklärt das Prinzip:

    Insgesamt werden wir aus acht bzw. neun Düker-Anlagen 240 Liter pro Sekunde entnehmen. Die Düker werden angezapft, d.h. in diese bestehenden Anlagen werden Pumpen eingebaut. Das Wasser, das dort fließt, wird entnommen, wird zu BMW hintransportiert über eine 4,6 Kilometer lange Leitung, wird dort über Wärmetauscher Kälte gewonnen und das erwärmte Wasser zurücktransportiert und an Ort und Stelle wieder versickert.

    Wenn das Wasser bei BMW ankommt, beträgt dessen Temperatur rund zwölf Grad. Im Wärmetauscher gibt es die Kälte an einen separaten Wasserkreislauf ab und fließt - nun fünf Grad wärmer - wieder zu den Dükern zurück. Wirtschaftlich macht die Fernleitung deshalb Sinn, weil BMW das ganze Jahr über, 24 Stunden am Tag, das Wasser benötigt. Die Autobauer wollen damit ihre IT-Infrastruktur klimatisieren. Mit dieser Lösung verspricht sich BMW gleich mehrere Vorteile, erklärt Hubert Lehnert aus der Umweltabteilung des Konzerns:

    Vorteile für BMW sind, ein Rückgriff auf erneuerbare Energien und nicht der Einsatz von nicht erneuerbaren Energien wie Strom. Ein weiterer Vorteil ist eine gewisse Unabhängigkeit vom Strompreis und der dritte Vorteil ist, dass wir Ressourcen schonen wollen.

    Ob die Kälteherstellung mit Hilfe von Grundwasser wirtschaftlicher sein kann als die herkömmliche mit Kältekompressoren, darüber wird der Strompreis in den kommenden Jahren entscheiden. Denn je nachdem wie sich dieser entwickelt, werden sich die Investitionen in zehn oder eben erst in 20 Jahren rechnen, weiß Hubert Lehnert. Rund 6,5 Millionen Euro kostet das Projekt, wovon das Bundesumweltministerium 345.000 Euro übernimmt. Aus ökologischer Sicht rechnet sich die Anlage bedeutend schneller, sagt Bettina Hess:

    Bemerkenswert ist, dass hier über 4.500 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden können und sieben Millionen Kilowatt Stunden Strom. Sieben Millionen Kilowattstunden entspricht in etwa dem Stromverbrauch von 3.000 Münchner Haushalten.

    Deshalb wollen die Stadtwerke München diese Technologie auch an anderer Stelle einsetzen. Diesem Ansinnen sind jedoch auch in der bayerischen Metropole viele Grenzen gesetzt, für Städte mit geringen oder sehr tief gelegenen Grundwasserquellen eignet sich die Technologie gar nicht. Deshalb schränkt Bettina Hess das Einsatzgebiet dieser Kältetechnik ein:

    Wir haben hier das Glück, dass der Grundwasserstrom extrem mächtig ist und das Wasser, das wir hier entnehmen, keinerlei Erwärmung hervorruft, die in irgendeiner Weise umweltgefährlich wäre oder Fauna oder Flora beeinflussen würde. Das aber wird nicht in jeder anderen Situation so machbar sein und darum wird es eine beschränkte Umwelttechnologie bleiben.

    Dort allerdings, wo Kältebedarf und Grundwasserangebot übereinstimmen und die Entfernung zwischen Kunden und Kältequelle nur gering ist, stellt diese Technologie in jedem Fall eine ökologisch und ökonomisch lohnenswerte Alternative zu strombetriebenen Klimaanlagen dar.