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Gruppe im Widerstand

Unter dem Namen "Rote Kapelle", wie sie von der Gestapo bezeichnet wurde, bildete sich in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine der größten deutschen Widerstandsgruppen. Ihre Mitglieder halfen Verfolgten, verteilten Flugblätter und nahmen Kontakt zu Diplomaten auf. Im Sommer 1942 deckte die Gestapo die Organisation auf. Am 22. Dezember wurden elf Mitglieder in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Von Otto Langels | 22.12.2007
    "Geliebte Eltern. Es ist nun soweit. In wenigen Stunden werde ich aus diesem Ich aussteigen. Ich bin vollkommen ruhig, und ich bitte Euch, es auch gefasst aufzunehmen. Es geht heute auf der ganzen Welt um so wichtige Dinge, da ist ein Leben, das erlischt, nicht sehr viel. Mag sein, dass wir nur ein paar Narren waren, aber so kurz vor Toresschluss hat man wohl das Recht auf ein bißchen ganz persönliche historische Illusion."

    Am 22. Dezember 1942 schrieb Harro Schulze-Boysen in der Todeszelle im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee seinen Abschiedsbrief. Der Journalist hatte sich bereits vor 1933 kritisch über den Nationalsozialismus geäußert. Wenige Jahre später bildete sich um ihn und seine Ehefrau Libertas ein Freundeskreis von Regimegegnern.

    Auch der Ökonom Arvid Harnack und seine Frau Mildred, eine gebürtige Amerikanerin, lehnten das NS-Regime ab und sammelten ebenfalls Gleichgesinnte um sich. Beide Gruppen trafen sich zunächst unabhängig voneinander, bis sie Ende der 30er Jahre Verbindung aufnahmen und ihre Aktionen teilweise gemeinsam, teilweise in kleinen, informellen Zirkeln durchführten. Inge Roloff, die Witwe des Widerstandskämpfers Helmut Roloff:

    "Es waren auch Kommunisten dabei, natürlich, es waren eben alle dabei. Und er persönlich war ja sein ganzes Leben lang ein Konservativer."

    Die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe zählte insgesamt 150 Personen und war damit eine der größten Widerstandsorganisationen im Dritten Reich. Bekannt wurde sie unter dem Namen "Rote Kapelle" - eine Bezeichnung, unter der die Gestapo ein Spionagenetz des sowjetischen Nachrichtendienstes in Westeuropa und die Berliner Gruppe zusammenfasste.

    An den Aktionen beteiligten sich unter anderen der Bildhauer Kurt Schumacher, der Schriftsteller Günter Weisenborn, der ehemalige preußische Kultusminister Adolf Grimme, der Kommunist Walter Küchenmeister, der junge Arbeiter Hans Coppi sowie die Tänzerin Oda Schottmüller, die Grafikerin Elisabeth Schumacher und die Übersetzerin Greta Kuckhoff. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand:

    "Dieser Gruppe der 'Roten Kapelle' gehörten auch sehr viele Frauen an. Man könnte sagen, es ist die Gruppe im deutschen Widerstand, in der Männer und Frauen am meisten gemeinsam miteinander gekämpft haben."

    Als Nachrichtenoffizier im Reichsluftfahrtministerium war Harro Schulze-Boysen in die Angriffsvorbereitungen der Wehrmacht eingeweiht. Um das Ausland über die deutschen Kriegspläne zu informieren, knüpfte die Gruppe Kontakte zu amerikanischen und sowjetischen Botschaftsvertretern. Und sie versuchte, die eigene Bevölkerung aufzuklären.

    "Wir wissen heute, dass die 'Rote Kapelle' Widerstandstätigkeiten in Berlin gemacht hat. Dazu gehörten die Unterstützung für Verfolgte, dazu gehörte das Verfassen von Flugschriften, dazu gehörten aber auch einige Flugblätter, die verschickt wurden."

    "Lasst Euch nicht länger einschüchtern. Straft die SS mit Verachtung! Lasst es sie fühlen, dass das Volk Mörder und Spitzel aus tiefster Seele verabscheut. Jede Hilfeleistung an das herrschende Regime verlängert den Krieg und führt uns alle noch tiefer ins Elend."

    Flugschriften wie diese verteilte die "Rote Kapelle" verstärkt seit dem Winter 1941. Sie intensivierte ihre Hilfen für Verfolgte und Zwangsarbeiter. Im Mai 1942 klebte die Gruppe über Nacht in Berlin Hunderte von Zetteln, um gegen die nationalsozialistische Hetzausstellung "Das Sowjetparadies" zu protestieren:

    "Krieg – Hunger – Lüge – Gestapo – Wie lange noch?"

    Einige Mitglieder der Gruppe versuchten, einen Funkkontakt nach Moskau herzustellen, doch die Verbindung scheiterte an technischen Problemen. Daraus entstand nach 1945 die sich jahrzehntelang hartnäckig haltende Legende, die "Rote Kapelle" sei eine reine Spionageorganisation gewesen.

    "Wir wissen heute aus Funksprüchen, die in sowjetischen Archiven lagern, dass die 'Rote Kapelle' einen einzigen Funkspruch nach Moskau gesandt hat. Das ist kurz vor dem deutschen Überfall im Juni 1941 gewesen. Dieser Funkspruch lautet - konspirativ, wie er war - '1000 Grüße allen Freunden', und war nichts anderes als ein Übungsfunkspruch."

    Im Sommer 1942 gelang es der Gestapo, die "Rote Kapelle" zu enttarnen und 130 Mitglieder festzunehmen. Mehr als 60, darunter 19 Frauen, verurteilten der Volksgerichtshof und das Reichskriegsgericht zum Tode. Die ersten acht Männer und drei Frauen, darunter Arvid Harnack, Harro und Libertas Schulze-Boysen, Hans Coppi, Elisabeth und Kurt Schumacher wurden am Abend des 22. Dezember in Berlin-Plötzensee hingerichtet.