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Guantanamo
"Die perfekte Maschine, um Hass zu schüren"

Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass der neue US-Präsident Donald Trump das Gefangenenlager Guantanamo nicht schließen wird und die Wiedereinführung umstrittener Foltermethoden gutheißen könnte. In Paris trafen sich Vertreter der Bush-Regierung, ehemalige Guantanamo-Häftlinge und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen zu einem Gedankenaustausch.

Von Burkhard Birke | 27.01.2017
    Ein Wachturm vor dem Stacheldraht des US-Strafgefangenenlagers Guantanamo
    Obama wollte zwar Guantanamo schließen: Scheiterte aber unter anderem an der Weigerung des Kongresses, die Gefangenen auf amerikanischen Boden zu verlegen. (dpa / picture alliance / John Riley)
    "Seit ich aus Guantanamo entlassen wurde, bekomme ich immer wieder diese Albträume und sehe mich dort. Das hängt auch von den Nachrichten ab, die kommen. Und jetzt geht das wieder los: Denn Trump hat doch die Folter zur offiziellen Methode erklärt. Das ist beängstigend."
    Zweieinhalb Jahre saß Nizar Sassi in einer Zelle von gerade einmal zwei Quadratmetern auf Guantanamo. Sein Vergehen: Er wollte der Banlieue Lyons entkommen. Gemeinsam mit seinem Kumpel Mourad suchte der damals 21-Jährige das Abenteuer. Auf Anraten eines Freundes fuhren sie nach Afghanistan, wo sie im Al Kaida-Trainingscamp landeten. Wir waren einfach naiv, sagt Nizar. Nach zwei Monaten wollten die beiden Franzosen zurück. Der 11. September machte einen Strich durch ihre Pläne. Statt in Frankreich landeten sie in Guantanamo.
    "Die Amerikaner haben besondere Verhörmethoden angewandt", erinnert sich Mourad Benchellali.
    "Sie ließen uns nicht schlafen, verlegten uns alle halbe Stunde in eine andere Zelle, legten uns Handschellen in schmerzhaften Körperhaltungen an, drehten die Klimaanlage voll auf, übergossen uns mit kaltem Wasser, beschallten uns mit Musik, dann diese Lichtstrahler."
    "Auch der Verteidigungsminister darf nichts Illegales anordnen"
    Meist verliefen die Verhöre schlecht, sagt Mourad und verschweigt noch ärgere Demütigungen. Systematische Folter war das, auch wenn den beiden Franzosen das Waterboarding, der simulierte Tod durch Ertrinken, erspart blieb. Diese erweiterten Verhörmethoden, so der beschönigende Ausdruck, waren bis 2005 nicht nur für Guantanamo von höchster Stelle abgesegnet.
    "Als wir von diesen Verhörpraktiken erfuhren, war klar, dass sie gegen die Verfassung verstießen, wo Folter und Grausamkeit verboten sind. Und auch der Verteidigungsminister darf nichts Illegales anordnen."
    Mark Fallon war damals leitender Ermittler der Navy: Er und seine Leute mussten die Beweise gegen die mutmaßlichen Terroristen beschaffen. Überrascht wurden sie von den Verhörmethoden, die damals vor allem von Guantanamo-Kommandant Geoffrey Miller, einem Artilleriegeneral, systematisch angewandt wurden. Gegen Miller läuft jetzt in Frankreich ein Verfahren. Der Vorladung zur Anhörung ist der mittlerweile pensionierte Miller natürlich nicht nachgekommen. Jetzt könnte ihm ein Haftbefehl drohen, wenn er französischen Boden betritt.
    "Das sollte im Grunde eine Warnung sein für die Trump-Administration, aber auch für jeden, der beteiligt ist, das umzusetzen, dass sie dann womöglich nicht mehr nach Europa oder anderswo reisen können."
    Hofft der Jurist Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights. Schüller und seine Kollegen wollen nicht locker lassen: Auch mehr als 15 Jahre nach Eröffnung Guantanamos hoffen sie mithilfe ehemaliger Insassen Fälle gegen die damals politisch Verantwortlichen, allen voran Präsident Bush, Vize Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld und CIA Boss Tenet vor europäischen Gerichten konstruieren zu können.
    Klar ist: Die Folter brachte nicht die gewünschten Beweise, weder gegen Mourad und Nizar, noch bei anderen Terrorverdächtigen.
    Bis heute nur vier rechtskräftige Urteile
    Nicht einmal sechs Urteile wurden von den unter Obama reformierten Militärtribunalen gefällt: Erst vier sind rechtskräftig. Nur gegen zehn der 41 noch in Guantanamo verbliebenen Häftlinge laufen Verfahren. Der Fall gegen Khalid Scheich Mohammed und vier weitere mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 wurde gerade erneut vertagt.
    Gerüchte über Wiedereinführung der 'dark sites'
    Obama wollte zwar Guantanamo schließen, scheiterte aber unter anderem an der Weigerung des Kongresses, die Gefangenen auf amerikanischen Boden zu verlegen. Damit sind die Weichen für Donald Trump gestellt. Es gibt schon Gerüchte über ein Dekret zur Wiedereinführung der 'dark sites', der Geheimgefängnisse.
    "Trumps Äußerungen über Folter, Waterboarding, etc. und über Guantanamo haben mich sehr entmutigt, ich hoffe, dass das nur ein Köder für seine Wähler war."
    Lawrence Wilkerson, langjähriger Stabschef von Außenminister Colin Powell, will optimistisch bleiben. Anders der frühere Chefjurist der Navy Alberto Mora:
    "Ich glaube, solange Trump US-Präsident ist, wird er versuchen, die Folter wieder einzuführen. Die legalen Hürden sind höher, es wird Widerstand geben, aber die Mehrheit der Amerikaner ist für Folter, viele seiner Regierungsmitglieder und viele Republikaner sind dafür. Der Oberste Gerichtshof wird konservativer werden. Sollte es dann einen Terrorangriff geben, sind die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Folter durch die USA gegeben."
    Sollten die bösen Geister Guantanamos wirklich erwachen?
    "Guantanamo ist die perfekte Maschine, um tödlichen Hass gegen die Amerikaner und den Westen zu säen", sagt Nizar Sassi einer von 680, die dort einsaßen und gefoltert wurden, einer, der es wissen muss. Nizar hegt selbst keinen Hass, versucht, sein Trauma zu überkommen. Sein Kumpel Mourad erzählt Jugendlichen und Häftlingen seine Geschichte, damit sie nicht wie er aus Versehen oder bewusst die falsche Abzweigung auf ihrem Lebensweg nehmen.