Wolfgang Labuhn: Herr Minister, die meisten außenpolitischen Schlagzeilen in dieser Woche lieferte nicht der Außenminister, sondern der Bundesfinanzminister mit einer wiederholten Philippika gegen sogenannte Steueroasen wie Luxemburg, Lichtenstein, die Schweiz und erstaunlicherweise auch Burkina Faso.
Nun gibt es außenpolitischen Flurschaden, den Sie bereinigen dürfen. Wie oft haben Sie denn in letzter Zeit mit Ihren Amtskollegen in den genannten Ländern telefoniert?
Frank-Walter Steinmeier: Der eine oder andere von ihnen hat angerufen, aber zunächst mal: Peer Steinbrück hat ja recht in der Sache. Er sagt ja zu recht: Wir müssen Steuerprivilegien beseitigen, und das gilt erst recht innerhalb der Europäischen Union, aber natürlich auch in so wichtigen Nachbarländern wie in der Schweiz.
Nun wissen wir: Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich, und ich habe öffentlich gesagt: Ich kenne Westafrika, ich kenne Ouagadougou, war schon da, deshalb wäre mir der Vergleich mit europäischen Ländern nicht eingefallen.
Aber hin oder her: Es bleibt dabei, wir müssen daran arbeiten - wie in London beim Weltfinanzgipfel ja gut begonnen -, solche Steuerprivilegien, Steueroasen zu beseitigen, denn es geht in der Tat auch um die Handlungsfähigkeit unseres Staates.
Wir brauchen Steuereinnahmen, gerade jetzt in der Zeit der Krise, um das zu tun, was notwendig ist - nämlich Arbeitsplätze hier erhalten bei uns und die Ausgaben für Bildung noch erhöhen in der nächsten Zeit. Das ist Sicherung von Zukunft der Menschen in unserem Land, und darum geht es im Kern.
Labuhn: Zugleich wirft ein anderes Ereignis gewissermaßen seine Schatten voraus: Im Juni wird sich US-Präsident Barack Obama dem Vernehmen nach erneut in Deutschland aufhalten, aber er wird nicht nach Berlin kommen, wie zu hören ist, sondern möglicherweise Dresden und das frühere Konzentrationslager Buchenwald besuchen, zu dessen Befreiern 1945 offenbar auch ein Großonkel Obamas zählte.
Und nun war zu hören vom stellvertretenden Regierungssprecher, selbstverständlich werde Bundeskanzlerin Merkel Obama in Deutschland begleiten, wohin er auch reise. Werden auch Sie Obama treffen?
Steinmeier: Wir haben jetzt noch kein Programm abgestimmt mit der amerikanischen Seite, mit dem Weißen Haus. Aber ich sage erst einmal vorneweg: Ich freu mich darüber, dass Präsident Obama zum zweiten Mal in Europa sein wird und dass er den Besuch in Europa auch zum Anlass nehmen wird, Deutschland zu besuchen. Ich freue mich natürlich, dass er in Dresden sein wird, ein Besuch in Buchenwald wird dazugehören.
Ich denke, es wird für viele von uns Gelegenheit geben, ihn zu sehen, ihn zu sprechen. Das - nehme ich auch an - wird für mich möglich sein.
Labuhn: Im vergangenen Jahr - wir erinnern uns - war die Kanzlerin gegen eine Rede des seinerzeitigen Präsidentschaftskandidaten Obama vor dem Brandenburger Tor in Berlin - mit dem Argument, das sei US-Wahlkampf auf deutschem Boden.
Nun macht sie - oder will offenbar anscheinend selbst Wahlkampf mit dem Demokraten Obama machen, nachdem sie vorher ja ein herzliches Verhältnis zum republikanischen Amtsvorgänger George W. Bush gepflegt hatte. Ärgert das den SPD-Kanzlerkandidaten nicht?
Steinmeier: Ach, was soll ich mich darüber ärgern. Natürlich sind wir alle erwachsen genug. Wir wissen, dass Bilder wie diese helfen in einem Wahljahr. Aber wir sollten das doch richtig diskutieren miteinander, und richtig ist, dass der amerikanische Präsident den Wunsch geäußert hat, Deutschland zu besuchen. Und ich habe gar keinen Anlass, das zu kritisieren. Ganz im Gegenteil, gerade, weil ich ihn kenne - im letzten Jahr vor seiner Wahl kennengelernt habe, weil ich viele seiner Ziele teile, mich darauf freue, dass Bewegung kommt in manche festgefahrene außenpolitische Konflikte der Vergangenheit - der Nahe Osten gehört dazu, Iran gehört dazu, eine neue Politik gegenüber Afghanistan und Pakistan - gerade deshalb freue ich mich, dass wir die Gespräche darüber fortsetzen können - nicht nur bei den Besuchen in den USA, sondern auch hier.
Labuhn: Wie kann sich da Deutschland einbringen, wie kann sich Europa einbringen?
Steinmeier: Ich bin wirklich herzlich froh als Außenminister dieses Landes, dass wir in vielen Fragen, um die wir uns in der Vergangenheit gekümmert haben - das Verhältnis der Europäischen Union zu Osteuropa, das Verhältnis auch unseres Landes zu Russland, Beruhigung im Nahen Osten -, dass das Themen sind, denen sich der amerikanische Präsident von vornherein, vom ersten Tag und mit vollem Engagement und - ich darf auch sagen - Risiko annimmt.
Wir dürfen nicht vergessen: Eine neue Politik gegenüber dem Iran findet nicht mit allergrößter Unterstützung in der amerikanischen Öffentlichkeit statt. Viele sind skeptisch. Ich glaube gleichwohl: Er hat recht, wir brauchen einen neuen Ansatz. Und das Risiko, was er geht, ist völlig gerechtfertigt. Wir brauchen eine Lösung.
Die kann aber nur gefunden werden, wenn sich Amerika bereit findet, in Direktgespräche mit den Iranern einzutreten. Nur so wird eine Lösung im Konflikt um das Atomprogramm dort möglich sein. Das Risiko ist gerechtfertigt, und wir brauchen einen amerikanischen Präsidenten, der dieses Risiko geht. Dabei hat er unsere Unterstützung. Und natürlich sind wir auch im Gespräch mit der amerikanischen Seite darüber, was wir an Erfahrungen in diesen letzten vier Jahren insbesondere mit dem Iran gesammelt haben. Natürlich tauschen wir uns aus, wer die wichtigen Personen sind. Und ich freue mich darüber, dass auch Vertrauen besteht in unsere Expertise, die wir haben.
Labuhn: Es scheint auch in die Friedensbemühungen für den Nahen Osten wieder Bewegung zu kommen. Zugleich gibt es in Israel eine neue Regierung mit Benyamin Netanyahu, und auch einen neuen Außenminister, Avigdor Liebermann. Den haben Sie am vergangenen Donnerstag getroffen, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in Berlin.
Ist mit einem Kollegen wie Liebermann, der als eingefleischter Nationalist gilt, als eigentlich kompromissloser Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt, überhaupt ein Gespräch möglich?
Steinmeier: Die neue amerikanische Regierung sagt vom ersten Tage an: Dieser Nahost-Konflikt gehört zu den Themen, um die wir uns außenpolitisch vorrangig zu kümmern haben. Wir haben jetzt erlebt, dass Präsident Obama nacheinander viele arabische Staatspräsidenten eingeladen hat, die Nachbarn Israels.
Demnächst wird der neue israelische Ministerpräsident Netanyahu in Washington sein. Das alles deutet darauf hin, dass wir, denke ich, in Bälde mit neuen Initiativen der amerikanischen Seite zu rechnen haben für Befriedung im Nahen Osten.
Es gibt keine Alternative, und das habe ich dem neuen israelischen Amtskollegen, Außenminister Liebermann, noch einmal gesagt. Es gibt keine Alternative als Fortsetzung der Friedensgespräche, und Ziel kann nur sein die Zwei-Staaten-Lösung - zwei selbständige Staaten, Israel und Palästina, die im dauerhaften Frieden und Nachbarschaft miteinander leben. Dazu müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Auch darüber muss offen gesprochen werden - etwa die Fortsetzung des Siedlungsbaus. Es wird keinen Frieden geben, es wird keine Zwei-Staaten-Lösung geben, wenn diese Frage ungeklärt oder offen bleibt.
Insofern wird auch Präsident Obama Wert darauf legen, dass hier klare Antworten von Israel kommen. Und die palästinensische Seite muss dafür sorgen, dass nicht nur ein innerpalästinensischer Versöhnungsprozess stattfindet, dass eine Regierung wieder zustandekommt, sondern natürlich nach Kräften dafür sorgen, dass sie die Sicherheitslage in den Griff bekommt und dass von palästinensischer Seite aus keine neuen Raketenangriffe, etwa vom Süden vom Gazastreifen aus, in Richtung Israel stattfinden. Ohne diese Bedingungen wird es weiterhin schwer sein im Nahen Osten, aber ich bin froh, dass es einen Neuanfang für Gespräche geben wird.
Labuhn: Präsident Obama hat in seiner Prager Rede die Vision einer Welt ohne Atomwaffen entwickelt und auch der russischen Seite bereits sehr konkrete Gespräche dazu angeboten. Ihr - sage ich einmal - möglicher Amtsnachfolger Guido Westerwelle, derzeit noch FDP-Partei- und Fraktionschef, wirft Ihnen vor, in diesen spannenden Zeiten kein Abrüstungskonzept zu haben, um sich an diesem Dialog konstruktiv beteiligen zu können. Was sagen Sie denn zu dieser Kritik?
Steinmeier: Das kann er entweder nicht ernst meinen, oder er hat die Außenpolitik in den letzten Jahren doch nicht so genau verfolgt, wie er jetzt behauptet. Aber im Ernst: Sie erinnern sich, ich habe im vergangenen Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz bereits über Abrüstung gesprochen. Ich habe das Thema nukleare Abrüstung in diesem Jahr auf der Sicherheitskonferenz ganz in den Vordergrund gestellt. Insofern denke ich, können wir für unsere Seite, für die deutsche Seite, selbstbewusst sagen, dass Initiativen und Vorschläge von unserer Seite auf dem Tisch liegen.
Aber Deutschland ist selbst kein Atomwaffenstaat. Wir können Vorschläge machen, aber wir sind darauf angewiesen, dass andere diesen Vorschlägen folgen. Da herrschte jahrelang, um nicht zu sagen jahrzehntelang, Stillstand. Im Gegenteil, wir haben sogar eine Ausweitung der atomaren Bewaffnung in den letzten Jahren erlebt. Mit dem neuen amerikanischen Präsident ist neuer Wind in die Debatte gekommen. Und das sorgt ja ganz offensichtlich dafür, dass auch die russische Seite nicht sprachlos bleiben will. Und das erste Gespräch, das es zwischen Präsident Obama und Präsident Medwedew gegeben hat, zeigt ja, dass beide Seiten gewillt sind, wechselseitige Abrüstungsschritte vorzunehmen, den START-Vertrag neu zu verhandeln, ihn bis zum Jahresende neu zu verhandeln. Das ist der richtige Beginn, aber es kann eben nur ein Beginn sein.
Wir brauchen darüber auch eine Neuverhandlung, eine Modernisierung des Atomwaffensperrvertrages, die sicherstellt, dass sich atomare Technologien nicht weit über die Welt ausbreiten. Hier müssen wir Sicherungssysteme einbauen, die es bisher in diesem Vertragswerk noch nicht gibt. Das ist eine Arbeit, der wir uns ab 2010 widmen. Ich habe ein ähnliches Bemühen im Jahre 2005 hinter mir. Das ist schief gegangen, weil es an entsprechender Kooperationsbereitschaft fehlte. Ich sehe deshalb dem erneuten Bemühen 2010 mit größerer Zuversicht entgegen.
Labuhn: Sie sagen, Herr Minister, Deutschland ist ein Staat ohne Atomwaffen. Aber wir sind auch ein Staat, auf dessen Boden noch Atomwaffen lagern, amerikanische. Und die SPD verhält sich in dieser Frage des Abzugs der letzten noch in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen widersprüchlich. Im Wahlprogramm wird der Abzug gefordert, im Bundestag neulich wurden entsprechende Anträge der Opposition niedergestimmt. Das war nicht sehr glaubwürdig.
Steinmeier: Nein, wir verhalten uns überhaupt gar nicht widersprüchlich. Die hier gelagerten Atomwaffen sind Teil eines internationalen Paketes, das verhandelt werden muss. Insofern, wenn wir am Jahresende erfolgreich sagen können, Russland und die USA sind beide bereit, ihre atomaren Arsenale zu reduzieren, dann gehören in die nächsten Verhandlungsschritte auch die Atomwaffen hinein, die hier gelagert werden. Es muss mittelfristig zu einem Abzug auch dieser Waffen von deutschem Boden kommen. Das wissen die Amerikaner auch.
Labuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD. Herr Minister, im deutsch-amerikanischen Verhältnis gibt es nun den ersten Lackmustest seit dem Amtsantritt Präsident Obamas, nämlich den Wunsch der USA nach Aufnahme früherer Guantanamo-Häftlinge auch durch Deutschland.
Sie hatten ja schon zu Beginn des Jahres dazu geraten, die USA in dieser Frage nicht im Stich zu lassen, müssen jetzt aber erleben, dass sich die Begeisterung der zuständigen Innenminister in engen Grenzen hält, etwa die aus China stammenden muslimischen Uiguren, um die es da offenbar geht, bei uns aufzunehmen. Droht Deutschland eine Blamage?
Steinmeier: Das glaube ich nicht, und ich hoffe es nicht. Und die Debatte habe ich ja zu Beginn des Jahres nicht ohne Not losgetreten. Wir gehören zu denjenigen, die Guantanamo hart kritisiert haben. Ich selbst hatte viele Gespräche mit meiner früheren Außenministerkollegin, Frau Rice, darüber. Wir hatten den Konflikt deshalb, weil ich immer gesagt habe, Guantanamo ist ein Glaubwürdigkeitsverlust nicht nur der USA, sondern des gesamten Westens, vor allen Dingen in der arabischen Welt. Das macht vieles in der Außenpolitik noch schwieriger, als es ohnehin ist.
Deshalb war Ziel, nicht nur unser deutsches Ziel, sondern das haben viele in Europa geteilt, dass Guantanamo so schnell wie möglich geschlossen wird und dass die Häftlinge, denen weiterhin Vorwürfe gemacht werden, einem ordentlichen Gerichtsverfahren zugeführt werden. Wenn Präsident Obama nicht nur sagt, sondern jetzt seiner Ansage Taten folgen lässt, Guantanamo zu schließen, dann kann die Schließung nicht daran scheitern, dass ein paar verbleibende Häftlinge weder in ihr Heimatland zurückgeführt werden können, noch in den USA übernommen werden können und deshalb Guantanamo aufrechterhalten bleibt.
Hier müssen, wenn es um Glaubwürdigkeitsfragen geht, Glaubwürdigkeitsfragen des Westens insgesamt, muss Europa auch mit Unterstützung zur Seite stehen. Das kann auch bedeuten, dass wir einige der Häftlinge dort übernehmen müssen, natürlich nur nach sorgfältiger Prüfung. Natürlich müssen wir wissen, welche Vorwürfe den Häftlingen dort gemacht werden, ob Gefährdungen von Ihnen weiterhin ausgehen. Und ich hoffe, dass dafür eine offene Gesprächsatmosphäre auch mit den Innenministern der deutschen Länder bestehen wird.
Auf Begeisterung hat keiner gesetzt, ich auch nicht. Das ist eine schwierige Debatte, der wir uns aber nicht entziehen können, insbesondere dann nicht, wenn es Kooperationsbereitschaft auch anderer europäischer Staaten mit den USA gibt.
Labuhn: Es soll um Uiguren gehen, aus China stammend, Muslime. Droht ein neuer Streit mit China, wenn sie bei uns Aufnahme finden?
Steinmeier: Ich kann Ihnen noch nicht sagen, welche Häftlinge den europäischen Staaten angeboten werden zur Übernahme, ob es die Häftlinge sein werden, die jetzt auf einer Liste erschienen sind, die offensichtlich nicht nur uns, sondern auch in anderen europäischen Staaten gezeigt wurden. Ob es sich nur um Uiguren handelt, ob die USA beabsichtigen, sie nur Deutschland anzubieten oder auch anderen Europäern - das muss jetzt mit den USA sorgfältig besprochen werden. Insofern sind da verfrühte Diskussionen, etwa auch über Eintrübungen des deutsch-chinesischen Verhältnisses, ohne Anlass.
Labuhn: Das Verhältnis zu Russland ist zurzeit belastet durch NATO Militärmanöver ausgerechnet in Georgien. Da gibt es gravierende innenpolitische Spannungen. Zugleich betrachtet Russland Georgien als Teil seiner Einflusssphäre im Kaukasus. War es wirklich sehr klug, sehr geschickt von der NATO, ausgerechnet dort Militärmanöver abzuhalten?
Steinmeier: Ja, die Frage hat ihren Anlass, wenn man es von heute betrachtet. Aber natürlich sind solche NATO-Manöver keine Ereignisse, die man mit einer Woche Abstand plant, sondern das Ganze ist - mutmaße ich - wahrscheinlich über drei, vier oder gar mehr Monate vorbereitet gewesen. In der gegenwärtigen Phase der innenpolitischen Erhitzung in Georgien hätte man sicherlich genau überlegen müssen, ob das der richtige Zeitpunkt ist, das Manöver dort stattfinden zu lassen. Es trägt sicherlich nicht zur Beruhigung bei.
Da nach der Vorplanung das Manöver jetzt im Gange ist, können wir nur dazu auffordern, dass es nicht zum Anlass genommen wird zu übersteigerten Reaktionen, sondern dass wir baldmöglichst zwischen Europa und Russland, vor allen Dingen aber auch zwischen NATO und Russland zu einem ordentlichen Arbeitsverhältnis zurückkehren.
Sie wissen, dass ich zu denjenigen gehöre, die immer gesagt haben, gerade der NATO-Russland-Rat ist ein Gremium, dass wir nie zu Schönwetterzeiten eingerichtet haben, sondern das muss ein Gremium sein, wo auch Meinungsverschiedenheiten, vielleicht sogar Konflikte miteinander besprochen werden. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir dort sehr bald zu einer geregelten Zusammenarbeit mit Russland zurück finden.
Labuhn: Moskau zeigt sich auch verschnupft über die in dieser Woche begründete neue Partnerschaft zwischen der EU und sechs früheren Sowjet-Republiken, darunter drei im Kaukasus. Kann man es der russischen Führung eigentlich verübeln, dass man sich dort langsam umzingelt fühlt?
Steinmeier: Das ist nicht beabsichtigt durch die Partnerschaft der Europäischen Union mit den osteuropäischen Anrainern, das ist in Moskau auch verschiedentlich erklärt worden, ich selbst habe mindestens zwei Gespräche mit dem russischen Außenminister darüber gehabt.
Worum es geht ist doch ganz was anderes. Wir wissen, dass das eine Region ist zwischen den Ostgrenzen der Europäischen Union und den Westgrenzen Russlands, die von Unruhe und jetzt gerade in Zeiten der Krise auch von großen, großen wirtschaftlichen Instabilitäten gezeichnet ist. Deshalb muss es europäisches und es sollte eigentlich auch russisches Interesse sein, dass wir diesem Raum insgesamt helfen, auch wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. So ist das Programm ja auch ausgerichtet.
Wir wollen sozusagen helfen bei der Entwicklung von Infrastruktur, wir wollen helfen bei der Kriminalitätsbekämpfung, wir wollen helfen bei den Transportwegen. Und das sind Ziele, die nicht gegen Russland gerichtet sind, und ich hoffe, das wird sich im Laufe der Zeit auch herausstellen.
Labuhn: Auf dem Prager Gipfeltreffen der EU, auf dem diese östliche Partnerschaft der EU begründet wurde, fehlten wichtige Regierungschefs großer europäischer Länder wie Nicolas Sarkozy, wie Gordon Brown, aber nicht die Kanzlerin. Und das unterstrich einmal mehr ihr reges Interesse an der Außenpolitik.
Man gewinnt zuweilen den Eindruck, als ob da zwischen Ihnen, dem Außenminister und der Kanzlerin, so etwas wie ein Hase-und-Igel-Wettlauf stattfindet nach dem Motto "Ich bin schon hier". Wir denken da an Afghanistan. Da tauchte die Kanzlerin zu Ostern überraschend - offenbar auch für das Auswärtige Amt überraschend - in Kabul auf. Sie reisten ungefähr 14 Tage später nach Afghanistan. Ist eine konstruktive deutsche Außenpolitik in diesen Wahlkampfzeiten überhaupt noch möglich?
Steinmeier: Gegenfrage: Können Sie sich an eine Phase der deutschen Nachkriegspolitik erinnern, in der ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin nicht auch Außenpolitik gemacht hätte?
Seien Sie sicher, darüber rege ich mich nicht auf. Außenpolitik bleibt im Kern Aufgabe des Außenministers, aber natürlich muss sich der Bundeskanzler/die Bundeskanzlerin auch gelegentlich außenpolitisch äußern. Was Afghanistan angeht kann ich nur sagen: Ich bin regelmäßig dort gewesen, sowohl zu politischen Gesprächen wie natürlich bei den Besuchen der deutschen Bundeswehr, der vielen zivilen Helfer. Das mache ich auch in diesem Jahr, habe ich auch in diesem Jahr getan ohne dass ich nun darauf achte, der Erste zu sein.
Labuhn: Die erste wichtige Wahl dieses Jahres hier in Deutschland findet am 23. Mai statt, nämlich die des Bundespräsidenten. Das hat mit Ihrem Ressort nichts zu tun, aber mit Ihrem Amt als stellvertretender SPD-Vorsitzender schon sehr viel mehr. Wie bewerten Sie jetzt zwei Wochen vor dieser Wahl eigentlich die Aussichten der SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan?
Steinmeier: Das Rennen ist offen, die Benennungsverfahren für die Bundesversammlung etwa in Sachsen oder in Bayern haben dazu geführt, dass die Mehrheitsverhältnisse noch etwas knapper geworden sind, die Zahl der Stimmen für die Union etwas geringer geworden sind. Also, es wird ein spannender Ausgang werden. Wir haben eine gute Kandidatin, die gute Chancen hat, in der Wahl zu gewinnen. Warten wir es ab.
Labuhn: Die zweite wichtige Wahl folgt am 7. Juni, nämlich die zum europäischen Parlament. Da werden in diesen Tagen die Auftaktveranstaltungen der großen Parteien abgehalten, um den Europawahlkampf einzuleiten. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht diese Europawahl eigentlich als politischer Stimmungstest für Deutschland?
Steinmeier: Sie ist wichtig. Sie ist natürlich auch ein Stimmungstest, aber sie ist nicht sozusagen das Signal für die Bundestagswahl, sondern die Europawahl ist wichtig wegen Europa. Es ist nicht völlig gleichgültig, welche Zusammensetzung dieses europäische Parlament hat. Jeder, der will, dass diese Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsvereinigung ist, sondern sich auch den sozialen Themen widmet, darum kümmert, dass die sozialen Standards in der Europäischen Union angehoben werden, der muss dafür sorgen, dass sozialdemokratische Parteien in diesem Europaparlament stärker werden.
Deshalb sagen wir an diesem Wochenende bei den Eröffnungsveranstaltungen zum Europawahlkampf den Menschen: Geht hin, kümmert euch um Europa, sorgt dafür, dass die SPD auch mit den notwendigen Mehrheiten aus dieser Europawahl hervorgeht
Labuhn: Die Unterscheidbarkeit der großen Parteien in Deutschland, die ja zudem gemeinsam in einer großen Koalition regieren und nun gemeinsam auch eine gewaltige Finanz- und Wirtschaftskrise irgendwie meistern müssen, ist deshalb geringer als sonst. Welche Alleinstellungsmerkmale zeichnen die SPD in dieser Phase aus?
Steinmeier: Ach, das ist - glaube ich - vornehmlich ein Schnack unter Journalisten, dass die Parteien wenig unterscheidbar geworden sind. Gerade in dieser Zeit der Krise sehen die Menschen doch, dass es Unterschiede gibt. Nehmen Sie die Auseinandersetzung um einen wichtigen deutschen Automobilhersteller, Opel.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich selbst hart kritisiert worden bin dafür, dass ich sehr frühzeitig hingegangen bin und gesagt habe, Opel muss erhalten werden, die Arbeitsplätze müssen erhalten werden, zu einem Zeitpunkt, als viele andere noch gesagt haben, schaut auf den Weltmarkt, es gibt Überkapazitäten und die müssen bereinigt werden, oder andere, die gesagt haben, man muss ein solches Unternehmen erst mal durch die Insolvenz schicken. Und ich bin mir sicher, im Verlauf dieses Jahres werden auch alle diejenigen, die auf schwarz-gelb setzen, wieder erkennbar werden mit den Themen Abbau des Kündigungsschutzes oder Mitbestimmung als Klamotte des vergangenen Jahrhunderts.
Insofern werden die Menschen schon spüren, warum es Sozialdemokratie gerade in diesen Zeiten, auch in den Zeiten der Krise braucht: Weil wir diejenigen sind, die dafür sorgen, dass wir uns vorbereiten auf die Zeit danach.
Labuhn: Es wird dann Ihre Aufgabe sein in den kommenden Wochen und Monaten, diese Botschaft als SPD-Kanzlerkandidat an den Mann, an die Frau, an das Wahlvolk zu bringen. Freuen Sie sich eigentlich auf den Wahlkampf? Sehen Sie sich auch als das, was Exkanzler Gerhard Schröder kürzlich einmal eine "Rampensau" nannte?
Steinmeier: Das sollte man ersten nicht selbst beurteilen. Zweitens ist jeder Kandidat und jeder Kanzler anders. Ich habe meinen eigenen Stil, versuche mich da auch nicht an anderen zu orientieren. Man muss selbst das Original sein. Darum bemühe ich mich. Das spüren die Menschen auch und die Akzeptanz meiner Person spricht ja ein bisschen dafür.
Labuhn: Herr Steinmeier, sollten Sie nicht der nächste Bundeskanzler werden,…
Steinmeier: Was Sie ja für unwahrscheinlich halten.
Labuhn: …würden Sie in diesem unwahrscheinlichen Fall gerne Außenminister bleiben wollen?
Steinmeier: Ich glaube, das wäre jetzt eine sehr unprofessionelle Antwort, die Sie da von mir erwarten. Ich trete an als Kanzlerkandidat. Ich will diese Wahlen gewinnen, für und mit der SPD. Das ist die Perspektive, an der ich arbeite. Alles andere entscheidet der Wähler am 27.9.
Labuhn: Herr Minister, vielen Dank.
Steinmeier: Ich danke Ihnen.
Nun gibt es außenpolitischen Flurschaden, den Sie bereinigen dürfen. Wie oft haben Sie denn in letzter Zeit mit Ihren Amtskollegen in den genannten Ländern telefoniert?
Frank-Walter Steinmeier: Der eine oder andere von ihnen hat angerufen, aber zunächst mal: Peer Steinbrück hat ja recht in der Sache. Er sagt ja zu recht: Wir müssen Steuerprivilegien beseitigen, und das gilt erst recht innerhalb der Europäischen Union, aber natürlich auch in so wichtigen Nachbarländern wie in der Schweiz.
Nun wissen wir: Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich, und ich habe öffentlich gesagt: Ich kenne Westafrika, ich kenne Ouagadougou, war schon da, deshalb wäre mir der Vergleich mit europäischen Ländern nicht eingefallen.
Aber hin oder her: Es bleibt dabei, wir müssen daran arbeiten - wie in London beim Weltfinanzgipfel ja gut begonnen -, solche Steuerprivilegien, Steueroasen zu beseitigen, denn es geht in der Tat auch um die Handlungsfähigkeit unseres Staates.
Wir brauchen Steuereinnahmen, gerade jetzt in der Zeit der Krise, um das zu tun, was notwendig ist - nämlich Arbeitsplätze hier erhalten bei uns und die Ausgaben für Bildung noch erhöhen in der nächsten Zeit. Das ist Sicherung von Zukunft der Menschen in unserem Land, und darum geht es im Kern.
Labuhn: Zugleich wirft ein anderes Ereignis gewissermaßen seine Schatten voraus: Im Juni wird sich US-Präsident Barack Obama dem Vernehmen nach erneut in Deutschland aufhalten, aber er wird nicht nach Berlin kommen, wie zu hören ist, sondern möglicherweise Dresden und das frühere Konzentrationslager Buchenwald besuchen, zu dessen Befreiern 1945 offenbar auch ein Großonkel Obamas zählte.
Und nun war zu hören vom stellvertretenden Regierungssprecher, selbstverständlich werde Bundeskanzlerin Merkel Obama in Deutschland begleiten, wohin er auch reise. Werden auch Sie Obama treffen?
Steinmeier: Wir haben jetzt noch kein Programm abgestimmt mit der amerikanischen Seite, mit dem Weißen Haus. Aber ich sage erst einmal vorneweg: Ich freu mich darüber, dass Präsident Obama zum zweiten Mal in Europa sein wird und dass er den Besuch in Europa auch zum Anlass nehmen wird, Deutschland zu besuchen. Ich freue mich natürlich, dass er in Dresden sein wird, ein Besuch in Buchenwald wird dazugehören.
Ich denke, es wird für viele von uns Gelegenheit geben, ihn zu sehen, ihn zu sprechen. Das - nehme ich auch an - wird für mich möglich sein.
Labuhn: Im vergangenen Jahr - wir erinnern uns - war die Kanzlerin gegen eine Rede des seinerzeitigen Präsidentschaftskandidaten Obama vor dem Brandenburger Tor in Berlin - mit dem Argument, das sei US-Wahlkampf auf deutschem Boden.
Nun macht sie - oder will offenbar anscheinend selbst Wahlkampf mit dem Demokraten Obama machen, nachdem sie vorher ja ein herzliches Verhältnis zum republikanischen Amtsvorgänger George W. Bush gepflegt hatte. Ärgert das den SPD-Kanzlerkandidaten nicht?
Steinmeier: Ach, was soll ich mich darüber ärgern. Natürlich sind wir alle erwachsen genug. Wir wissen, dass Bilder wie diese helfen in einem Wahljahr. Aber wir sollten das doch richtig diskutieren miteinander, und richtig ist, dass der amerikanische Präsident den Wunsch geäußert hat, Deutschland zu besuchen. Und ich habe gar keinen Anlass, das zu kritisieren. Ganz im Gegenteil, gerade, weil ich ihn kenne - im letzten Jahr vor seiner Wahl kennengelernt habe, weil ich viele seiner Ziele teile, mich darauf freue, dass Bewegung kommt in manche festgefahrene außenpolitische Konflikte der Vergangenheit - der Nahe Osten gehört dazu, Iran gehört dazu, eine neue Politik gegenüber Afghanistan und Pakistan - gerade deshalb freue ich mich, dass wir die Gespräche darüber fortsetzen können - nicht nur bei den Besuchen in den USA, sondern auch hier.
Labuhn: Wie kann sich da Deutschland einbringen, wie kann sich Europa einbringen?
Steinmeier: Ich bin wirklich herzlich froh als Außenminister dieses Landes, dass wir in vielen Fragen, um die wir uns in der Vergangenheit gekümmert haben - das Verhältnis der Europäischen Union zu Osteuropa, das Verhältnis auch unseres Landes zu Russland, Beruhigung im Nahen Osten -, dass das Themen sind, denen sich der amerikanische Präsident von vornherein, vom ersten Tag und mit vollem Engagement und - ich darf auch sagen - Risiko annimmt.
Wir dürfen nicht vergessen: Eine neue Politik gegenüber dem Iran findet nicht mit allergrößter Unterstützung in der amerikanischen Öffentlichkeit statt. Viele sind skeptisch. Ich glaube gleichwohl: Er hat recht, wir brauchen einen neuen Ansatz. Und das Risiko, was er geht, ist völlig gerechtfertigt. Wir brauchen eine Lösung.
Die kann aber nur gefunden werden, wenn sich Amerika bereit findet, in Direktgespräche mit den Iranern einzutreten. Nur so wird eine Lösung im Konflikt um das Atomprogramm dort möglich sein. Das Risiko ist gerechtfertigt, und wir brauchen einen amerikanischen Präsidenten, der dieses Risiko geht. Dabei hat er unsere Unterstützung. Und natürlich sind wir auch im Gespräch mit der amerikanischen Seite darüber, was wir an Erfahrungen in diesen letzten vier Jahren insbesondere mit dem Iran gesammelt haben. Natürlich tauschen wir uns aus, wer die wichtigen Personen sind. Und ich freue mich darüber, dass auch Vertrauen besteht in unsere Expertise, die wir haben.
Labuhn: Es scheint auch in die Friedensbemühungen für den Nahen Osten wieder Bewegung zu kommen. Zugleich gibt es in Israel eine neue Regierung mit Benyamin Netanyahu, und auch einen neuen Außenminister, Avigdor Liebermann. Den haben Sie am vergangenen Donnerstag getroffen, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in Berlin.
Ist mit einem Kollegen wie Liebermann, der als eingefleischter Nationalist gilt, als eigentlich kompromissloser Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt, überhaupt ein Gespräch möglich?
Steinmeier: Die neue amerikanische Regierung sagt vom ersten Tage an: Dieser Nahost-Konflikt gehört zu den Themen, um die wir uns außenpolitisch vorrangig zu kümmern haben. Wir haben jetzt erlebt, dass Präsident Obama nacheinander viele arabische Staatspräsidenten eingeladen hat, die Nachbarn Israels.
Demnächst wird der neue israelische Ministerpräsident Netanyahu in Washington sein. Das alles deutet darauf hin, dass wir, denke ich, in Bälde mit neuen Initiativen der amerikanischen Seite zu rechnen haben für Befriedung im Nahen Osten.
Es gibt keine Alternative, und das habe ich dem neuen israelischen Amtskollegen, Außenminister Liebermann, noch einmal gesagt. Es gibt keine Alternative als Fortsetzung der Friedensgespräche, und Ziel kann nur sein die Zwei-Staaten-Lösung - zwei selbständige Staaten, Israel und Palästina, die im dauerhaften Frieden und Nachbarschaft miteinander leben. Dazu müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Auch darüber muss offen gesprochen werden - etwa die Fortsetzung des Siedlungsbaus. Es wird keinen Frieden geben, es wird keine Zwei-Staaten-Lösung geben, wenn diese Frage ungeklärt oder offen bleibt.
Insofern wird auch Präsident Obama Wert darauf legen, dass hier klare Antworten von Israel kommen. Und die palästinensische Seite muss dafür sorgen, dass nicht nur ein innerpalästinensischer Versöhnungsprozess stattfindet, dass eine Regierung wieder zustandekommt, sondern natürlich nach Kräften dafür sorgen, dass sie die Sicherheitslage in den Griff bekommt und dass von palästinensischer Seite aus keine neuen Raketenangriffe, etwa vom Süden vom Gazastreifen aus, in Richtung Israel stattfinden. Ohne diese Bedingungen wird es weiterhin schwer sein im Nahen Osten, aber ich bin froh, dass es einen Neuanfang für Gespräche geben wird.
Labuhn: Präsident Obama hat in seiner Prager Rede die Vision einer Welt ohne Atomwaffen entwickelt und auch der russischen Seite bereits sehr konkrete Gespräche dazu angeboten. Ihr - sage ich einmal - möglicher Amtsnachfolger Guido Westerwelle, derzeit noch FDP-Partei- und Fraktionschef, wirft Ihnen vor, in diesen spannenden Zeiten kein Abrüstungskonzept zu haben, um sich an diesem Dialog konstruktiv beteiligen zu können. Was sagen Sie denn zu dieser Kritik?
Steinmeier: Das kann er entweder nicht ernst meinen, oder er hat die Außenpolitik in den letzten Jahren doch nicht so genau verfolgt, wie er jetzt behauptet. Aber im Ernst: Sie erinnern sich, ich habe im vergangenen Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz bereits über Abrüstung gesprochen. Ich habe das Thema nukleare Abrüstung in diesem Jahr auf der Sicherheitskonferenz ganz in den Vordergrund gestellt. Insofern denke ich, können wir für unsere Seite, für die deutsche Seite, selbstbewusst sagen, dass Initiativen und Vorschläge von unserer Seite auf dem Tisch liegen.
Aber Deutschland ist selbst kein Atomwaffenstaat. Wir können Vorschläge machen, aber wir sind darauf angewiesen, dass andere diesen Vorschlägen folgen. Da herrschte jahrelang, um nicht zu sagen jahrzehntelang, Stillstand. Im Gegenteil, wir haben sogar eine Ausweitung der atomaren Bewaffnung in den letzten Jahren erlebt. Mit dem neuen amerikanischen Präsident ist neuer Wind in die Debatte gekommen. Und das sorgt ja ganz offensichtlich dafür, dass auch die russische Seite nicht sprachlos bleiben will. Und das erste Gespräch, das es zwischen Präsident Obama und Präsident Medwedew gegeben hat, zeigt ja, dass beide Seiten gewillt sind, wechselseitige Abrüstungsschritte vorzunehmen, den START-Vertrag neu zu verhandeln, ihn bis zum Jahresende neu zu verhandeln. Das ist der richtige Beginn, aber es kann eben nur ein Beginn sein.
Wir brauchen darüber auch eine Neuverhandlung, eine Modernisierung des Atomwaffensperrvertrages, die sicherstellt, dass sich atomare Technologien nicht weit über die Welt ausbreiten. Hier müssen wir Sicherungssysteme einbauen, die es bisher in diesem Vertragswerk noch nicht gibt. Das ist eine Arbeit, der wir uns ab 2010 widmen. Ich habe ein ähnliches Bemühen im Jahre 2005 hinter mir. Das ist schief gegangen, weil es an entsprechender Kooperationsbereitschaft fehlte. Ich sehe deshalb dem erneuten Bemühen 2010 mit größerer Zuversicht entgegen.
Labuhn: Sie sagen, Herr Minister, Deutschland ist ein Staat ohne Atomwaffen. Aber wir sind auch ein Staat, auf dessen Boden noch Atomwaffen lagern, amerikanische. Und die SPD verhält sich in dieser Frage des Abzugs der letzten noch in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen widersprüchlich. Im Wahlprogramm wird der Abzug gefordert, im Bundestag neulich wurden entsprechende Anträge der Opposition niedergestimmt. Das war nicht sehr glaubwürdig.
Steinmeier: Nein, wir verhalten uns überhaupt gar nicht widersprüchlich. Die hier gelagerten Atomwaffen sind Teil eines internationalen Paketes, das verhandelt werden muss. Insofern, wenn wir am Jahresende erfolgreich sagen können, Russland und die USA sind beide bereit, ihre atomaren Arsenale zu reduzieren, dann gehören in die nächsten Verhandlungsschritte auch die Atomwaffen hinein, die hier gelagert werden. Es muss mittelfristig zu einem Abzug auch dieser Waffen von deutschem Boden kommen. Das wissen die Amerikaner auch.
Labuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD. Herr Minister, im deutsch-amerikanischen Verhältnis gibt es nun den ersten Lackmustest seit dem Amtsantritt Präsident Obamas, nämlich den Wunsch der USA nach Aufnahme früherer Guantanamo-Häftlinge auch durch Deutschland.
Sie hatten ja schon zu Beginn des Jahres dazu geraten, die USA in dieser Frage nicht im Stich zu lassen, müssen jetzt aber erleben, dass sich die Begeisterung der zuständigen Innenminister in engen Grenzen hält, etwa die aus China stammenden muslimischen Uiguren, um die es da offenbar geht, bei uns aufzunehmen. Droht Deutschland eine Blamage?
Steinmeier: Das glaube ich nicht, und ich hoffe es nicht. Und die Debatte habe ich ja zu Beginn des Jahres nicht ohne Not losgetreten. Wir gehören zu denjenigen, die Guantanamo hart kritisiert haben. Ich selbst hatte viele Gespräche mit meiner früheren Außenministerkollegin, Frau Rice, darüber. Wir hatten den Konflikt deshalb, weil ich immer gesagt habe, Guantanamo ist ein Glaubwürdigkeitsverlust nicht nur der USA, sondern des gesamten Westens, vor allen Dingen in der arabischen Welt. Das macht vieles in der Außenpolitik noch schwieriger, als es ohnehin ist.
Deshalb war Ziel, nicht nur unser deutsches Ziel, sondern das haben viele in Europa geteilt, dass Guantanamo so schnell wie möglich geschlossen wird und dass die Häftlinge, denen weiterhin Vorwürfe gemacht werden, einem ordentlichen Gerichtsverfahren zugeführt werden. Wenn Präsident Obama nicht nur sagt, sondern jetzt seiner Ansage Taten folgen lässt, Guantanamo zu schließen, dann kann die Schließung nicht daran scheitern, dass ein paar verbleibende Häftlinge weder in ihr Heimatland zurückgeführt werden können, noch in den USA übernommen werden können und deshalb Guantanamo aufrechterhalten bleibt.
Hier müssen, wenn es um Glaubwürdigkeitsfragen geht, Glaubwürdigkeitsfragen des Westens insgesamt, muss Europa auch mit Unterstützung zur Seite stehen. Das kann auch bedeuten, dass wir einige der Häftlinge dort übernehmen müssen, natürlich nur nach sorgfältiger Prüfung. Natürlich müssen wir wissen, welche Vorwürfe den Häftlingen dort gemacht werden, ob Gefährdungen von Ihnen weiterhin ausgehen. Und ich hoffe, dass dafür eine offene Gesprächsatmosphäre auch mit den Innenministern der deutschen Länder bestehen wird.
Auf Begeisterung hat keiner gesetzt, ich auch nicht. Das ist eine schwierige Debatte, der wir uns aber nicht entziehen können, insbesondere dann nicht, wenn es Kooperationsbereitschaft auch anderer europäischer Staaten mit den USA gibt.
Labuhn: Es soll um Uiguren gehen, aus China stammend, Muslime. Droht ein neuer Streit mit China, wenn sie bei uns Aufnahme finden?
Steinmeier: Ich kann Ihnen noch nicht sagen, welche Häftlinge den europäischen Staaten angeboten werden zur Übernahme, ob es die Häftlinge sein werden, die jetzt auf einer Liste erschienen sind, die offensichtlich nicht nur uns, sondern auch in anderen europäischen Staaten gezeigt wurden. Ob es sich nur um Uiguren handelt, ob die USA beabsichtigen, sie nur Deutschland anzubieten oder auch anderen Europäern - das muss jetzt mit den USA sorgfältig besprochen werden. Insofern sind da verfrühte Diskussionen, etwa auch über Eintrübungen des deutsch-chinesischen Verhältnisses, ohne Anlass.
Labuhn: Das Verhältnis zu Russland ist zurzeit belastet durch NATO Militärmanöver ausgerechnet in Georgien. Da gibt es gravierende innenpolitische Spannungen. Zugleich betrachtet Russland Georgien als Teil seiner Einflusssphäre im Kaukasus. War es wirklich sehr klug, sehr geschickt von der NATO, ausgerechnet dort Militärmanöver abzuhalten?
Steinmeier: Ja, die Frage hat ihren Anlass, wenn man es von heute betrachtet. Aber natürlich sind solche NATO-Manöver keine Ereignisse, die man mit einer Woche Abstand plant, sondern das Ganze ist - mutmaße ich - wahrscheinlich über drei, vier oder gar mehr Monate vorbereitet gewesen. In der gegenwärtigen Phase der innenpolitischen Erhitzung in Georgien hätte man sicherlich genau überlegen müssen, ob das der richtige Zeitpunkt ist, das Manöver dort stattfinden zu lassen. Es trägt sicherlich nicht zur Beruhigung bei.
Da nach der Vorplanung das Manöver jetzt im Gange ist, können wir nur dazu auffordern, dass es nicht zum Anlass genommen wird zu übersteigerten Reaktionen, sondern dass wir baldmöglichst zwischen Europa und Russland, vor allen Dingen aber auch zwischen NATO und Russland zu einem ordentlichen Arbeitsverhältnis zurückkehren.
Sie wissen, dass ich zu denjenigen gehöre, die immer gesagt haben, gerade der NATO-Russland-Rat ist ein Gremium, dass wir nie zu Schönwetterzeiten eingerichtet haben, sondern das muss ein Gremium sein, wo auch Meinungsverschiedenheiten, vielleicht sogar Konflikte miteinander besprochen werden. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir dort sehr bald zu einer geregelten Zusammenarbeit mit Russland zurück finden.
Labuhn: Moskau zeigt sich auch verschnupft über die in dieser Woche begründete neue Partnerschaft zwischen der EU und sechs früheren Sowjet-Republiken, darunter drei im Kaukasus. Kann man es der russischen Führung eigentlich verübeln, dass man sich dort langsam umzingelt fühlt?
Steinmeier: Das ist nicht beabsichtigt durch die Partnerschaft der Europäischen Union mit den osteuropäischen Anrainern, das ist in Moskau auch verschiedentlich erklärt worden, ich selbst habe mindestens zwei Gespräche mit dem russischen Außenminister darüber gehabt.
Worum es geht ist doch ganz was anderes. Wir wissen, dass das eine Region ist zwischen den Ostgrenzen der Europäischen Union und den Westgrenzen Russlands, die von Unruhe und jetzt gerade in Zeiten der Krise auch von großen, großen wirtschaftlichen Instabilitäten gezeichnet ist. Deshalb muss es europäisches und es sollte eigentlich auch russisches Interesse sein, dass wir diesem Raum insgesamt helfen, auch wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. So ist das Programm ja auch ausgerichtet.
Wir wollen sozusagen helfen bei der Entwicklung von Infrastruktur, wir wollen helfen bei der Kriminalitätsbekämpfung, wir wollen helfen bei den Transportwegen. Und das sind Ziele, die nicht gegen Russland gerichtet sind, und ich hoffe, das wird sich im Laufe der Zeit auch herausstellen.
Labuhn: Auf dem Prager Gipfeltreffen der EU, auf dem diese östliche Partnerschaft der EU begründet wurde, fehlten wichtige Regierungschefs großer europäischer Länder wie Nicolas Sarkozy, wie Gordon Brown, aber nicht die Kanzlerin. Und das unterstrich einmal mehr ihr reges Interesse an der Außenpolitik.
Man gewinnt zuweilen den Eindruck, als ob da zwischen Ihnen, dem Außenminister und der Kanzlerin, so etwas wie ein Hase-und-Igel-Wettlauf stattfindet nach dem Motto "Ich bin schon hier". Wir denken da an Afghanistan. Da tauchte die Kanzlerin zu Ostern überraschend - offenbar auch für das Auswärtige Amt überraschend - in Kabul auf. Sie reisten ungefähr 14 Tage später nach Afghanistan. Ist eine konstruktive deutsche Außenpolitik in diesen Wahlkampfzeiten überhaupt noch möglich?
Steinmeier: Gegenfrage: Können Sie sich an eine Phase der deutschen Nachkriegspolitik erinnern, in der ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin nicht auch Außenpolitik gemacht hätte?
Seien Sie sicher, darüber rege ich mich nicht auf. Außenpolitik bleibt im Kern Aufgabe des Außenministers, aber natürlich muss sich der Bundeskanzler/die Bundeskanzlerin auch gelegentlich außenpolitisch äußern. Was Afghanistan angeht kann ich nur sagen: Ich bin regelmäßig dort gewesen, sowohl zu politischen Gesprächen wie natürlich bei den Besuchen der deutschen Bundeswehr, der vielen zivilen Helfer. Das mache ich auch in diesem Jahr, habe ich auch in diesem Jahr getan ohne dass ich nun darauf achte, der Erste zu sein.
Labuhn: Die erste wichtige Wahl dieses Jahres hier in Deutschland findet am 23. Mai statt, nämlich die des Bundespräsidenten. Das hat mit Ihrem Ressort nichts zu tun, aber mit Ihrem Amt als stellvertretender SPD-Vorsitzender schon sehr viel mehr. Wie bewerten Sie jetzt zwei Wochen vor dieser Wahl eigentlich die Aussichten der SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan?
Steinmeier: Das Rennen ist offen, die Benennungsverfahren für die Bundesversammlung etwa in Sachsen oder in Bayern haben dazu geführt, dass die Mehrheitsverhältnisse noch etwas knapper geworden sind, die Zahl der Stimmen für die Union etwas geringer geworden sind. Also, es wird ein spannender Ausgang werden. Wir haben eine gute Kandidatin, die gute Chancen hat, in der Wahl zu gewinnen. Warten wir es ab.
Labuhn: Die zweite wichtige Wahl folgt am 7. Juni, nämlich die zum europäischen Parlament. Da werden in diesen Tagen die Auftaktveranstaltungen der großen Parteien abgehalten, um den Europawahlkampf einzuleiten. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht diese Europawahl eigentlich als politischer Stimmungstest für Deutschland?
Steinmeier: Sie ist wichtig. Sie ist natürlich auch ein Stimmungstest, aber sie ist nicht sozusagen das Signal für die Bundestagswahl, sondern die Europawahl ist wichtig wegen Europa. Es ist nicht völlig gleichgültig, welche Zusammensetzung dieses europäische Parlament hat. Jeder, der will, dass diese Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsvereinigung ist, sondern sich auch den sozialen Themen widmet, darum kümmert, dass die sozialen Standards in der Europäischen Union angehoben werden, der muss dafür sorgen, dass sozialdemokratische Parteien in diesem Europaparlament stärker werden.
Deshalb sagen wir an diesem Wochenende bei den Eröffnungsveranstaltungen zum Europawahlkampf den Menschen: Geht hin, kümmert euch um Europa, sorgt dafür, dass die SPD auch mit den notwendigen Mehrheiten aus dieser Europawahl hervorgeht
Labuhn: Die Unterscheidbarkeit der großen Parteien in Deutschland, die ja zudem gemeinsam in einer großen Koalition regieren und nun gemeinsam auch eine gewaltige Finanz- und Wirtschaftskrise irgendwie meistern müssen, ist deshalb geringer als sonst. Welche Alleinstellungsmerkmale zeichnen die SPD in dieser Phase aus?
Steinmeier: Ach, das ist - glaube ich - vornehmlich ein Schnack unter Journalisten, dass die Parteien wenig unterscheidbar geworden sind. Gerade in dieser Zeit der Krise sehen die Menschen doch, dass es Unterschiede gibt. Nehmen Sie die Auseinandersetzung um einen wichtigen deutschen Automobilhersteller, Opel.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich selbst hart kritisiert worden bin dafür, dass ich sehr frühzeitig hingegangen bin und gesagt habe, Opel muss erhalten werden, die Arbeitsplätze müssen erhalten werden, zu einem Zeitpunkt, als viele andere noch gesagt haben, schaut auf den Weltmarkt, es gibt Überkapazitäten und die müssen bereinigt werden, oder andere, die gesagt haben, man muss ein solches Unternehmen erst mal durch die Insolvenz schicken. Und ich bin mir sicher, im Verlauf dieses Jahres werden auch alle diejenigen, die auf schwarz-gelb setzen, wieder erkennbar werden mit den Themen Abbau des Kündigungsschutzes oder Mitbestimmung als Klamotte des vergangenen Jahrhunderts.
Insofern werden die Menschen schon spüren, warum es Sozialdemokratie gerade in diesen Zeiten, auch in den Zeiten der Krise braucht: Weil wir diejenigen sind, die dafür sorgen, dass wir uns vorbereiten auf die Zeit danach.
Labuhn: Es wird dann Ihre Aufgabe sein in den kommenden Wochen und Monaten, diese Botschaft als SPD-Kanzlerkandidat an den Mann, an die Frau, an das Wahlvolk zu bringen. Freuen Sie sich eigentlich auf den Wahlkampf? Sehen Sie sich auch als das, was Exkanzler Gerhard Schröder kürzlich einmal eine "Rampensau" nannte?
Steinmeier: Das sollte man ersten nicht selbst beurteilen. Zweitens ist jeder Kandidat und jeder Kanzler anders. Ich habe meinen eigenen Stil, versuche mich da auch nicht an anderen zu orientieren. Man muss selbst das Original sein. Darum bemühe ich mich. Das spüren die Menschen auch und die Akzeptanz meiner Person spricht ja ein bisschen dafür.
Labuhn: Herr Steinmeier, sollten Sie nicht der nächste Bundeskanzler werden,…
Steinmeier: Was Sie ja für unwahrscheinlich halten.
Labuhn: …würden Sie in diesem unwahrscheinlichen Fall gerne Außenminister bleiben wollen?
Steinmeier: Ich glaube, das wäre jetzt eine sehr unprofessionelle Antwort, die Sie da von mir erwarten. Ich trete an als Kanzlerkandidat. Ich will diese Wahlen gewinnen, für und mit der SPD. Das ist die Perspektive, an der ich arbeite. Alles andere entscheidet der Wähler am 27.9.
Labuhn: Herr Minister, vielen Dank.
Steinmeier: Ich danke Ihnen.