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Guatemala
Ein Dorf verabschiedet sich vom Plastik

Der Atitlán-See in Guatemala ist stark verschmutzt. Im Seedorf San Pedro La Laguna hat der Bürgermeister deswegen Plastik verboten. Die Bewohner kehren zu alten Verpackungsmethoden zurück. Nur ein Wirtschaftszweig in der Gegend ist nicht einverstanden.

Von Martin Reischke | 10.02.2018
    Plastikmüll am Strand
    Der Atitlán-See hat ernsthafte ökologische Probleme. Zum Beispiel mit Plastikmüll. (dpa/ picture alliance/ Lars Halbauer)
    Der Atitlán-See ist eines der Naturwunder von Guatemala. Der britische Schriftsteller Aldous Huxley hielt den von Vulkanen malerisch umrahmten See sogar für einen der schönsten der Erde – aber das Naturparadies ist in Gefahr. Denn die Wasserqualität hat sich durch die Einleitung von Abwässern verschlechtert, und viele Abfälle landen nicht auf der Müllkippe, sondern direkt im See.
    San Pedro La Laguna, ein kleines Dorf am Ufer des Sees, hat deshalb schon vor mehr als einem Jahr Strohhalme, Styropor-Verpackungen und Plastiktüten aus der Gemeinde verbannt. Bürgermeister Mauricio Méndez verteidigt die drastische Maßnahme:
    "Für sich genommen haben diese drei Produkte vielleicht keine große Bedeutung, aber wenn wir uns die Flüsse und Seen anschauen, die von diesen Produkten verschmutzt werden, dann merken wir, dass sie ein wichtiger Schlüssel sind, um auf dieser Welt etwas zu verändern."
    Ein Wandel, der nur gelingt, wenn sich auch die Mentalität der Menschen ändert – ein schwieriger Kampf für den Bürgermeister.
    Pflanzenblätter als Verpackungsmaterial
    Sein Büro ist nur wenige Schritte vom Markt entfernt, wo Plastiktüten nun durch natürliche Verpackungen ersetzt werden sollen. Aber nicht alle Kunden unterstützen die Initiative, erzählt die Hühnerverkäuferin Angela Peneleu:
    "Weil das Hühnerfleisch feucht ist, und wenn die Kunden es dann in ihre Schürze tun oder in den Einkaufskorb, dann verteilt sich die Feuchtigkeit und die Schürze wird nass, und deshalb sagen sie, dass sie immer noch Plastiktüten brauchen."
    Doch seit dem Verbot verlangen auch Angela Peneleus Kunden immer seltener nach den Plastiktüten. Stattdessen wickelt sie das Hühnerfleisch in die Blätter der Maxán-Pflanze, die in Guatemala schon lange für die Verpackung von Lebensmitteln verwandt werden.
    Plastikmüll ist in San Pedro La Laguna politisch unerwünscht
    Plastikmüll ist in San Pedro La Laguna politisch unerwünscht (Deutschlandradio / Martin Reischke)
    Eine andere Hürde für die Kommune war die Haltung der Kommission für Plastik in Guatemala-Stadt, einem Lobbyverband der Plastik verarbeitenden Industrie. Sein Präsident Rolando Paiz ist geradezu verliebt in das Material:
    "Es hat riesige Vorteile, ich würde sagen, es ist eines der edelsten Materialien, die der Mensch jemals erfunden hat."
    Seine Liebe zum Plastik ist so groß, dass die Kommission gemeinsam mit der Industriekammer des Landes gegen das Verbot Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt hat.
    "Das Problem ist doch nicht das Material, sondern der Müll, der produziert wird. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir mit diesem Müll verantwortungsvoll umgehen", findet Rolando Paiz.
    Revolution heißt strukturelle Veränderung
    Doch das Gericht hat die Beschwerde des Verbands abgewiesen, und das Projekt im Dorf geht weiter voran, erzählt Bürgermeister Mauricio Méndez:
    "Wir haben nie aufgehört zu arbeiten, auch ein Jahr später sind wir immer noch dabei. Wir haben einen runden Tisch mit der Industriekammer eingerichtet, und heute sind unsere Kritiker selbst Teil des Wandels, den wir für unsere Gemeinde wollen."
    Mit einem komplexen Recyclingsystem – eine Seltenheit in Guatemala. Zuhause trennen die Familien ihren Müll. Anschließend werden Materialien wie Papier und Plastik auf der Mülldeponie gesammelt und an Recyclingunternehmen verkauft, der Biomüll wird kompostiert. Denn Bürgermeister Méndez hat einen langfristigen Plan:
    "Wir denken revolutionär, aber Revolution heißt eben nicht, zu den Waffen zu greifen, sondern strukturelle Veränderungen im Leben eines jeden Einzelnen zu bewirken."
    Graciela Batz versteht den Bürgermeister. Sie steht hinter dem Tresen ihrer kleinen Familienbäckerei. Die Veränderungen im Dorf erinnern sie an ihre eigene Kindheit:
    "Damals hatten die Kunden ein Tuch dabei, wenn sie ein Brot kaufen wollten, und darin haben sie dann das Brot eingepackt und es mit nach Hause genommen."
    Mauricio Méndez, Bürgermeister von San Pedro La Laguna, das auf Plastik verzichtet
    Mauricio Méndez, Bürgermeister von San Pedro La Laguna (Deutschlandradio / Martin Reischke)
    Einige Kunden sind wieder zu dieser Tradition zurückgekehrt. Für alle anderen hält die Bäckerin Papiertüten bereit – genauso kunstvoll gefertigt wie das Brot, das sie bäckt.
    "Noch können wir unseren See retten"
    Weil Papiertüten teurer sind als Plastikbeutel, ist Graciela Batz zur Bastlerin geworden: Den großen braunen Papierbogen faltet sie und teilt ihn sauber in zwei Teile. Die entstandenen Bögen faltet sie wiederum in der Mitte, klebt den Rand zusammen – fertig ist die Brottüte.
    "Das ist ganz einfach, es ist nicht besonders schwer, Tüten herzustellen."
    Und es ist eine sinnvolle Arbeit, die sich auszahlt, findet Graciela Batz:
    "Man muss sich schließlich auch bewusst machen, wie man die Zukunft gestalten will. Noch haben wir die Möglichkeit, unseren See zu retten."
    Ein innovativer Bürgermeister und eine kreative Dorfbevölkerung: So könnte es trotz der Bedrohungen durch Abwässer und Plastikmüll am Ende doch noch gelingen, den Atitlán-See auch in Zukunft als Naturwunder zu erhalten.