Archiv


Guck mal, wer da frisst

Biologie. - Wenn Pflanzen von Schädlingen angeknabbert werden, setzen sie Alarmstoffe frei, die häufig Raubinsekten anlocken. Allerdings funktioniert dieser Abwehrmechanismus relativ langsam. Eine Raubwanzenart wartet daher nicht auf diesen spezifischen Warnruf der Pflanze, sondern reagiert bereits, wenn die Pflanze Duftstoffe abgibt, die sie bei jeder Verletzung verströmt. War nämlich ein Schädling die Ursache, ist der Duftstoff charakteristisch verändert.

Von Christine Westerhaus |
    Wenn es um die Abwehr von Fraßfeinden geht, haben Pflanzen einiges auf dem Kasten. Sie produzieren Gifte, um Insekten den Appetit zu verderben oder machen sich ungenießbar durch schwer verdauliche Inhaltsstoffe. Manche Pflanzen lassen sich aber auch von anderen helfen. Sie locken die Feinde ihrer Feinde, wie zum Beispiel Raubwanzen, mit speziellen Duftstoffen herbei. Die Räuber fressen die Schädlinge auf und die Pflanze hat wieder ihre Ruhe. Doch dieses ausgeklügelte Alarmsystem ist ziemlich langsam.

    "'"Wenn eine Pflanze von einem Schädling attackiert wird, dauert es in der Regel einen Tag bis sie diese spezifischen Lockstoffe produziert. Wenn die Feinde der Schädlinge sich an diesen Düften orientieren ist es also in etwa so, als würden sie die Zeitung von gestern lesen um zu erfahren, was heute passiert. Wir haben nun beobachtet, dass Raubwanzen sich auch an grünen Blattduftstoffen orientieren können, die Pflanzen sofort produzieren, wenn sie befallen werden. Und damit bekommen sie die Informationen aus der Zeitung von heute und nicht von gestern.""

    Ian Baldwin, Leiter des Max Planck Instituts für chemische Ökologie in Jena. Dort haben die Forscher vor allem die Abwehrmechanismen von Tabakpflanzen im Blick. Auch der Tabak produziert grüne Blattduftstoffe, wenn er verletzt wird. Doch wenn die Raupen des Tabakschwärmers, einer Schmetterlingsart, an den Blättern fressen, verändert sich das Bouquet. Die Forscher beobachteten in Freilandversuchen, wie Raubwanzen auf diesen Unterschied reagieren. Sie präparierten Tabakpflanzen mit den Eiern des Tabakschwärmers und verschiedenen Duftstoffbouquets. Dann sollten sich die Raubwanzen zwischen den Pflanzen entscheiden: Ihre Wahl war eindeutig: Die Räuber fraßen drei mal mehr Eier auf den Gewächsen, die für sie nach Schädlingsbefall rochen.

    "Alle Pflanzen senden grüne Blattduftstoffe aus, wenn sie verletzt werden. Deshalb verrät dieser unspezifische Duft einem Räuber auf Nahrungssuche nicht, ob auch tatsächlich Schädlinge an ihr fressen. Wir haben nun entdeckt, dass die Raupen des Tabakschwärmers selbst die Zusammensetzung der grünen Blattduftstoffe verändern. Eine Komponente aus dem Speichel der Tiere ist dafür verantwortlich. Und den Raubwanzen liefert diese Veränderung die präzise Information, wo sie ihre Nahrung finden."

    Die Raupen des Tabakschwärmers verraten sich also selbst. Wie ein Einbrecher, der die Alarmanlage auslöst. Ein geradezu selbstmörderisches Verhalten, das Ian Baldwin überrascht hat. Denn normalerweise wollen Raupen um jeden Preis verhindern, auf sich aufmerksam zu machen.

    "Es war völlig unerwartet zu beobachten, dass die Schädlinge selbst die Polizei rufen und nicht die befallenen Pflanzen. Vielleicht bringt es für die Raupen aber auch Vorteile, wenn sie das Bouquet der grünen Blattduftstoffe verändern. Wir wissen, dass diese in der veränderten Form viel wirksamer gegen Mikroorganismen sind. Und Infektionen sind ein großes Problem für Raupen. Vielleicht können sich die Tiere mit den veränderten grünen Blattduftstoffe besser desinfizieren."

    Die Forscher wollen nun herausfinden, welche Komponente aus dem Speichel des Tabakschwärmers die grünen Blattduftstoffe verändert. Nicht alle Schädlinge besitzen diese Substanz. Als die Forscher den Speichel von zwei anderen Schädlingsarten auf Tabakpflanzen auftrugen blieben die Raubwanzen unbeeindruckt. Langfristig möchte Ian Baldwin das neu entdeckte Alarmsystem auch in der Landwirtschaft einsetzen. Er will Kulturpflanzen dazu bringen, sich mithilfe der grünen Blattduftstoffe gegen Schädlinge zu wehren.

    "Das faszinierende an unseren Beobachtungen ist, dass alle Pflanzen diese grünen Blattduftstoffe herstellen. Wir bräuchten sie also nur geringfügig genetisch zu verändern, wenn wir dieses Alarmsystem in der Landwirtschaft nutzen möchten. Und wenn wir das Alarmsystem einschalten wollen, müssten wir nur den Speichel der Tabakschwärmer-Raupen auf die Pflanzen auftragen."

    Noch ist jedoch nicht klar, ob dieses Alarmsystem bei allen Pflanzen aktiviert werden kann. Und ob sich Raubwanzen auch auf einem künstlich parfümierten Acker zurechtfinden ist fraglich.