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Günter Grass fährt in den Jemen und führt den Dialog mit der arabischen Welt

Bloch: Günter Grass ist eingeladen worden von der Regierung des Jemens, vom Staatspräsidenten persönlich, und er hat diese Einladung sehr gerne angenommen trotz der Gefahren, die ja in den Medien hinreichend dargestellt werden, was das Reisen im Jemen angeht. Grass selber wird hier hofiert mit den höchsten Ehren. Er wird in einem Konvoi mit 16 Autos und einem großen Bus durch die Gegend gefahren, Blaulicht vorne, Blaulicht hinten, und man tut alles, um ihn vor irgendwelcher Unbill abzuschirmen. Er hat dann eine weite Reise zurückgelegt, von Sanaa mit dem Bus über verschiedene Stationen nach Aden, der ehemaligen Hauptstadt der Volksrepublik Jemen, eine Stadt, die völlig zerfallen ist und völlig danieder liegt, und Grass hat immer wieder auch Parallelen gezogen zwischen dem Vereinigungsprozess in Deutschland und der Vereinigung des Jemen, die im Jahre 1990 stattfand, nämlich zwischen dem Norden und dem Südjemen.

Rainer-Berthold Schossig im Gespräch mit Werner Bloch |
    Schlossig: Was waren denn die wichtigsten kulturpolitischen Stationen dieser Reise?

    Bloch: Grass hat eigentlich immer Kulturpolitik gemacht, egal wo er hingekommen ist. Er hat sich bei einem Gespräch mit dem Staatspräsidenten eingesetzt für einen verfolgten jemenitischen Autor, der jetzt wahrscheinlich morgen zurückkommen wird, nachdem der Staatspräsident Herrn Grass zugesichert hat, er werde sich persönlich für die Sicherheit dieses Autors einsetzen. Dieser Autor hatte angeblich blasphemische und sogar pornographische Dinge geschrieben und war sowohl von islamischer Seite als auch von Seiten der Regierung unter Druck gesetzt worden. Egal wo Grass hinkam, hat er das Thema zur Sprache gebracht. Er hat über Zensur, über die Freiheit von Literatur geredet, auch über die Trennung von Kirche und Staat, und viele Dinge, die bei uns selbstverständlich sind, sind hier überhaupt nicht selbstverständlich, also Trennung von Kirche und Staat, die Auffassung, dass man den Islam irgendwie aus dem Staat heraushalten könne, ist hier überhaupt nicht selbstverständlich, und deshalb sind diese Diskussionen auch durch diese ganz neue Perspektive unglaublich spannend gewesen.

    Schlossig: Sie haben Sanaa und Aden erwähnt. Wie stark sind denn die Unterschiede zwischen beiden lange durch den Kalten Krieg zerrissenen Landesteilen des Jemen heute?

    Bloch: Die sind wie Tag und Nacht. Also Sanaa ist eine funktionierende Metropole mit einer wundervollen Altstadt, wirklich eine der schönsten Städte, die ich überhaupt je gesehen habe, auch Weltkulturerbe der UNESCO, einer letztlich einigermaßen funktionierenden Wirtschaft und eines regen Lebens. In Aden ist es so, dass praktisch die ganze Stadt still liegt, seitdem dort die Attentate passiert sind, vor zwei Jahren auf das US-Schiff Cole und kürzlich auch auf den Tanker Limburg in der Nähe von Aden. Es kommt praktisch überhaupt kein Handel mehr zustande. Es herrscht eine fürchterliche Depression, und Aden ist ja in der Literatur immer wieder beschrieben worden als Tor zur Hölle, vor allen Dingen auch aufgrund des mörderischen Klimas. Es ist eine Stadt, die verrottet, und wo man eigentlich glaubt, in einem völlig anderen Land zu sein. Also dass das mit Sanaa noch irgendwas gemeinsam hätte, konnte ich eigentlich nicht entdecken.

    Schlossig: Das ist ja nicht die erste Auslandsfernreise von Günter Grass. Vor fast 20 Jahren, erinnert man sich, war er längere Zeit in Bengalen, in Kalkutta, und damals ja deutlich als innenpolitische Geste gegen die sogenannte geistig-moralische Wende von Helmut Kohl und seinem neuen CDU-Staat gemeint. Gibt es jetzt auch in diesen Taten neue kulturpolitische Motive, die sozusagen sich auch zurück nach Deutschland wenden, warum Grass diese Reise in diesem Augenblick tut?

    Bloch: Also ich glaube, Grass will alleine durch die Tatsache, dass er kommt, Signale aussenden. Er verweist immer wieder auf den Nord-Süd-Dialog und auf Willy Brandt, und im Umfeld der jetzigen Terrorismus-Diskussion versucht er auch das, was in den 70er Jahren bereits diskutiert worden ist, wieder deutlich zu machen. Wahrscheinlich ist das nicht nur an die Jemeniten gemeint, von denen sehr wenige eigentlich Willy Brandt kennen und auch fast niemand Günter Grass, sondern das sind sicherlich auch Impulse, die nach Hause zurückgehen sollen. Aber das soll hier auch keine Eintagsfliege werden, sondern in Zukunft, in den nächsten Jahren sollen jemenitische Autoren nach Deutschland eingeladen werden, ans literarische Kolloquium in Berlin, und es sollen deutsche Autoren hier hergeschickt werden. Es gibt eine ganz alte deutsch-jemenitische Freundschaft schon seit dem 17. Jahrhundert, und Deutschland ist hier tatsächlich sehr hoch angesehen, weil es eben keine kolonialen Interessen gab, und Deutschland ist, glaube ich, für die Jemeniten ein Land, in das sie eine Menge Hoffnung setzen.

    Schlossig: Vielen Dank für das Gespräch.

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