Archiv


Günther Uecker in Wort und Bild

Der Künstler Günther Uecker feiert seinen 75. Geburtstag. Aus diesem Anlass gibt es im Berliner Martin-Gropius-Bau eine Retrospektive seines Werks zu sehen. Begleitet wird sie durch gleich zwei abbildungsreiche Neuerscheinungen über Ueckers Werk.

Von Heinz Norbert Jocks |
    Ob es überhaupt zu ihm passt, dass er, der so energisch auf das pralle Im-Jetzt-Leben pocht und sich somit zu einer extremen Diesseitigkeit trotz seines Erinnerungsdrangs bekennt, auf einmal zurückblickt wie einer, der sich erst in der Rückschau erkennt oder findet, fragt man sich beim Durchstöbern gleich zweier abbildungsreicher Neuerscheinungen zu seinem 75.Geburtstag. Sie sind jetzt anlässlich einer vom Neuen Berliner Kunstverein im Berliner Martin-Gropius-Bau großangelegten Retrospektive erschienen. Danach befragt, ob das reife Alter seinen Blick auf Leben und Werk verändert habe, spricht der in Düsseldorf lebende Künstler Günther Uecker von dem plötzlichen Erwachen einer bisher vermiedenen Bedenklichkeit, die ihn jetzt einhole.

    " Ja, man wird wahrscheinlich durch solch eine Zäsur bedenklich, da ich mich immer in dem Gefühl befinde, das Eigentliche ist noch nicht getan, ist das nun doch die Erfahrung, dass man eine bestimmte Lebenszeit hinter sich gebracht hat, die doch in einem ungleichen Verhältnis steht zu dem Jetzt und der Zukunft, gibt es da schon eine zeitlich-räumliche Bedenklichkeit, die ja doch durch ein Datum natürlich erinnert an die Mutter, wie alt wird die Mutter, wenn man geboren ist. Dann kann man sagen: Ja, es gibt ja die Vaterschaft, die dem zugrunde liegt. Gerade habe ich darüber nachgedacht, dass im Koran es so geschrieben ist, dass durch das Wort eine Zeugenschaft bei Maria konzipiert ist, die es ermöglicht, eine solche ungewöhnliche Geburt wie die von Jesus in die Welt zu bringen, und dass aber die Mutterschaft dann doch eine ganz große Rolle spielt, also die Herkunft, geboren zu sein, in der Beziehung zu der Mütterlichkeit, die in dem kreativen bei mir eine ganz große Rolle spielt, diese feminine Komponente, die zur Maskulinen in einer Wechselbeziehung, dominant und weniger dominant, eine Rolle spielt, erinnert mich jetzt nun sehr stark, in diesem Zeitpunkt, wo ich meine Arbeit überschauen kann. "

    Diese fünfzig Jahre seiner künstlerischen Karriere in all ihren Windungen sind nun nicht nur zu besichtigen, sondern auch in doppelter Buchform abgelegt und dargestellt. Die eine, die kleinere Publikation widmet sich den Aquarellen, die Uecker parallel zur Natur auf seinen vielen Entdeckungsreisen mit großer Leichtigkeit rund um den Globus anfertigt, als wolle er sich so die aufgesuchten Orte, die fremden Landschaften einverleiben, den Sonnenuntergang, den Wolkenzug oder den Flusslauf verinnerlichen und sich somit der ihn anspringenden Fülle ferner Erscheinungen unter dem Einfluss ihrer Zeitlichkeit vergewissern, womit er sich konfrontiert sieht. Die größere unterteilt das Werk in 20 Kapiteln, begleitet von kurzen Texten aus der kunsthistorischen Feder von Dieter Honich, der, einige Monate vor der Eröffnung verstorben, über Jahrzehnte ein enger Freund und Begleiter des Künstlers war und dies da auch nicht nur zwischen den Zeilen durchblicken lässt, indem er hier und da Begegnungen erinnert. Das verleiht seinen Ausführungen zwar eine persönliche Note, beschert dem Ganzen aber dann doch keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn. Außerdem finden sich da noch "Anmerkungen zur Demonstration des Terrororchesters" von 1968, in denen Wulf Herzogenrath die Haltung von Uecker mit der von Uwe Johnson vergleicht, ohne dass man dadurch etwas Neues erführe. Auf mehr konventionelle denn neue Weise hofft man, Ordnung in ein unabgeschlossenes Werk zu bringen, das erst durch Zäsuren und Markierungen zu einem Oeuvre wird, das dem Prinzip Unfertigkeit geweiht ist. Dieses historische Form der Bestandsaufnahme widerspricht dem Geist eines Mannes, der so enorm jung wirkt, gerade weil er das Jetzt als sein Lebensrevier achtet und sich dagegen wehrt, den Sack des Getanen mit sich herum zu schleppen.

    " Dass ich zum Gemachten eigentlich dann durch Vergessen und Auslöschen eine andere Beziehung fand, also eine gewisse Befreiung auch möglich war von dem, was man getan hat. Immer, was zu tun bleibt, ist das Eigentliche. Es hat immer mein Leben doch sehr stark bestimmt, das Eigentliche ist nicht getan, und ich fühle mich wie am Anfang, das ist auch mein innerer Charakter, also nicht in die Rolle eines arrivierten Künstlers zu geraten, der sein Werk überschaubar mit sich trägt, sondern immer die Türe offen zu lassen, und "fatal", wie das die Araber sagen. Die Tür steht offen, man kann eintreten oder austreten. Und hat immer diese Möglichkeit des schöpferischen Tuns aus dem Nicht-Voraussehbaren. "

    Genau das ist der Umstand, dem sich Uecker mit Verve stellt und der aber keineswegs die Verdrängung des Todes einschließt. Die Energie, die von ihm ausgeht, und die Kraft, immer wieder von vorne zu beginnen, als sähe er vor sich die Grenzenlosigkeit des Meeres, schöpft er aus dem Bewusstsein der Endlichkeit, dem Wissen um die Zeit, die vergeht und alles nichtet.

    " Ich habe ja mal ein Manifest gemacht um 1980, die Mehrheit der Anwesenden sind die Toten, und die vermehren sich auch. Und die Lebenden befinden sich immer in einer Minderheit gegenüber denen, die da ihre Ahnen sind. Woher komme ich? Aus der genetischen generativen Evolution. So ist das auch natürlich eine Bürde, woher man kommt, und das Gewicht auch eines künstlerischen Werkes ist doch recht stark, man kann sich nicht davon befreien, das ist vielleicht der Moment, den ich im Augenblick empfinde, dass sich von dem Gemachten nicht befreien zu können und es akzeptieren zu müssen, aber doch in der Befangenheit eine Erinnerbarkeit zu erzeugen, gegen die man sich wehrt. Diese Befangenheit einer Herkunft, die ich nun quantitativ in dem Umfang sich darstellt, dass man doch ein Werk hervorgebracht hat, das überschaubar wird in der Exibtion, von Ausstellungen, dass es immer überschaubarer wird, was man getan hat, ist nicht mehr, dass der Fluss des treibenden Gestrüpps, das sich in neue Konstellationen begibt, es ist etwas, das niedergeschrieben, niedergemalt, niedergehalten und aufbewahrt, sozusagen eine andere Dimension des Jetzt für mich bedeutet. "

    Nicht nur in Berlin, auch in den Büchern wird also Lebenszeit sichtbar. Alles in allem handelt es dabei sich um einen schrittweisen Versuch der Annährung an Bildwerke, deren Quellen außerhalb der Kunst liegen, und damit an einen höchsteigensinnigen Künstler, dessen Karriere zwar mit der legendären Gruppe Zero begann. Letztlich lässt er sich aber weder einer Bewegung noch einem Stil oder einer Richtung zuschlagen. Obwohl er die Auseinandersetzung mit den Künstlern seiner Zeit nie gescheut, das Gespräch mit Schriftstellern wie Eugène Ionesco, Friedrich Dürrematt, Hubert Fichte, Hans-Magnus Enzensberger oder Christa Wolf, mit Philosophen wie Jürgen Habermas oder Emil M. Cioran sowie mit dem Komponisten John Cage gesucht, zudem Bühnenbilder für Theater und Oper entworfen und dabei immer wieder nicht nur auf die Turbulenzen der Jetztzeit, sondern auch auf die unhintergehbare Tragödie der Deutschen Geschichte reagiert hat, ist er, wenn auch kein antagonistischer Außenseiter, so doch ein vielseitiger, ein denkender, ja nachdenklicher Künstler in der Revolte gegen die Inhumanität. Im Grunde haben wir es hier mit einem Menschen zu tun, der in sich hineinhorcht, weil er den Dingen auf den Grund gehen will. Bei sich will er eine Geistesgegenwart erzeugen, die ihn in der Welt sein und künstlerisch handeln lässt. Auf Wendepunkten in seinem Werk angesprochen, winkt er ab.

    " Ja, das gab es nicht. Es war immer ein Kontinuum einer großen Anstrengung, Wachheit und seherische Helligkeit auch zu erzeugen, zu erhellen im Gestrüpp der Wahrnehmung. Und in der eigenen Befangenheit, erhellend zu handeln, das ist bei mir nicht gewendet. Da gibt es sowieso innen und außen, das stülpt sich bei mir, es ist innen und außen immer zugleich. Da wird nichts gewendet wie bei einem Buch die nächste Seite und damit ein anderes. Obwohl wir jetzt mit Kapiteln arbeiten, ist es doch ein kontinuierliches Werkverhalten, eine kontinuierliche Werkarbeit, ein Prozess, der da sichtbar wird. Für mich auch sichtbar in dem Fall, da ich sonst immer im Augenblick handelnd ja nicht reflektiere, was ich gestern gemacht habe, aber immer habe ich mich aufgefordert gesehen, durch ein gewisses Erkennen der menschlichen Umstände, dass ich immer nur ein und dasselbe tun wollte, um es so deutlich wie möglich vor Augen zu führen dann. Das habe ich auch eingehalten. Ich mache eigentlich nur ein und dasselbe, obwohl ich nicht weiß, was es ist, aber es ist vielfältig, aber immer ein und dasselbe. "

    Aus der Reihe tanzend und unabhängig von Moden, die den Diskurs beherrschen, hat er sich eine originäre künstlerische Sprache erarbeitet, die er zur Grundlage seiner eigenen Entwicklung macht. In ihr artikuliert sich ein aufrichtiges Aufbegehren "gegen die Verletzung des Menschen durch den Menschen" . Aber auch Selbsterkenntnis ist da im Spiel. Er, der Nägel, Pfähle, Bindfäden, weiße Farbe, Asche, Steine, Bandagen, Sand sowie Gebrauchsgegenstände zur Verstärkung existentieller Aussagen verwendet, hat zwar sein Image als Nagelkünstler nie ganz ablegen können. Bei der Durchsicht der Abbildungen sowie beim Gang durch seine Schau wird jedoch deutlich, dass die ewige Fixierung auf den Nagel als Fetisch seiner Kunst dem breiten Spektrum seiner Themen nie und nimmer gerecht wird. Gewiss, der Nagel, mit dem er einst Klaviere, Nähmaschinen, Stühle und andere Alltagsgegenstände gebrauchsunfähig machte, um ihnen eine ästhetische Dimension zu entlocken, wird von ihm immer noch als Ausdrucksmittel eingesetzt. Jedoch erweist sich der Gebrauch des Nagels, mit dem er zudem Bewegungsfelder evoziert, auch als Möglichkeit, die leidigen gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse zu attackieren. Uecker, auf Wustrow als Sohn einer Bauernfamilie aufgewachsen, ist keiner, der sich nur innerhalb der engen Grenzen der Kunstgeschichte bewegt. Zu sehr geht es ihm um das Glück der Erfahrung durch ein erdennahes Leben, das er als Unterwegssein über die Endstation namens Tod hinaus begreift. Für Uecker verbindet sich mit dem Aufbruch des Reisenden eine Erneuerung der ersten Gefühle. Aber nicht nur der Frühling wiederholt sich da in Permanenz, sondern auch das unaufhaltbare Ende.

    " Ja, es ist so, man wandelt noch in den Sehnsüchten, etwas vorzufinden, aber dann wird es Abend. Immer wieder wird es auch Abend, und der Aufbruch ist immer neu. Und ein neuer Tag, ein neues Land, ein neues menschliches Antlitz. Eine neue Begegnung. Aber es wird immer wieder Abend. So hat das Leben ja eine Strukturierung so wie in der Musik. Es sind Intervalle, Fugen, ein Sichtbares und Verträumtes, schattenhaften Schlaf und Erwachen. Diese Prozesse sind, da sie ja rhythmisiert sind und zeitlich wahrnehmbar, eigentlich zu vergleichen mit einer großen Lebenssymphonie. Das ist dann schon ein ganz großes Oratorium, was sich da einem gerade in der Vermehrung von Zeit und Lebenszeit, das sich da offenbart, das große Werk des Seins in Erlebnissen von Erhellung und Verschattung. "

    " Alt ist so wie eine dunkle Stimme, kann man auch sagen, ein dunklen Ton, also Oooooo, was lange in der Welt ist. "

    Günther Uecker zählt zu den international anerkanntesten deutschen Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit dem radikalen Wechsel vom gemalten Tafelbild zum Nagel-Objekt fand Günther Uecker Mitte bis Ende der fünfziger Jahre ein seinen künstlerischen Absichten gemäßes Werkzeug, das rasch zu seinem Markenzeichen wurde. Die "Verletztbarkeit der Menschen durch den Menschen" führte ihn ab den 1980er Jahren zu betroffen machenden Bildwerken und Installationen, die existenzielle Aspekte unseres Lebens berühren.
    Zu seinem 75. Geburtstag wird Günther Uecker mit zwei großen Ausstellungen in Berlin gewürdigt. Im Martin-Gropius-Bau und der Neuen Nationalgalerie gibt es, thematisch in 20 Kapitel unterteilt, eine große Werkübersicht mit zum Teil noch nie gezeigten Arbeiten. Der Neue Berliner Kunstverein zeigt die weniger bekannten Aquarelle Günther Ueckers, die auf seinen ausgedehnten Reisen vor allem in Asien entstanden.


    Martin-Gropius-Bau, Berlin
    Neue Nationalgalerie, Berlin
    11.3. - 6.6. 2005
    Günther Uecker. Zwanzig Kapitel

    Neuer Berliner Kunstverein
    12.3. - 6.6. 2005
    Günther Uecker. Aquarelle