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Gunter Holzmann: Und es beginnt ein neuer Tag. Autobiographie

"Ich widme dieses Zeitzeugnis allen Idealisten, die man Fantasten, Träumer und Weltverbesserer nennt; die sich gegen das Unrecht und die eigenen sowie anderer Menschen Leiden auflehnen; deren vordringliches Ziel nicht das Geld noch ihr eigenes Ego ist; die sich noch nicht verkauft und die nicht aufgegeben haben und die für eine vernünftigere, gerechtere und menschlichere Welt kämpfen."

Kristine von Soden |
    Gunter Holzmann hat diese etwas naiv wirkenden Worte seiner Autobiographie vorangestellt. Dabei hatte der mit 89 Jahren im Januar dieses Jahres gestorbene Holzmann wenig Veranlassung zu weltfremdem Idealismus. Er, der aus einem deutschnational gesinnten mittelständischen jüdischen Milieu in Breslau stammte, musste sich 35 aus Deutschland absetzen. Über England floh er weiter nach Südamerika, wo er den größten Teil seines Lebens unter abenteuerlichen Umständen verbrachte. Er entdeckte die soziale Ungleichheit, die Bedrohung der dortigen Kulturen, aber vor allem die Umweltzerstörung. Mitte der neunziger Jahre vermachte er einen großen Teil seines Vermögens der Zeitung Le Monde diplomatique und sicherte ihr damit die Unabhängigkeit im publizistischen Kampf gegen den Neoliberalismus und seine Folgen. Der britische Historiker Eric Hobsbawm nannte Holzmanns Autobiographie ?beispiellos-beispielhaft'. Nun ist sie im Züricher Rotpunktverlag auch auf Deutsch erschienen, leider nicht unter ihrem Originaltitel ?Man sagt, dass ich irgendwo in Übersee überlebt habe', sondern unter dem eher nichtssagenden Titel ?Und es beginnt ein neuer Tag'. Kristine von Soden hat das Buch gelesen.

    Was der 1912 in Breslau geborene Gunter Holzmann auf über 360 Seiten darlegt, ist so ganz anders als das, was sonst in der Emigrationsliteratur im Mittelpunkt steht: angefangen von den antijüdischen Hetzkampagnen 1933 in Deutschland über die Vorbereitung der Flucht bis hin zu dem (selten gelungenen) Versuch, in der Fremde Wurzeln zu schlagen. Gunter Holzmann streift all diese Dinge nur am Rande, blickt kaum zurück in die Jahre des NS-Terrors, nur an wenigen Stellen erfährt man von anderen Emigranten in Peru und Bolivien (dorthin verschlägt es den damals 24-jährigen). Nüchtern und knapp schreibt Gunter Holzmann:

    Im August 1936 bestieg ich den alten Frachter ?Lautaro' in Liverpool Richtung Südamerika und verließ ohne Bedauern das kranke Europa.

    Ohne Bedauern. Diese Haltung, die zugleich bedeutet, den Blick stets nach vorn zu lenken, prägt das ganze Buch. Wehmütige Erinnerungen scheinen nur selten zwischen den Zeilen durch. Zum Beispiel, wenn Gunter Holzmann von seiner ersten großen Liebe erzählt: Käthe. Sie war ein Jahr älter als er und wanderte als Jüdin ebenfalls aus. In den Wirren der Zeit verloren sich beide aus den Augen.

    Mit den preußischen Tugenden Disziplin, Sparsamkeit, Fleiß aufgewachsen, hatte Gunter Holzmann schon als Gymnasiast klare Ziele verfolgt. Er wollte Medizin studieren. Vor allem aber die Welt erobern (was ihm später in der Emigration zugute kam). Und so fuhr er nach dem Abitur von Breslau per Anhalter nach Konstantinopel! Damals ein höchst exotisches Unterfangen! Ungefähr so, merkt Gunter Holzmann schmunzelnd an, als habe er "mit dem Fahrrad zum Mond reisen" wollen.

    Der Zauber des Unbekannten ..., des Unmöglichen zog mich unwiderstehlich an. Ich weigerte mich, die Ferien in Gesellschaft meiner Familie in den bequemen und sicheren Hotels der mondänen Badeorte zu verbringen. Mir waren die Straßen ..., wo sich das wirkliche Leben abspielte, lieber.

    Kein Zufall darum, dass Südamerika das selbstgewählte Exil wurde. Kurze Zwischenstation waren London und Cambridge, wo Gunter Holzmann sein in Breslau begonnenes Medizinstudium weiterführte. Als Arzt arbeitete er nie, wohl aber (biochemisch versiert) in der Industrie. Seine erste Arbeit in Peru fand er bei einer deutsch-jüdischen Firma, für die er in den Andenhöhen Eisenerz analysierte.

    Fast könnte man meinen, Holzmann habe damals stets und ständig ein Teleobjektiv bei sich gehabt, um alles, was er sah und empfand, möglichst nah und exakt festzuhalten: die Indios mit ihrer farbenprächtigen, selbstgefertigten Kleidung, Lamas und Alpakas überall mit sich führend, auf den Märkten ihre Ware feilbietend; die unendlichen Urwälder, Vulkanketten und unberührten, grenzenlosen Strände am Pazifik; andererseits aber auch die krassen sozialen Unterschiede, besonders in Lima, einer Stadt "ohne Seele, voller Übel und böser Vorzeichen", wie Gunter Holzmann schreibt. Dennoch: Überall ließ er sich auf seine neue Umgebung ein; er reiste nach Argentinien, Chile und Bolivien, wo es ihm schließlich am besten gefiel und er sich in den 70-er Jahren als Initiator und Leiter eines Kulturhauses engagierte, um vor allem Landarbeitern Fortbildungen zu ermöglichen. In Santa Cruz lebte Gunter Holzmann bis zu seinem Tod. Er wurde 89 Jahre alt. Sein Buch wird als Unikat in die Emigrationsliteratur eingehen, als ein Zeitporträt Lateinamerikas - abgefasst wie eine gesellschaftskritische Reportage; oft aber auch intim wie ein Tagebuch. Zu letzterem gehören die Selbstreflexionen Gunter Holzmanns über seine Identität. An keine politische Ideologie, keinen Glauben wollte er sich binden:

    Nur leben, leben und da sein.

    Kristine von Soden besprach Gunter Holzmanns Autobiographie "Und es beginnt ein neuer Tag", erschienen im Züricher Rotpunktverlag. Das Buch hat 357 Seiten und kostet 34 DM.